Panelbericht: „Geld macht nicht glücklich“. Wissenskulturen des Glücks in historischer Perspektive

Autor / Autorin des Berichts
Nicolas
Mennel
Universität Zürich
Zitierweise: Mennel, Nicolas: Panelbericht: „Geld macht nicht glücklich“. Wissenskulturen des Glücks in historischer Perspektive, infoclio.ch Tagungsberichte, 13.08.2019. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0218>, Stand: 13.12.2024

Verantwortung: Pascal Germann / Marianne Sommer
Referierende: Isabelle Haffter / Sibylle Röth / Wiebke Wiede

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Die Volkswirtschaft China boomt und damit auch das individuelle Wohlstandsniveau. Doch werden die Chinesinnen und Chinesen damit auch glücklicher? PASCAL GERMANN (Bern) begrüsste die zahlreichen Anwesenden und lieferte eine klare Antwort auf die einleitende Frage: «Nein.» Die chinesische Bevölkerung sei in den letzten Dekaden unglücklicher geworden und wenn es – gemäss den regelmässigen Umfragen des Staatsfernsehens – einen Ort mit sehr glücklichen Bewohnerinnen und Bewohnern gäbe, dann sei dies die tibetische Hauptstadt Lasa. Mit diesem Augenzwinkern leitete Germann über zum Ziel des Panels: Die Referate sollen dem historiographisch einseitigen Trend einer Ideengeschichte des Glücks entgegenwirken und eine Forschung vorstellen, die mit wissenshistorischen Ansätzen die sozialen, politischen und epistemischen Voraussetzungen und Effekte unterschiedlicher Glückskulturen untersucht.

In ihrem Referat zeigte SYBILLE RÖTH (Konstanz), dass der Topos der materiellen «Unvorbedingtheit» des Glücks am Vorabend der Politisierung der Aufklärung im Diskurs der Oberschicht auftauchte Die ihrer Forschung zugrundeliegenden Quellen zeigen nämlich, dass in der Untersuchung des Zusammenhangs von Glück und Geld stets mit denjenigen gearbeitet wird, die die Wahl zwischen teuren Konsumgütern und immateriellen Werten haben. Röth zeigte an einem ersten Quellentypus, dass Zufriedenheit als vollständig losgelöst von äusseren Bedingungen betrachtet wurde. In seinem Werk «Mannigfaltigkeiten» aus dem Jahre 1772 räumte Friedrich Heinrich Wilhelm Martin ein, dass die Verteilung der äusseren Güter zufällig sei und Unzufriedenheit produzieren könne.1 Der Weg zur Zufriedenheit hänge aber letztlich von der inneren Haltung ab und stelle eine Art psychologische Selbsttechnik dar, sodass Begehrlichkeiten gegenüber dem Unerreichbaren als moralisches Defizit erschienen. Zahlreiche Schriften der deutschen Aufklärung zielen aber auch auf die Anerkennung des Gleichwertigen, aber Ungleichen – und damit nicht auf Gleichheit. Röth liest aus ihrem Quellenkorpus heraus, dass in der deutschen Aufklärung die Ausgewogenheit der ständischen Ordnung das Leitnarrativ zum gegenseitigen Vorteil bildete. So erlange man Glückseligkeit, indem man an seinem vorbestimmten zugeordneten Platz seine Aufgabe erfüllt und so seinen Teil zum Funktionieren des Ganzen beiträgt. Die Stossrichtung des deutschen «Glücksdiskurses» verdeutlichte Röth anhand eines Vergleiches mit dem Schweizer Denker Franz Joseph Bühler. Dieser fragte ebenfalls nach der Erreichung der Glückseligkeit innerhalb einer republikanischen Verfassung und nannte entgegen dem deutschen Diskurs äussere Vorbedingungen. Er argumentierte anhand menschlicher Bedürfnisse, wie der Freiheit vor Willkür und der sozialen Sicherheit, die Bühler als unabdingbare äussere Voraussetzung sah. Abschliessend stellte die Historikerin einen Vergleich zur politisierten Aufklärung her und stellte fest, dass zusammen mit dem Staatsziel der Glückseligkeit auch die Thematisierung der Zufriedenheit weitgehend aus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ausgesondert werde. Der Schwerpunkt liege dann auf der Freiheit, die ihrerseits als materiell unvorbedingt gelte. Der von Bühler thematisierte Zusammenhang der materiellen Vorbedingtheit von Freiheit und Zufriedenheit wurde aber auch zu diesem Zeitpunkt im deutschen Diskurs nicht aufgegriffen.

