Open Access in den Geschichtswissenschaften

Autor / Autorin des Berichts
Julia
Wermelinger
Universitätsbibliothek Bern
Zitierweise: Wermelinger, Julia: Open Access in den Geschichtswissenschaften, infoclio.ch Tagungsberichte, 28.02.2020. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0224>, Stand: 22.10.2024
PDF-Version des Berichts Das Thema Open Access (OA) hat unter Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern das Potenzial zu Kontroversen.1 Die von der Universitätsbibliothek Bern organisierte Tagung warf deshalb die Frage nach OA in den Geschichtswissenschaften bewusst erneut auf, um die Diskussion weiter zu vertiefen und sie um neue Perspektiven zu erweitern. Neben den aktuellen Entwicklungen wurde das Augenmerk auf die Strategien von Forschungsförderern und wissenschaftlichen Infrastrukturdienstleistern wie Archive und Bibliotheken gerichtet. Vor allem aber kamen die Perspektiven von Historikerinnen und Historikern verschiedener akademischer Ebenen zur Sprache. In seinem Grusswort erinnerte NIKLAUS LANDOLT (Bern) an die Notwendigkeit des freien Zugangs zur Forschung und ihren Ergebnissen. Eigentlich sei der Gedanke des OA einfach und naheliegend, der Weg dorthin aber voller Hürden aufgrund der Vielzahl der beteiligten Akteure und ihrer zum Teil widersprüchlichen Interessen. Auch fehle ein breiter Diskurs in der Öffentlichkeit. Die Rolle der Bibliotheken betrachtete Landolt selbstkritisch: Diese hätten zwar den Auftrag zur öffentlichen Informationsversorgung, hätten aber lange Zeit in Angebote investiert, die nicht allen zugänglich seien. OA liege demgegenüber auf einer Linie mit dem Auftrag der Bibliotheken, freien Zugang zu Wissen und Wissenschaft zu schaffen. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF), so erläuterte sein Vertreter DANIEL KRÄMER (Bern), fördere exzellente Forschung und biete Unterstützung beim Hinaustragen der Forschungsergebnisse in die Gesellschaft. Krämer umriss die OA-Förderbedingungen und -modalitäten des SNF und betonte, diese würden flexibel genug gehandhabt, um Forschenden verschiedene Publikationswege offenzuhalten. Eine der Strategien des SNF sei die Konfrontation der Verlage mit der Forderung nach OA, wenngleich darauf verzichtet werde, scharfe Konsequenzen für die Forschenden zu ziehen. Krämer führte weiter aus, dass der SNF ausreichend finanzielle Mittel für die OA-Publikationen reserviert habe und Hürden bei der Beantragung reduziere, dass aber gerade von den Geisteswissenschaften nur sehr wenige Anträge eingingen. Momentan habe der SNF zwar das „Zuckerbrot, aber keine Peitsche“, so Krämer. Zentral war auch der Hinweis, dass der SNF die Transformation hin zu OA als Teil eines grösseren Wandels im Wissenschaftssystem sieht, der etwa auch eine Abkehr von Metriken wie dem Impact-Faktor umfasse – der SNF habe hier mit der Unterzeichnung der DORA-Erklärung seine Position klar bekundet. GERO SCHREIER und LENNART GÜNTZEL (beide Bern) gaben einen einleitenden Überblick über die OA-Landschaft im deutschsprachigen Raum und insbesondere in der Schweiz. Schreier zeigte, dass – in Gestalt von OA-Policies und -Strategien von Wissenschaftsinstitutionen, Forschungsförderern und Universitäten – in der Schweiz klare Signale für OA bestünden, OA jedoch in der konkreten Implementierung z.B. durch Online-Plattformen in etlichen Fällen mit blossem Online-Publizieren verwechselt werde. Als Kriterium zur Unterscheidung zog er das Vorhandensein bzw. Fehlen von offenen Lizenzen wie CC BY oder CC BY-SA heran, die laut der Berliner Erklärung von 2003 essentieller Bestandteil von OA seien. Güntzel nahm ergänzend das Angebot zentraler Verlage für die Geschichtswissenschaften aus der OA-Perspektive in den Blick. Ihr Fokus liege klar auf dem grünen Weg. Grossverlage böten im