«We were basically in paradise». Erinnerte Migrationsmotive einer irischen Familie, 1957 – 1988

AutorIn Name
Elena
Lynch
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
PD Dr.
Stephan
Scheuzger
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2020/2021
Abstract
Die vorgelegte Masterarbeit untersucht die Migrationsmotive in einer irischen Familie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Untersuchungsgegenstand ist die eigene Familie der Autorin. Die Quellenbasis ist selbst produziert worden. Zu diesem Zweck sind elf Oral-History-Interviews mit Familienangehörigen geführt worden, die allesamt in Irland stattgefunden haben. Um Transparenz zu gewährleisten, sind die Tonaufnahmen und Transkripte der Interviews online zugänglich gemacht worden. Eine wesentliche Leistung der Studie ist es aufzuzeigen, wie vielfältig und vielschichtig Migrationsmotive sind. Das ist grundsätzlich keine neue Erkenntnis. Dies aber im Rahmen eines relativ übersichtlichen Familienverbandes und im Wesentlichen mit einem Fokus auf eine Generation gleichsam komprimiert vorzuführen, darin liegt die primäre Bedeutung der Arbeit. Die Darstellung der Migration in der Familie der Autorin väterlicherseits setzt bei den Urgrosseltern ein, auch wenn diese stets in Dublin blieben. Von den acht Kindern des Ehepaares, die alle heirateten, erwogen fünf den Weggang ins Ausland, vier wanderten schliesslich auch aus. Alle diese fünf Paare werden in die Untersuchung miteinbezogen. Aus der dritten Generation wird dann nur noch auf die Migration des Vaters der Autorin näher eingegangen. Die Studie stützt sich sowohl auf erinnerungsals auch auf migrationstheoretische Überlegungen. Dabei kommt dem Aspekt der Erinnerung eine nachgeordnete Bedeutung zu. Dieser ist zwar relevant in Funktion des Erkenntnisinteresses an den Migrationsmotiven. Wie Migrationsmotive in der Familie erinnert werden, ist aber keine eigenständige Frage, der die Autorin nachgeht. Direkter mit dem Erkenntnisziel verbunden sind die migrationstheoretischen Ansätze, die zur Einordnung des Erzählten dienen. Anwendung finden dabei das Push-Pull-Modell, der Ansatz der Migrationsnetzwerke und die damit eng verbundene Kategorie des sozialen Kapitals, das Modell der Kettenmigration sowie der Ansatz des Transnationalismus. Alle Theorien leisten – in Kombination mit anderen – einen Beitrag zum besseren Verständnis davon, wieso sich Menschen für die Migration entschieden haben. Migrationsmotive waren nicht zuletzt geschlechterspezifisch begründet (gendered migration). Die Bedingungen, unter denen Frauen Migrationsentscheidungen trafen, bewegten sich in einem Spektrum, das von der stark katholisch-konservativ geprägten irischen Gesellschaft bis zu individuellen Konstellationen innerhalb der Familie reichte. Vorreiterinnen der Migration waren in der Familie Fitzgerald zwei Frauen: die eine, die aufgrund einer unehelichen Schwangerschaft mit ihrem Partner das Land verliess, um das Kind in Grossbritannien zur Welt zu bringen, ihren Partner zu heiraten und danach wieder nach Irland zurückzukehren; die andere, die aufgrund eines angespannten Verhältnisses mit ihrem Vater in die Vereinigten Staaten auswanderte – in einer Bewegung, die von Dublin über Boston zurück nach Dublin und schliesslich nach New York führte. Die meisten Familienangehörigen führte die Auswanderung nach Australien. Gerade hier lässt sich die Bedeutung sozialer Kontakte vor Ort, die die Migrationsentscheide wesentlich beeinflussten und die Migration selbst erleichterten, gut nachweisen. Zielortspezifisches Kapital sorgte dafür, dass sie sich in bestehende Migrationsketten einfügten und diese damit aufrechterhielten. Mit jeder Migration wurde das Netzwerk ausgeweitet, wodurch weitere Menschen angezogen wurden, die von den bestehenden Verbindungen, zirkulierenden Informationen und existierenden Ressourcen profitierten. Dies führt vor, wie sehr Migrationsentscheide in interaktiven, sozialen Zusammenhängen verstanden werden müssen. Ökonomische Aspekte spielten bei den Auswanderungsentscheiden – gerade nach Australien – ebenfalls eine Rolle. Allerdings dürften die diesbezüglichen Motive in den Interviews heruntergespielt worden sein. In diesem Zusammenhang besonders betont worden ist, dass der Zielort bessere Wetterverhältnisse und höhere Lebensqualität in Aussicht stellte (lifestyle migration). Die Wahlmöglichkeit ist dabei verknüpft mit einem relativen Wohlstand, der es den Migrierten erlaubte, an Orte aufgrund von Annehmlichkeiten wie gutem Wetter, schöner Landschaft oder aufgrund des Kriteriums einer guten medizinischen und sozialstaatlichen Versorgung zu ziehen. Dass die Angehörigen der Familie Fitzgerald, obwohl sie der Arbeiterschicht entstammten, doch auch als vergleichsweise wirtschaftlich privilegiert betrachtet werden können, ist auch am Umstand festzumachen, dass die Migrierten den Kontakt mit dem irischen Herkunftskontext permanent aufrechterhielten. Alle migrierten Familienmitglieder halten emotionale und kulturelle, aber auch wirtschaftliche Bindungen zwischen Herkunfts- und Wohnort aufrecht. Dies führt zu Ambivalenzen. Gerade wenn sich nach Irland zurückgewanderte Familienangehörige entschieden, von dort erneut nach Australien zurückzukehren, weil sie ihre Erwartungen an die erste Heimat nicht erfüllt sahen, wird endgültig deutlich, dass Migration als zirkulärer und potenziell unabgeschlossener Prozess und nicht als einmalige, einseitige Bewegung zwischen einem Herkunfts- und einem Zielkontext zu verstehen ist und eine transnationale Lebensweise auch mit dem Preis des inneren Konflikts über die Frage verbunden sein kann, wo sich die Migrierten zugehörig fühlen und wo sie letztlich eigentlich leben möchten.

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