Essenzielles Material zur Untersuchung von Glückskulturen stellt für ISABELLE HAFFTER (Luzern) die sogenannte Ratgeberliteratur dar, die es erlaube, den Zeitgeist in Bezug auf soziokulturelle Aspekte des Glücks zu erfassen. Glückswissen in Ratgebern sei stets geprägt von Brüchen, Kontinuitäten und Ambivalenzen, was Haffter anhand verschiedener Beispiele aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit dokumentierte. 1930, die Weltwirtschaftskrise versetzte damals die Bevölkerung in grosse Nöte, wurde das Theaterstück «Wie werde ich reich und glücklich?» uraufgeführt. Der Regisseur Mischa Spoliansky traf mit seiner Konzeption den Zeitgeist: Der Protagonist des Stücks findet in seiner verzweifelten Situation der Arbeitslosigkeit eine Broschüre mit einer Anleitung und dem Versprechen, seine individuellen Probleme in Bezug auf die Liebe und die finanzielle Situation lösen zu können. Das Stück sei aufgrund der satirischen Entlarvung pluralistischer Denkformen so erfolgreich gewesen. Durch die Elemente der Ironie und der Parodie seien gesellschaftliche Werte stark in Frage gestellt worden. Psychologisches Wissen aus der Fach- und Ratgeberliteratur war ab 1900 äusserst gefragt und konnte deshalb so erfolgreich eingesetzt werden, weil sich Menschen über alle politischen Brüche hinaus mit der Glückseligkeit beschäftigen, argumentierte Haffter. In den 1930er Jahren, zur Zeit des NS-Regimes, hätten sich zahlreiche Ratgeber etabliert, in denen der Weg zum Glück an die vorherrschende Ideologie angepasst war. Neu war hierbei vor allem das Glücksgefühl, das durch das Kollektiv erreicht werden konnte. Völkische, antisemitische und massenpsychologische Ansätze hätten zu dieser Zeit die Ratgeberliteratur dominiert, so Haffter. Offen bleibt hierbei aber die Frage, wie und ob sich durch die Ratgeberliteratur tatsächlich ein performativer Akt ausgestaltete.

«Glücklich sein kann nur, wer sich der Lohnarbeit hingibt!» Dieses auch gegenwärtig weit verbreitete Narrativ kehrt WIEBKE WIEDE (Trier) um, wenn sie die Protestpraktiken der «Glücklichen Arbeitslosen» untersucht. Diese rehabilitierten in einem Manifest von 1996 das Lafarguesche Recht auf Faulheit und behaupteten, glückliches Nichtstun sei möglich. Während den 1980ern wandte sich die Forschung stärker der Zwischenkriegszeit zu; die Arbeitslosenforschung differenzierte sich aus und der Belastungsdiskurs der Arbeitslosigkeit erhielt mehr Gewicht, so Wiede. Anhand verschiedener Zeitungsausschnitte des deutschen Boulevardblatts «Bild-Zeitung» zeigte die Historikerin auf, dass für Arbeitslose verständnisvolle sowie bemitleidende Töne angeschlagen wurden. Faulheitsmetaphern seien erst mit der Einführung des Hartz-Programms aufgekommen. So seien die sogenannten Drückeberger diffamiert und ihnen das «Abhängen» in der sozialen Hängematte vorgeworfen worden. Eine kurze Zeit des Glücks erlebten die Arbeitslosen anfangs des 21. Jahrhunderts. Die medienwirksame Organisation der «Glücklichen Arbeitslosen» behauptete, ihr «Glück» hinge nicht von Erwerbsarbeit ab. Wiede präsentierte die durchaus witzigen Aktionen dieser Bewegung: So gaben die «Glücklichen Arbeitslosen» etwa regelmässig eine Zeitschrift mit dem Titel «Müssiggangster» heraus. Ausserdem wurden Happenings, Kunstaktionen oder kurzzeitige Bankenokkupationen veranstaltet und selbst ein Tauglichkeitstest zur Eignung als Glücklicher Arbeitsloser kursierte. Wiede vertritt die Meinung, dass das Widerstandspotential der Glücklichen Arbeitslosen unterschätzt werde. Sie hätten durch ihre subversive Haltung einen kritischen Diskurs entgegen dem Zusammenhang von Glück und Lohnarbeit provoziert und verbreitet. In ihrem Fazit gab Wiede zu verstehen, dass sich die Rede vom Glück gegen Ende des 20. Jahrhunderts stark verbreitete; auch die grossen Auflagen der Faulheitsratgeber zeugten von einem sich etablierenden System neoliberaler Wertehaltungen.

Sämtliche Referate boten spannende Perspektiven und zeigten, wie vielfältig und differenziert sich der Weg zur Glückseligkeit erforschen lässt. Die Referate zeigten, dass die Beschäftigung mit dem Thema unabhängig von Raum und Zeit stattfindet und je nach politischen oder sozialen Rahmenbedingungen anderen Normen unterliegt. So zeigte auch die animierte Fragenrunde zum Schluss, dass es sich um eine Thematik handelt, die neugierig macht. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich Menschen täglich damit beschäftigen, ob sie glücklich sind oder nicht.

 


 

 

 

Anmerkungen

1 Martini: Die Zufriedenheit, in: Mannigfaltigkeiten 1772, S. 276f.

 


 

 

 

 

Panelübersicht:

Röth, Sibylle: Über die materielle Unvorbedingtheit des Glücks. Ein Beitrag zum öffentlichen Diskurs der deutschen Aufklärung

Haffter, Isabelle: „Wie werde ich reich und glücklich?“. Individuelle und kollektive Glückswissenspraktiken am Beispiel der Ratgeberliteratur in den 1930er und 1940er Jahren

Wiede, Wiebke: Die glücklichen Arbeitslosen. Wissenskulturen und Protestpraktiken seit den 1970er-Jahren

Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Veranstaltung
5. Schweizerische Geschichtstage
Organisiert von
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Veranstaltungsdatum
Ort
Zürich
Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference