Nach einer Motion und zwei Expertengutachten wurde 1897 auf Bundesebene der Entschluss gefasst, in Liebefeld im Kanton Bern, landwirtschaftliche Forschungsanstalten zu gründen. Der Kanton Bern überliess dasbetroffene Arealin Liebefeld der Schweizerischen Eidgenossenschaft als Geschenk. 1901 wurde das Bakteriologische Laboratorium der Schweizerischen Landwirtschaftlichen Versuchs- und Untersuchungsanstalten und 1902 die Schweizerische Milchwirtschaftliche Versuchsanstalt in Liebefeld eröffnet. Diese beiden Entitäten wurden 1907 unter der neuen Bezeichnung Schweizerische Milchwirtschaftliche und Bakteriologische Anstalt Liebefeld-Bern vereint.
Für die drei genannten bundesstaatlichen Forschungsanstalten war der Emmentaler, die weltbekannte Schweizer Käsesorte mit den typischen Löchern, ein prioritär behandeltes Untersuchungsobjekt. Er war in der Vergangenheit ein ikonisches milchwirtschaftliches Erzeugnis. Zugleich war dieser «König der Käse» ein Schweizer Exportschlager und von volkwirtschaftlicher Bedeutung.
Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschten verschiedene Erschwernisse innerhalb der Schweizer Emmentaler-Produktion: Die aufkommende ausländische Konkurrenz sowie die hohen Preise und Qualitätsprobleme des Käses wirkten sich allesamt hemmend auf den Käseabsatz aus. «Käsefehler», darunter Blähungen und mangelhafte Lochung, konnten nicht zielgerichtet behoben werden. In der Praxis herrschte die verbreitete Denkweise, dass der Emmentaler vor allem in qualitativer Hinsicht überzeugen musste, um auf dem Weltmarkt Absatz zu finden. Daher strebte die Schweizer Milchwirtschaft eine Hebung der Käsequalität durch wissenschaftliche Forschung an.
Im Zentrum dieser Masterarbeit steht die Frage, welche Forschungstätigkeiten zum Emmentaler im Zeitraum von 1901 bis 1937 in den drei genannten Institutionen vorgenommen wurden. Diese Studie befasst sich konkret mit der Geschichte von Schweizer landwirtschaftlichen Forschungsinstitutionen auf Bundesebene und der Geschichte der Emmentaler-Käserei. Bisher gibt es keine historische Untersuchung, die die wissenschaftliche Forschung der bundesstaatlichen Anstalten in Liebefeld im Bereich des Emmentalers vertieft analysierte.
Da die Tätigkeiten der Liebefelder Anstalten während des beachteten Zeitraums derart umfassend waren, wird auf drei Schwerpunkte der Emmentaler-Forschungsaktivitäten fokussiert, nämlich die Forschung zu den Bakterien, zur Süssgrünfuttermilch (Milch, die von Kühen stammt, die mit Silofutter gefüttert wurden) und zur Lochung des Käses. Alle drei Themengebiete bildeten zeitgenössische Problemstellungen, die anhand wissenschaftlicher Forschung bearbeitet und behoben werden sollten.
Für diese Arbeit wurden ausschliesslich gedruckte Quellen verwendet. Dabei wurden vorwiegend Artikel aus zeitgenössischen Fachzeitungen (Schweizerische Milchzeitung und Schweizerisches Zentralblatt für Milchwirtschaft) und Zeitschriften konsultiert. Zudem wurden Artikel aus Tageszeitungen, Archivquellen und juristische Schriften berücksichtigt. Dank diesen gelang es während des Untersuchungszeitraums, fundiertes Wissen zur Emmentaler-Fabrikation und zu Fehlerursachen zu generieren. Der Schweizerischen Milchwirtschaftlichen und Bakteriologischen Anstalt in Liebefeld und ihren Vorgängerinstitutionen kam die Rolle als Forum für wissenschaftliche Emmentaler-Forschung zu, wo Wissen generiert und später an die relevanten Kreise vermittelt werden konnte. In den Laboratorien der Liebefelder Anstalt wurden Versuche und Analysen eingesandter Proben vorgenommen. Zudem wurden in Liebefeld Bakterienkulturen produziert, die in der Praxis verwendet werden konnten.
Der Aktionsradius der Forschenden der Liebefelder Anstalt blieb nicht auf die Räumlichkeiten der Institution beschränkt. Die Fachpersonen unternahmen Versuche in Liebefeld, jedoch führten sie diese auch in Käseproduktionsstätten aus, besuchten bei Störfällen Käsereien und boten Beratungen an. Als wichtigster Forscher im betrachteten Themengebiet trat der Appenzeller Jakob Kürsteiner (1879 – 1965) hervor. Der Bakteriologe, der den Spitznamen «Chäsdoktor» trug, wurde von der modernen Forschung bisher kaum beachtet. Dieser Wissenschaftler war ein wichtiger Akteur, der an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis stand.