Die Neuerfindung der Stadt. Zürich, ca. 1965-1985

AutorIn Name
Nadine
Zberg
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
laufend/en cours
DozentIn Name
Prof.
Philipp
Sarasin
Institution
Neuzeit
Ort
Zürich
Jahr
2024/2025
Abstract

Die Diagnose verbreitete sich gegen Ende der 1960er-Jahren rasant: Die Stadt sei in der «Krise» und schuld daran der Städtebau der Nachkriegszeit mit seinem Akzent auf Suburbanisierung, Expressstrassenbau und «Sanierung» der Innenstädte zu modernen Geschäftszentren. Hatten in den vorangegangen Jahrzehnten Bauunternehmer und Behörden – und in kleinerem Anteil die Architekt*innen – die baulichen Entwicklungen weitgehend unter sich ausgehandelt, so wurde im Zuge dieser neuen Krisenwahrnehmung die Frage nach der Stadt wieder zu einer gesellschaftlichen und damit politischen. Dieses fundamental Politische des «Streits» (Jacques Rancière) um die Stadt in den 1970er-Jahren stelle ich ins Zentrum meines Projekts: Die Geschichte davon, wie es zur Abkehr vom Paradigma der städtebaulichen Moderne und der Weichenstellung für eine neue Form der Stadtentwicklung kam, aus der die Städte der Gegenwart als «attraktive», wirtschaftskräftige und kulturelle Zentren hervorgingen, ist als Geschichte eines Streits um die Form des Gemeinschaftlichen zu erzählen, so mein Argument. Damit entwickle ich ein neues Narrativ für die Geschichte der Stadtentwicklung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, das sowohl zu auf fachinterne Diskussionen beschränkten architektur- bzw. städtebauhistorischen Darstellungen auf Distanz geht, als auch zu Studien, die diese Geschichte primär als Kampf zwischen den Treibkräften der Neoliberalisierung und der Widerständigkeit der grassroots interpretieren.

Im ersten Teil meines Projekts untersuche ich die Fragen danach, wie sich neue Akteur*innen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft um 1970 in den Diskurs über die Stadt einschalteten, sich im Rahmen dieser Auseinandersetzung als soziale Interessengruppen konstituierten und damit die Basis für die «Neuerfindung» der Stadt legten. Neben Akteur*innen aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft und städteplanerischen Fachverbänden werden hier folglich auch solche aus politischen Subkulturen und der zunehmend aktivistischen Zivilgesellschaft einbezogen. Der Fokus auf die Stadt Zürich erlaubt es dabei, das dichte Geflecht aus unterschiedlichen Akteur*innen an einem konkreten Untersuchungsort und -objekt zu beleuchten. Auch die Übersetzung transnational geführter Debatten in lokal spezifische Kontexte, wo sie neue Konstellationen von Akteur*innen, Institutionen, Praktiken und Diskursen zeitigten, wird so fassbar.

Die Analyse der neuen Sichtweisen auf die Stadt, die die Akteur*innen im Lauf der 1970er-Jahre entwarfen, ihrer Vorstellungen davon, was eine gute Stadt ausmache und wie diese umzusetzen sei, bildet den Inhalt des zweiten Teils. Hier frage ich danach, wie diese Entwürfe zwischen den verschiedenen Akteur*innen zirkulierten und dabei weiterbearbeitet, bekämpft, umgedeutet und in bestimmte Praktiken und Verfahren übersetzt wurden.

Der dritte Teil zeichnet die Stabilisierung eines Konsenses über ein neues Ideal der Stadt um 1980 nach: «Wohlfühlen» sollte man sich in der Stadt, daher sollte sie ökologisch-«natürlich» sein sowie «partizipativ». Diese Semantiken liefen in der unscharfen Integrationsformel der «urbanen Lebensqualität» zusammen: Deren Vagheit begreife ich als konstitutiv für die schrittweise politische Entschärfung des Themas Stadt und dessen tendenzielles Verschwinden aus dem öffentlichen Diskurs im Lauf der 1980er-Jahre. Im Anschluss an Michel Foucault fasse ich diesen Prozess als die Durchsetzung eines neuen Dispositivs der Stadtentwicklung, das zur «Renaissance der Städte» ab den späten 1990er-Jahren führte.