Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christof
Dejung
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2020/2021
Abstract
Im 19. Jahrhundert wuchs Berlin zu einer europäischen Metropole von wirtschaftlicher, politischer und kultureller Bedeutung an. Dabei spielten Vertreter*innen des Berliner Bürgertums eine wichtige Rolle, die z.B. durch ihre Tätigkeiten in der Industrie (Siemens, AEG etc.), im Berliner Bankwesen, als Beamte oder als Mäzene zu dieser Entwicklung beitrugen. Parallel dazu prägte das Bürgertum ab dem 19. Jahrhundert auch zunehmend den deutschen Porzellanmarkt. Im 18. Jahrhundert (dem Jahrhundert seiner Entstehung) war sowohl die Produktion als auch der Verkauf deutschen Porzellans noch deutlich von den Fürstenhöfen bestimmt.
In einem ersten Teil dieser Arbeit wird diese Parallele aufgezeigt, indem der Berliner Porzellanmarkt von der Entstehung der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) Berlin (1763) über den Beginn ernstzunehmender privater bürgerlicher Konkurrenz ab den 1830er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg dargestellt wird. In dieser Zeit wurde Porzellan unter anderem durch neue technische Mittel preiswerter und damit einem grösseren Teil der Berliner Bevölkerung zugänglich.
Die Porzellanproduktion und vor allem der Konsum werden in dieser Arbeit exemplarisch in den Fokus genommen, um aufzuzeigen, wie Konsumgüter zur Prägung eines kulturellen Selbstverständnisses des Berliner Bürgertums beitragen konnten. Dafür wird analysiert, inwiefern Porzellan überhaupt in einem solchen bürgerlichen Kulturmodell auftaucht und inwiefern der Konsum bzw. Besitz von Porzellan zur Assimilation an diese Gruppe oder auch zur Distinktion zu anderen sozialen Gruppen (z. B. der höfischen Kultur) oder innerhalb des Bürgertums genutzt wurde.
Durch die Analyse von Kochbüchern, Frauenzeitschriften, Artikeln des preussischen Reichsanzeigers, Bildern und Porzellanobjekten aus der Zeit wird der zeitgenössische Diskurs über Porzellan herausgearbeitet und daraus abgeleitet, wie Porzellan als Konsumgut zur Identitätsstiftung des Berliner Bürgertums beitrug.
In der Arbeit wird aufgezeigt, dass sich der bürgerliche Konsum vom höfischen Konsum des 18. Jahrhunderts insofern unterschied, als Porzellan bei der Aristokratie im 18. Jahrhundert primär als Mittel eingesetzt wurde, um den eigenen Reichtum und die eigene Macht zu demonstrieren, während sich im Bürgertum der Konsum und die Verwendung von Porzellan stärker mit bürgerlichen Tugenden wie Sparsamkeit, männlichem Arbeitsfleiss, lokalem Patriotismus oder der weiblichen Mutterrolle und ihrer zugeschriebenen Aufgabe als Hüterin des Haushaltes verband. Ebenso ergibt sich im Diskurs, dass zunehmend Druck bestand, genügend Porzellan besitzen zu müssen – dies vor allem für ausgiebige Einladungen. Belege dafür finden sich in Haushaltsratgebern und Kochbüchern und auch in Frauenzeitschriften des späten 19. Jahrhunderts, in denen allerdings auch kritisch vor einem unverhältnismässigen Konsumverhalten gewarnt wurde. So hätten sich bürgerliche Familien in ihren alltäglichen Ausgaben eingeschränkt, um sich eine präsentable Ausstattung leisten zu können. Dies war insofern zentral, als Einladungen für die soziale Integration in die bürgerliche Kultur wichtig waren.
Aufgrund der Qualität des Porzellans fanden auch Distinktionsprozesse innerhalb des Bürgertums statt. Nicht nur als Geschirr, sondern auch für die Dekoration gehörte Porzellan zur Standardeinrichtung von bürgerlichen Haushalten in Berlin. Es wurde jedoch auch hier gegen Ende des 19. Jahrhunderts über die Üppigkeit und den Stil dieser dekorativen Porzellane diskutiert. Aus dem Diskurs ergibt sich weiter, wie fest der Porzellankonsum mit der Rolle der bürgerlichen Hausfrau verbunden war. Aus vielen der betrachteten Quellen wird ersichtlich, dass sich die Ausstattung des Haushaltes auf die Stellung der Familie im bürgerlichen Umfeld auswirkte. Die bürgerlichen Hausfrauen nahmen dabei eine zentrale Rolle für die Repräsentation der eigenen bürgerlichen Familie als Ganzes ein.
Der letzte Teil der Arbeit weicht vom alltäglichen Leben ab und zeigt auf, wie durch die ab 1851 stattfindenden Weltausstellungen zunehmend ein globales Fachpublikum den Stil verschiedener Porzellanmanufakturen prägte, was sich im Falle Berlins vor allem auch an der renommierten KPM zeigte. Die Jurywertungen an den Weltausstellungen wirkten sich auf das Ansehen einer Firma aus und damit auch auf das Ansehen der jeweiligen Nation. In diesem Prozess spaltete sich auch der bürgerliche Stil in Berlin. Einige blieben dem Stil des Historismus treu, der insbesondere von Kaiser Wilhelm II. befürwortet wurde. Andere – unter anderem Vertreter der Fachjurys – befürworteten den aufkommenden Jugendstil.
Die Betrachtung des Porzellans erlaubt damit einen Einblick in alltägliche Bereiche des Berliner Bürgertums und gibt Aufschluss über deren Selbstverständnis. Die Untersuchung erhellt zudem die zunehmend globalen Verstrickungen, die auch das Berliner Bürgertum prägten.