Am 11. Oktober 2007 hielt das „Komitee Schwarzes Schaf‟ in Bern eine Medienkonferenz ab. Dabei äusserte sich das Komitee zu den Ausschreitungen, die im Rahmen einer Kundgebung gegen einen von der SVP organisierten Umzug durch Bern stattgefunden hatten. Die Gegenkundgebung war von den „schwarzen Schafen‟ organisiert und durch die Polizei nicht bewilligt worden. Internationale Medien wie der Spiegel oder die New York Times berichteten über die Vorfälle auf dem Bundesplatz. Die Ausschreitungen am 6. Oktober wurden auch in der Schweizer Öffentlichkeit viel diskutiert. Der Berner Aktivist, Anwalt und Politiker Daniele Jenni war als Mitorganisator der Gegenkundgebung an der Medienkonferenz präsent. Für seine Aussagen, die SVP hätte die Ausschreitungen provoziert und der Gegenprotest sei nicht zu verurteilen, sondern als „legitime[r] ziviler Widerstand‟ zu verstehen, erntete Jenni Kritik. Als grüner Stadtrat sah er sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Einzelne Grüne versuchten, bei der Mutterpartei einen Parteiausschluss Jennis zu erreichen, allerdings ohne Erfolg. Wenige Wochen später erlag der 58-Jährige Jenni den Folgen seiner Krebserkrankung. Aus dem Umfeld der Berner Reitschule wurde ein Trauermarsch organisiert, an welchem mehrere hundert Personen teilnahmen. An diesem wurde ein Transparent mit der Aufschrift „Wer verriet uns nie? – Daniele Jenni!‟ getragen. Jenni war als Aktivist in der ausserparlamentarischen linken Szene der Stadt Bern populär.
Die Geschichte des linksalternativen Milieus und der neuen sozialen Bewegungen, die aus den vielfachen Aufbrüchen der „1968er Jahre‟ hervorgingen, ist in den letzten Jahren vermehrt ins Blickfeld historischer und sozialwissenschaftlicher Forschung gerückt. Insbesondere im Forschungskontext der Bundesrepublik Deutschland haben u.a. Sven Reichardt und Detlef Siegfried eine dezidiert zeithistorische Forschung zu alternativen Lebensformen und Protestpraktiken entwickelt. Diese setzt sich sowohl von den zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Analysen wie auch von den stark erinnerungshistorisch geprägten Selbstverortungen der Akteur:innen der jeweiligen Bewegungen ab. In der zeithistorischen Forschung zum alternativen Milieu in der Schweiz sind ähnliche Einflüsse der neuen Politikgeschich te, einer Kulturgeschichte des Politischen oder der historischen Bewegungsforschung erst schemenhaft zu erkennen.
Diese Masterarbeit setzt an diesem Punkt an und untersucht das politische Engagement des Berner Anwalts, Aktivisten und Politikers Daniele Jenni (1949–2007). Die Arbeit analysiert, wie Jenni als prägende Figur des Berner alternativen Milieus seit den späten 1960er Jahren in politische Bewegungen und Kontroversen involviert war. Dabei werden Themen betrachtet, denen Jenni besondere Aufmerksamkeit schenkte. Zudem geht die Arbeit auf konstruierte und gelebte Subjektivitätskonzepte von Authentizität in linken Milieus ein. Die Arbeit kontextualisiert Jennis Engagement nicht nur im Rahmen der 68er-Bewegung, sondern auch in Bezug auf die jurassische Unabhängigkeitsbewegung, die Anti-Atom-Bewegung, die Bewegung der WEF-Gegner:innen und die Bewegung der „Unzufriedenen‟ der 1980er Jahre. Insbesondere werden Jennis Verbindungen zu diesen Gruppierungen beleuchtet, um seinen politischen Aktivismus im zeithistorischen Kontext zu verstehen.
Die Untersuchung basiert hauptsächlich auf dem Nachlass von Daniele Jenni im Staatsarchiv Bern. Der Nachlass umfasst rund 35 Archiveinheiten und bietet Einblicke in Manuskripte, Prozessakten, Staatsschutz-Fichen und Korrespondenz, die eine detaillierte Rekonstruktion von Jennis politischem Aktivismus ermöglichen. Zusätzlich wurden Artikel über Jenni und sein Engagement in lokalen und regionalen Zeitungen als Quellen herangezogen, um die öffentliche Resonanz seines politischen Handelns zu beleuchten. Den biografischen Ansatz versteht die Arbeit nach Thomas Etzemüller als „Sonde‟, um „breitere gesellschaftspolitische Entwicklungen besser zu verstehen‟ und die „sozialen und politischen Bewegungen‟ zu betrachten, in denen Jenni aktiv war.
Anhand dieser Quellenund Methodengrundlagen ist eine Arbeit entstanden, welche Daniele Jennis Aktivismus gründlich aufarbeitet und diesen im breiteren Kontext aktivistischer Bewegungen Berns und der Schweiz situiert. Dabei zeigt sich die Komplexität seiner Person und seines Lebens: während sich einige Eigenschaften Jennis als konstant erweisen – beispielsweise sein Gerechtigkeitssinn und die damit einhergehende Unnachgiebigkeit in seinem politischen Kampf – zeigt die Biografie in anderen Belangen die Veränderungen in Jennis Weltbild und Verhalten auf.