„Revisionistische“ Reaktionen auf den Irving-Lipstadt-Prozess. Wissenschaftsselbstverständnis und Abgrenzung eines „Denkkollektivs“

AutorIn Name
Sabrina Sophie
Althaus
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christof
Dejung
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2024/2025
Abstract

Die Arbeit untersucht Reaktionen von Holocaustleugner:innen auf den Irving-Lipstadt-Prozess von 2000, bei welchem David Irving die Historikerin Deborah E. Lipstadt und ihr Verlag wegen Verleumdung verklagte. Lipstadt hatte Irving in ihrem Buch Denying the Holocaust: The Growing Assault on Truth and Memory (1993) u.a. als Holocaustleugner bezeichnet. Irving versuchte erfolglos, gegen diese Darstellung juristisch vorzugehen. Der Prozess wurde intensiv medial begleitet und löste auch in „revisionistischen“ Kreisen einen erneuten Diskurs über die Beweisbarkeit des Holocaust aus. Der Begriff „Revisionismus“ wird in dieser Arbeit kritisch verwendet und in Anführungszeichen gesetzt, um die politisch motivierte Leugnung historischer Tatsachen und die Verzerrung wissenschaftlicher Praktiken zu betonen.

 

In der Arbeit wird Ludwik Flecks Theorie von „Denkkollektiven“ und „Denkstilen“ als theoretischer Rahmen verwendet, um das „revisionistische“ Verständnis von Wissenschaft unter den Holocaustleugner:innen und die Abgrenzung zur etablierten Geschichtswissenschaft zu rekonstruieren. Fleck beschreibt „Denkkollektive“ als Gemeinschaften von Forschenden, die einen gemeinsamen „Denkstil“ teilen. Diese Theorie wird in der Arbeit auf Personen angewendet, die wissenschaftliches Arbeiten mimen, um ihre politischen und ideologischen Ziele zu legitimieren.

 

Im Rahmen der Arbeit wird das wissenschaftliche Selbstverständnis der „Revisionist:innen“ herausgearbeitet, indem die Berichterstattung und Reaktionen auf den Prozess in „revisionistischen“ Publikationen wie dem Journal of Historical Review, den Vierteljahresheften für freie Geschichtsforschung sowie Newsletterbeiträge von verschiedenen „Revisionist:innen“ untersucht werden. Die Arbeit analysiert „revisionistische“ Stimmen, die in ihren Veröffentlichungen einen wissenschaftlichen Stil imitierten.

 

Ziel der Arbeit war nicht die Widerlegung der Argumente der „Revisionist:innen“, sondern die Untersuchung wissenschaftlicher Praktiken der „revisionistischen“ Geschichtsschreibung. Die Arbeit zeigt auf, dass ein eigenes „revisionistisches“ wissenschaftliches Selbstverständnis vorherrschte, innerhalb dessen jedoch unterschiedliche Positionen vertreten werden konnten. Das Wissenschaftsverständnis wurde auf wenige wissenschaftlich anmutenden Bereiche reduziert, während andere zentrale Teile eines universitären Wissenschaftsverständnisses ignoriert wurden. Die „Revisionist:innen“ lehnten alle Forschungsergebnisse, die die Faktizität des Holocausts bewiesen, grundsätzlich ab, die von Zeugenaussagen gestützt werden und beriefen sich auf eine Beweiskraft von Dokumenten und chemischen Untersuchungen, die in ihrem Verständnis unumstösslich waren. In Bezug auf die Annahme und Ablehnung von neuen „revisionistischen“ chemischen Untersuchungen zeigte das „revisionistische“ „Denkkollektiv“ ähnliche Logiken von Annahme und Ablehnung von neuen Erkenntnissen wie Historiker:innen. Mit der Verzerrung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der scheinbaren wissenschaftlichen Erscheinung versuchten sich die „Revisionist:innen“ als Teil eines unterdrückten Wissenschaftsbereichs zu inszenieren. Dies sollte dazu dienen, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Dabei fand sich der „Revisionismus“ in einem Dilemma wieder: die Sichtbarmachung der „revisionistischen Wahrheit“ war sein erklärtes Ziel, doch nicht alle, die auf dieses Ziel hinarbeiteten, sollten dem „Denkkollektiv“ angehören.

Besonderes Augenmerk liegt auf David Irving und seiner Rolle innerhalb des „revisionistischen“ „Denkkollektivs“. Irving wurde in seinen Positionen und seinem Verhalten während des Prozesses dann unterstützt, wenn sich die „Revisionist:innen“ einen Nutzen für den „Revisionismus“ versprachen. Kritik an Irving wurde geübt, wenn eine Unterstützung keinen Vorteil bot oder die eigene „revisionistische“ Forschung ignoriert wurde. Zudem wurde aufgezeigt, dass nicht alle „Revisionist:innen“ Irving als Teil des „revisionistischen“ „Denkkollektivs“ sahen.

 

Die Arbeit zeigt auch, wie die „Revisionist:innen“ sich gegenüber geschichtswissenschaftlichen „Denkkollektiven“ abgrenzten. Dies zeigte sich an verschiedensten Kritikpunkten, die „Revisionist:innen“ an der Arbeitsweise von Historiker:innen äusserten. Dabei wurden in erster Linie diejenigen Wissenschaftsaspekte kritisiert, denen sich der „Revisionismus“ zu entziehen suchte, wie etwa die Falsifizierbarkeit von Forschungsergebnissen. Neben der Abgrenzung wollten die „Revisionist:innen“ jedoch auch in den Austausch mit dem geschichtswissenschaftlichen „Denkkollektiv“ kommen und suchten dessen Anerkennung. Aufgrund ihrer Arbeitsweise, welche sich fundamentalen Grundsätzen der Geschichtswissenschaft, etwa in der Quellenkritik, entzog, blieb dieser Wunsch jedoch einseitig.

 

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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