Von Lastentieren, Fuhrtierhaltern und Lokführern – Akteure und Organisation der Mobilität im Kanton Uri zwischen 1865 und 1921

AutorIn Name
Moritz
Gemperli
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2020/2021
Abstract
Die Zeit zwischen 1865 und 1921 brachte für das Verkehrswesen im Kanton Uri bedeutende Veränderungen. Der untersuchte Zeitraum beginnt mit der Eröffnung der Axenstrasse, welche erstmals eine durchgehende Fahrstrasse im Gotthardtransit ermöglichte, und endet mit dem letzten Postkutschenkurs über den Gotthardpass. Ein Ereignis, das im gewählten Zeitraum besonders heraussticht, ist die Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels im Jahre 1882 – eine technische Meisterleistung und innovative Kraft, die sowohl die Region als auch das Geschichtsgedächtnis prägte und immer noch prägt.Die Akteure der Mobilität, die täglich Waren, Menschen und landwirtschaftliche Produkte über die Urner Alpenpässe transportierten, werden dabei oftmals von den Lobgesängen über die technische Leistung und dem historischen Moment der Tunneleröffnung überschattet. Alleine mit der Eisenbahn wäre der aufkommende Reiseverkehr jedoch nicht zu bewältigen gewesen. So hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein vielfältiges Kutschen-, Fuhr- und Transportwesen herausgebildet, das ein erstaunliches Transportvolumen aufwies und den ganzjährigen Transitverkehr von Norden nach Süden über den Gotthardpass ermöglichte. Das Funktionieren dieses Verkehrswesens basierte auf einer grossen Diversität an Akteuren und deren Arbeitsteilung untereinander: Fuhrtiere, Kutscher, Landwirte, Wegknechte, Postillione und Fuhrhalter, um einige zu nennen. Im Zentrum der Masterarbeit stehen die Akteure der tierlichen Last- und Zugarbeit, wobei auch den Tieren im Sinne der Human Animal Studies eine agency zugesprochen wird. Die Darstellung und Einordnung der Akteure wird dabei durch die Untersuchung des sozialen Kosmos, der Organisation und des Einsatzbereiches der Fuhrtiere ergänzt. Somit können einerseits die strukturierenden Komponenten des Zusammenspiels zwischen menschlichen Akteuren und Akteursgruppen und andererseits die Ordnungspraktiken innerhalb der kontext-abhängigen Mensch-Tier-Beziehung erschlossen werden. Wichtige Quellen zur Untersuchung der institutionalisierten Organisation des Fuhrtierwesens stellen die Bekanntmachungen der Urner Regierung im Amtsblatt des Kantons Uri dar. Die Quellenarbeit brachte zahlreiche gesetzliche Regulierungen und Verordnungen zutage, welche in ihrer Tendenz eine Professionalisierung und qualitative Verbesserung des Fuhrtierwesens antrieben. Beispiele dafür sind das Verbot der Wagen mit zwei Rädern (Gabelwagen) 1876, die Verordnung gegen das Anwerben der Reisenden 1882 und die gesetzliche Einführung des Kutscherpatents 1906. Die Professionalisierung vollzog sich im Wechselspiel mit dem zunehmenden Tourismus sowie der Konkurrenz durch neue Verkehrsmittel wie das Automobil ab der Wende zum 20. Jahrhundert. Die informelle Organisation und die Mensch-Tier-Beziehung erschliessen sich weiter durch die zahlreich vorhandenen Bildquellen. Aus der Bildanalyse können Schlüsse zur Verteilung der Tierbestände und zum Einsatzbereich der unterschiedlichen Tierarten gezogen werden. Im Kontext der Reisemobilität und an Knotenpunkten des Verkehrs, etwa den Bahnhöfen in Flüelen oder Göschenen, wurden diesen Quellen nach fast ausschliesslich Pferde eingesetzt, wohingegen in den Seitentälern und dem Schneebruch am Gotthard primär Rinder, also Ochsen und Arbeitskühe, die Last- und Zugarbeit verrichteten. Neben der Bildanalyse stellen das Ideenkonzept der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ sowie die Einordnung der Zeitgeschehnisse und Veränderungen innerhalb des Spektrums zwischen „Kontinuität und Zäsur“ interpretative Instrumente zur Analyse dar. Der Verkehr im Kanton Uri seit der Eröffnung der Gotthard-Eisenbahnstrecke 1882 ist geprägt durch sich überlagernde Mobilitätsformen, die unterschiedlichen Narrativen unterliegen: auf der einen Seite die „moderne“ Eisenbahn, auf der anderen Seite das „veraltete“ Fuhr- und Kutschenwesen. Die Masterarbeit relativiert diese These, indem sie den Wandel des Kutscherwesens und das Zusammenspiel zwischen Eisenbahn und Kutschen sowie Omnibussen als Weiterführung eines kontinuierlichen Adaptionsprozesses interpretiert. Auf andere Teilbereiche der tierlichen Last- und Zugarbeit, allen voran den Schneebruch und Wintertransport am Gotthardpass, trifft hingegen die These zu, dass die Eisenbahn zu einer Zäsur im Fuhrtierwesen führte. Die Frage nach der Repräsentation der Tiere in den Quellen und der Historiografie kann nur durch das Herbeiziehen geografischer, wirtschaftlicher und sozialer Befunde beantwortet werden: So sind diejenigen Tiere, die an touristischen und verkehrstechnischen Hotspots eingesetzt wurden, im Falle des Urner Verkehrswesens die Pferde, auch die Tiere bzw. Tierarten, die am häufigsten abgebildet wurden.

Zugang zur Arbeit

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