Gegensatz zur kleineren Konkurrenz ein ausgefeilteres Produktportfolio an und kämen den Forschenden mit kurzen Sperrfristen entgegen. Sie zeigten allerdings keine grossen Bemühungen, goldene OA-Publikationen zu ermöglichen, weder wenn es um Artikel noch um Monographien gehe. Die Lage der Geschichtswissenschaften sei in dieser Hinsicht prekär. Als positives Beispiel nannte Güntzel den Chronos-Verlag aus Zürich. Dieser verlege auch OA-Monographien und halte sich explizit an Vorgaben des SNF. Vom Plenum wurde zu bedenken gegeben, was den Verlagen als Alternative zum grünen Weg übrigbliebe, wenn sie keine APCs erheben und Subskriptionen einnehmen würden. RAINER HERING (Hamburg) sprach aus der Perspektive der Archive, zentraler Institutionen für die Arbeit vieler Historikerinnen und anderer Geisteswissenschaftler. Er unterstrich die Chancen, die OA als Publikationsmodell für Archive bei der Vermittlung ihrer Bestände bietet. Die OA-Publikation von Findbüchern komme den Arbeitsstrategien vieler Archivnutzender entgegen, während die zusätzliche Print-on-Demand-Option auch in repräsentativen Kontexten eine wichtige Rolle spielen könne. Zudem erschlössen solche OA-Publikationen archivalische Angebote weiteren, auch internationalen Kreisen. Unvermeidlich war die in der Diskussion aufgeworfene Frage nach der Digitalisierung von Archivbeständen. Hering wies dazu – neben der ebenso unvermeidlichen Ressourcenfrage – vor allem auf zwei Aspekte hin: Bei Historikerinnen und Historikern zeige sich ein tiefer Wille zum Original und der Archivbesuch werde als selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit betrachtet. Zudem komme es nicht nur auf Abrufbarkeit von Archivgut an, sondern auch auf dessen Kontextualisierung und Einordnung innerhalb der Überlieferung, die bei Massendigitalisierung nicht immer gewährleistet sei. Eingewendet wurde in der Diskussion, dass Schweizer Archive ihre Kundschaft immer häufiger in virtuellen Lesesälen bedienten und es wichtig sei, dass besonders die Findmittel breitenwirksam und benutzerfreundlich zugänglich seien. CHRISTINE SCHMITT (Köln) präsentierte die Kölner Plattform Modern Academic Publishing (MAP), die am dortigen Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit von Gudrun Gersmann ins Leben gerufen wurde. Ziel dieser Plattform sei es, ein Publikationsmodell jenseits des klassischen Verlagsmodells zu entwickeln, das nah an der Forschung ist und den wissenschaftlichen Nachwuchs sichtbar macht. Sei am Anfang die Publikation herausragender Dissertationen im Vordergrund gestanden, könnten heute eine Vielzahl von Forschungsoutputs auf dem goldenen Weg und mit einer CC BY-Lizenz publiziert werden. Zur Steigerung der Reichweite sei eine Zusammenarbeit mit OAPEN eingegangen worden, die zu deutlich mehr Downloads von Monographien geführt habe. Für die Qualität der Inhalte bürge die Universität, so Schmitt, und mithilfe der DOI-Vergabe liesse sich nicht nur die Zitationsrate verfolgen, sondern auch eine einheitliche Zitationsweise erreichen. MORITZ FEICHTINGER (Bern) vertrat die Sicht der akademischen Nachwuchsforschenden und kündigte einleitend an, aus dieser Perspektive dezidiert kritische Töne zu OA hörbar zu machen. Vor allem bezog er sich auf eine Reihe von Interviews, die er mit anderen Nachwuchsforschenden zu diesem Thema geführt hatte. Der Grundtenor sei dabei Zuspruch zu einer Publikation von Postprints auf dem grünen Weg, die Veröffentlichung sollte aber nicht nur auf den Universitätsrepositorien, sondern auch auf anderen Plattformen möglich sein. An diesem Punkt sah Feichtinger die Institute und Forschungseinrichtungen in der Pflicht: Es müssten Fachportale und -plattformen gegründet werden, die eine Veröffentlichung attraktiv machten, indem sie Qualitätskontrolle und