Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Thomas
Späth
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2019/2020
Abstract
Die Nabatäer – eine im Nordwesten der arabischen Halbinsel lebende Bevölkerungsgruppe – haben ihrer Nachwelt, nebst einigen Inschriften und einzelnen Papyri, keine schriftlichen Quellen hinterlassen. Aus römisch-griechischer Perspektive ist jedoch eine Vielzahl von Quellen überliefert, die in ihrem Umfang stark variieren und aus verschiedenen Zeiten, Perspektiven und Textsorten stammen. In den meisten Überlieferungen werden die Nabatäer lediglich am Rande erwähnt, wobei ereignisgeschichtliche Inhalte, die quasi eine Geschichte der nabatäischen Aussenpolitik zeigen, im Vordergrund stehen. Zudem wird vor allem die nabatäische Wirtschaftsgeschichte und der Handel, primär des 1. Jahrhunderts n. Chr., thematisiert, was auf die verstärkten Handelsinteressen Roms im Osten zurückzuführen ist.
Eine stringente, chronologische Erarbeitung der nabatäischen Geschichte ist auf Basis der erhaltenen Quellen kaum möglich. Aus diesem Grund, sowie auch dank der zahlreichen archäologischen Funde, am bekanntesten wohl jener von Khazne al-Firaun in der Königsstadt Petra, wird die aktuellste Nabatäerforschung grösstenteils von der Archäologie getragen. Im Zuge dieser Masterarbeit wird der Zugang zu der Geschichte, oder vielmehr «der Welt» der Nabatäer mittels der antiken Ethnografie gewonnen.
Im Zentrum stehen die Darstellungen der Nabatäer in Strabons Geographica, Flavius Josephus’ Antiquitates Judaicae und De bello Judaico sowie der Naturalis historia von Plinius dem Älteren. Die Arbeit besteht im Wesentlichen aus zwei korrespondierenden Hauptteilen. Der erste beinhaltet die Analyse der vier ausgewählten Werke. Dazu wurden alle Textstellen untersucht, die Aussagen zu den Nabatäern, sei es als Gruppe oder als einzelne Personen, Aussagen über Handlungen und Objekte, die als Teil einer nabatäischen Kultur verstanden werden können, oder Aussagen über ihren Lebensraum beinhalten. Dadurch konnten drei aus verschiedenen Aspekten bestehende Nabatäerbilder erarbeitet werden, die in einem nächsten Schritt verglichen wurden, um Parallelen und Diskrepanzen erkennbar zu machen. Bei dieser Untersuchung wurde erwartet, dass autorenspezifische Nabatäerbilder festzustellen sind, die aus teilweise ähnlichen Elementen bestehen und eventuell sogar eine Art Darstellungsmuster aufweisen. Für diesen Teil der Arbeit ist die Richtigkeit oder Falschheit der von Plinius, Josephus und Strabon gemachten Aussagen absolut irrelevant und ihre ethnografischen Berichte sollen keiner Wertung in irgendeiner Form unterzogen werden.
Eine kritische Betrachtung der herausgearbeiteten Nabatäerbilder findet sich im zweiten Teil der Arbeit, in dem die Vorstellungen der antiken Autoren mit der zeitgenössischen Nabatäerforschung in Verbindung gesetzt werden. Während im ersten Teil einzig und allein die vier Werke im Fokus stehen, werden hier die Einordnung und Rezeption der ethnografischen Darstellungen, ihr Zusammenhang mit anderen literarischen Quellen, sowie die zahlreichen archäologischen, numismatischen und epigrafischen Funde miteinbezogen. Die Auseinandersetzung mit der aktuellen Nabatäerforschung verfolgte das Ziel, das Bild der Nabatäer in der Forschung mit den antiken Darstellungen zu konfrontieren. Dabei wird die These überprüft, dass – nicht zuletzt wegen der Quellen- armut – einzelne der ethnografischen Elemente in der Forschung übernommen respektive in der älteren Forschung als Tatsachen akzeptiert wurden, die heute aber differenzierter zu betrachten sind und möglicherweise durch die Archäologie sogar einzelne Annahmen wiederlegt werden können.
Im Rahmen der Quellenanalyse konnte für jeden der drei Autoren ein aus verschiedenen Aspekten bestehendes Nabatäerbild herausgearbeitet werden. Der Vergleich der verschiedenen ethnografischen Motive hat zwar gezeigt, dass sich durchaus Parallelen und Unterschiede festmachen lassen, aber nicht von einem einheitlichen Darstellungsmuster ausgegangen werden kann. Welche ethnografischen Aspekte die Autoren erwähnen, scheint stark mit der übergeordneten Thematik ihrer Werke zusammenzuhängen. Dies zeigt, dass die antiken ethnografischen Exkurse einen bestimmten
Zweck innerhalb eines grösseren Textes erfüllen. Dadurch werden aber die Vergleichsmöglichkeiten unweigerlich eingeschränkt. Hinsichtlich der Nabatäerforschung konnte gezeigt werden, dass die Berichte von Strabon, Plinius und Josephus das vorherrschende Nabatäerbild massgeblich geprägt haben. Das sie mit ihren ethnografischen Exkursen äusserst unterschiedliche Themen bedienen, wird als glücklicher Umstand betrachtet, da zu einzelnen Bereichen keine anderen Quellen existieren. Gerade aus diesem Grund wird wohl der Grossteil ihrer Aussagen akzeptiert. Zu durch andere Quellentypen gewonnenen Erkenntnissen scheinen kaum Widersprüche zu bestehen. Allerdings bieten die literarischen Quellen zu einigen Aspekten der nabatäischen Geschichte und Kultur, wie zum Beispiel ihrer Sprache und Religion, die im Fokus der archäologischen Forschung stehen, überhaupt keine Informationen. Hier zeigt sich der interdisziplinäre Ansatz, der epigrafische und archäologische Quellenmaterialien einbezieht, die in gewisser Weise eine «Selbstdarstellung» der Nabatäer vermitteln, als eine für die aktuelle Forschung entscheidende Ergänzung. Sie erlauben, einige Aspekte des antiken Nabatäerbildes, insbesondere die antiken Aussagen über Kollektiveigenschaften der Nabatäer, zu revidieren.