Die Internierung der Bourbaki-Armee 1871 und ihre mediale Umsetzung

AutorIn Name
Patrick
Deicher
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2002/2003
Abstract

Am Ende des deutsch-französischen Krieges 1870/71 fand sich die französische Ostarmee des Generals Bourbaki von deutschen Kräften an der Schweizer Westgrenze festgeklemmt. Der schlechte Zustand der Truppe und die aussichtslose militärische Lage zwangen die Armee zur Aufgabe. Anstatt sich aber dem deutschen Kriegsgegner zu ergeben, wählte sie die Neutralisierung respektive Internierung in der Schweiz. Zu Beginn des Februars 1871 traten mehr als 87‘000 Soldaten entlang des Neuenburger und Waadtländer Juras über die Schweizer Grenze, wurden entwaffnet und anschliessend auf rund 200 Gemeinden in der ganzen Schweiz verteilt. Was folgte, war für die Schweiz ein politisches, militärisches und organisatorisches Grossereignis, welches schnell ein enormes Medienecho im In- und Ausland fand.

 

Die Arbeit präsentiert in einem ersten kurzen Teil einen Überblick über den deutsch-französischen Krieg und die Reaktion der neutralen Schweiz auf dieses Ereignis der mächtigen Nachbarn. Der zweite Teil widmet sich ausführlich der Geschichte der Internierung einer ganzen Armee, welche die Bevölkerungszahl des kleinen Landes sprunghaft um 3% zunehmen liess. Daraus ergaben sich enorme logistische, finanzielle und humanitäre Probleme bei Verteilung, Unterbringung, Verpflegung und medizinischer Versorgung. Nur dank der Hilfe der Zivilbevölkerung konnten diese Aufgaben einigermassen problemlos gelöst werden.

 

Ein dritter Teil der Arbeit befasst sich mit der medialen Verarbeitung des Ereignisses. Schnell thematisierten internationale illustrierte Zeitschriften den Übertritt der Bourbaki-Armee. Fotografien und ein erstaunlich grosser Bestand an künstlerischen Umsetzungen ergänzten das mediale Bild, welches von der Presse gezeichnet wurde. Die ungeheure Zahl der Verarbeitungen und die massenmediale Verbreitung dank günstiger Produktionsverfahren trugen stark zur Herausbildung eines kollektiven visuellen Gedächtnisses bei. Das persönliche Erleben der Schweizerinnen und Schweizer wurde durch mediale Umsetzungen ergänzt, vervollständigt und teilweise in neue Deutungsmuster umgelenkt. Eindrucksvollste Ausprägung der starken Verwurzelung der Erinnerung ist das noch heute präsentierte Riesenrundgemälde des Bourbaki Panoramas Luzern. Hier wird auf ursprünglich 1500 Quadratmetern der Übertritt der Bourbaki-Armee im Neuenburger Jura populär umgesetzt. Grosser Wert wird der Leistung der Zivilbevölkerung bei der ersten Hilfe beigemessen. Deutlich wird aber, dass die kommerzielle Ausrichtung dieser Unterhaltungsform zu Verzerrungen in der Wiedergabe führt. Dem Besucher wird eine Komposition mit einem Gesamteindruck, nicht aber eine historisch bis ins Detail korrekte bildliche Umsetzung geboten. Damit konnte jedoch dem Sehbedürfnis nachgekommen werden. Dieses Sehbedürfnis war in der Erinnerung an das Ereignis stark mit Begriffen wie Solidarität und Humanität verbunden.

 

In einem vierten und letzten Teil der Arbeit wird die Auswirkung des Ereignisses auf die Erfindung der Schweiz untersucht. Die Herausbildung einer nationalen Identität gegen Ende des 19. Jahrhunderts erhielt durch die Etablierung einer kollektiven Erinnerung an die BourbakiInternierung starken Auftrieb. Offenkundige Probleme der Schweizer Armee bei der Grenzbewachung 1870/71 und bei der Empfangnahme der Bourbaki-Armee wirkten sich direkt auf die Verfassungsreform und die Armeereform 1874 aus. Auch die Diskussion um die Rolle des Neutralen in Europa erhielt neuen Auftrieb. Unter Rückgriff auf Christian Pfisters Studien zur Geschichte der Katastrophenbewältigung in der Schweiz zeigt die Arbeit, dass die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung auf traditionellen Krisenbewältigungsmustern basierte, die zur nationalen Identitätsbildung beitrugen. Zudem wurde die Rolle der Armee in Staat und Gesellschaft gestärkt. Der Schweiz fehlte zwar im Hinblick auf die Identitätsbildung die Möglichkeit des Rückgriffs auf militärische Heldentaten der jüngeren Vergangenheit. Der Einsatz der Schweizer Armee 1870/71 führte dann aber doch zu einem Stolz und gab der Armee eine positive Bewertung als schützendes Element für Staat und Bevölkerung.

 

Diese Arbeit ist unter dem Titel „Bourbakis im Kanton Luzern. Die Internierung der französischen Soldaten 1871“, in: Archäologie - Denkmalpflege - Geschichte (Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern, Bd. 22), Luzern 2004 erschienen.

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