Zitationsfähigkeit von Veröffentlichungen böten. Denn junge Historikerinnen und Historiker bräuchten die Sichtbarkeit und Reputation in der jeweiligen Peergroup für die weitere Karriere. Die Geschichtswissenschaften befänden sich in einer Übergangsphase, so Feichtinger, in der die Forschungsförderer den öffentlichen Zugang zu den Forschungsergebnissen forderten, die passenden Publikationsorgane aber fehlten. Die Umsetzung dieses angestrebten Strukturwandels dürfe aber nicht auf dem Rücken des Nachwuchses ausgetragen werden. Als grosse Hürde identifizierte er das Fehlen positiver Vorbilder: Repositorien seien wenig bekannt, OA-Journals fast inexistent. Es gebe nur sehr wenige OA-Monographien und auf Rezensionsportalen würden diese nur sehr selten behandelt. Zudem gebe es keine gängige Lösung bei der Online-Publikation von Bildern oder Digitalisaten. Nicht zuletzt könne den Forschenden eine emotionale Bindung ans eigene Werk und seiner physischen Repräsentation nicht abgesprochen werden. Die Forderung nach der Initiative durch die Institute blieb auf der Tagung nicht ungehört, wenngleich in der anschliessenden Diskussion eingewendet wurde, es fehle an der Finanzierung solcher Fachportale, da diese selbsttragend sein müssten. Dirk Verdicchio bilanzierte, dass die Historikerinnen und Historiker OA grundsätzlich offen gegenüber stehen, die Idee als solche werde nicht mehr kategorisch abgelehnt. Doch fehle es an Infrastrukturen und einer Kultur in der Forschungsgemeinde der Geschichtswissenschaften, die ein rasches Vorantreiben von OA-Lösungen ermöglichten. Von der Seite der anwesenden Historikerinnen und Historiker wurde zu bedenken gegeben, dass Kollaborationen in den Geisteswissenschaften, wie sie z.B. zur Umsetzung von Fachrepositorien nötig wären, selten seien und die Reputationsgewinnung innerhalb des Faches weitgehend auf formalen Kategorien, z.B. Veröffentlichen in angesehenen Reihen und Zeitschriften, beruhe. Daniel Krämer fügte an, dass auch die Handlungsmöglichkeiten des SNF und anderer Forschungsförderer in diesem Zusammenhang begrenzt seien, insofern sie die Reputation der Journals nicht steuern können und man nicht wisse, wie sich die Verlage in Zukunft verhalten würden. Der Druck, im OA zu publizieren, werde aber zunehmen, nicht zuletzt unter Einwirkung der von der Europäischen Union eingeschlagenen Förder- und Wissenschaftspolitik. So bedarf es schliesslich eines kritischen Blicks der Geschichtswissenschaften auf sich selber: Wie sieht es mit der Publikations- und Reputationskultur genau aus, wo sind Kooperationen möglich und was wäre zu gewinnen?


Anmerkungen 1 Julia Wermelinger ist wissenschaftliche Bibliothekarin i. A. an der Universitätsbibliothek Bern und unterstützte das Organisationsteams administrativ. Programm Niklaus Landolt (Direktor Universitätsbibliothek Bern): Grusswort Daniel Krämer (Schweizerischer Nationalfonds): Open-Access-Strategie des SNF im Kontext der Geisteswissenschaften Lennart Güntzel, Gero Schreier (Universitätsbibliothek Bern): Open Access in der Schweizer Geschichtswissenschaft Rainer Hering (Landesarchiv Schleswig-Holstein/Universität Hamburg): Präsenz durch Publikationen. Open-Access-Publishing als Perspektive für Archive Christine Schmitt (Universität zu Köln): MAP (Modern Academic Publishing): Junge WissenschaftlerInnen sichtbar machen! Wissenschaftsgetriebene Formate des OA Publizierens Moritz Feichtinger (Universität Bern): Gold, grün oder gar nicht? Junge Forschende in der Geschichtswissenschaft und Open Access Schlussdiskussion
Veranstaltung
Open Access in den Geschichtswissenschaften
Organisiert von
Fachreferat Geschichte und Abteilung Open Science, Universitätsbibliothek Bern
Veranstaltungsdatum
Ort
Bern
Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference