Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2018/2019
Abstract
Im Herbst 1972 wurde das erste Soldatenkomitee (SK) der Schweiz als Reaktion auf den Umgang der Schweizer Armee mit kritisch denkenden Rekruten gegründet. Das SK war eine kleine Gruppe von Personen, die ausserhalb des Militärs tätig waren und den Kampf der Rekruten in und gegen die Armee unterstützten. Das Komitee setzte sich insbesondere für die Rechte der Rekruten und eine Demokratisierung der Armee ein. Im Laufe eines Jahres entstanden diverse weitere SK, die in den Jahren 1973 – 1977 durch verschiedene Aktionen auf sich und die unbefriedigende Situation in der Armee aufmerksam machten. Solche Aktionen waren Flugblatt- oder Zeitschriftenverteilungen, Vorbereitungsabende für angehende Rekruten, Herausgabe eigener Zeitschriften, aber auch Aktionen in den Rekrutenschulen (RS) wie Meutereien, Solidaritätsbekundungen oder Petitionen an militärische Kader oder das Eidgenössische Militärdepartement (EMD).
Neben anderen (neuen) sozialen Bewegungen in den 70er Jahren, wie der Frauen- oder der Ökologiebewegung, fanden die SK in der bisherigen Forschung wenig Beachtung. Einzig Marc Lutz/ Christoph Wyniger (2017) widmeten ihnen in ihrer Monografie „Der Kampf um die Schweizer Armee 1966 – 2003“ ein eigenes Kapitel. Obwohl die SK darin ausführlich beschrieben werden, fehlt eine Darstellung der Gegenseite. Denn die Ziele und Aktionen der SK waren ganz direkt gegen die Armee und das EMD gerichtet. Die vorliegende Arbeit geht deshalb der Frage nach, wie das EMD auf diese „armeefeindlichen“ Aktionen der SK in den Jahren 1972 – 1977 reagierte.
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Gründung des ersten Komitees 1972 und endet mit der Auflösung der Nationalen Koordination der SK 1977. Diese Periode wird quellentechnisch gestützt, da das EMD selbst in internen Dokumenten im genannten Zeitraum in den SK eine konkrete Gefahr für den Dienstbetrieb sah. Während Lutz/ Wyniger vor allem mit Quellen arbeiteten, die von den SK selbst produziert wurden und entsprechend deren Sichtweise präsentieren, bediente sich der Verfasser dieser Arbeit hauptsächlich militärischer oder bundesstaatlicher Dokumente, um eine andere Betrachtungsweise darzustellen. Als Quellen dienten interne, vertrauliche, teilweise geheime Dokumente, die entweder von Waffenplätzen mit Rekrutenschulen, meist von den Schulkommandanten, an höhere Stellen gesandt wurden, oder aber Dokumente, die innerhalb des EMD genutzt wurden. Darüber hinaus wurden auch offizielle Befehle und Verordnungen verwendet, die auf die zeitgenössischen Begebenheiten reagierten und somit Rückschlüsse über die Anpassungsfähigkeit oder die Reaktionen des EMD auf die SK zulassen.
Die Arbeit ist grundsätzlich in zwei Teile gegliedert. Zunächst ein kürzeres Kapitel, das konkret auf die SK eingeht und dabei versucht, Forschungslücken von Lutz/Wyniger zu schliessen. Das anschliessende Hauptkapitel beschreibt den Umgang des EMD mit den SK und ihren Aktionen und stellt in dieser Form, soweit dem Verfasser bekannt, ein Forschungsnovum dar. Während die SK in den Jahren 1973 und 1974 vor allem in den „heissen“ Sommer-RS aktiv waren und mit verschiedenen Aktionen, die durchaus auch eine politische Dimension annahmen, Bekanntschaft erlangten, reagierte das EMD zögerlich. Zwar existierte der sogenannte „Hirschy-Befehl“ bereits seit Ende 1972, doch wurde dieser wegen einer allgemeinen Zunahme der politischen Betätigung innerhalb der Armee erlassen und nicht als Reaktion auf die Gründung der ersten SK. So wurden die SK zunächst mehr als lästige Begleiterscheinung in einer stärker politisch engagierten Jugend gesehen. Erst durch die angesprochenen aktiven Jahre 1973 und 1974 wurde eine Entwicklung innerhalb des EMD sichtbar. Die SK, vor allem von den Schulkommandanten schon länger als störend empfunden, wurden nun auch vom EMD und der Bundespolizei als ein ernsthafter Gefahrenherd für die militärische Ordnung betrachtet. Das EMD erliess eine Reihe von Befehlen und Verordnungen, um gegen die „Agitatoren“ vorzugehen. Ausserdem wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich explizit mit der Agitation in und gegen die Armee beschäftigte. Auf Initiative dieser Arbeitsgruppe hin wurde ein Ausbildungslehrgang für höhere Berufsoffiziere geschaffen, der sich explizit der Agitationsabwehr in der Armee widmete. Der tatsächliche Erfolg des Lehrganges ist jedoch schwer einzuschätzen, da die Aktionen der SK nach 1975 bereits wieder an Qualität einbüssten. Die schwierige wirtschaftliche Situation brachte viele junge Männer dazu, sich auf essenzielle Probleme (wie z. B. Arbeitslosigkeit) zu konzentrieren. Das ideelle Motiv des Antimilitarismus der SK war deshalb zum Scheitern verurteilt. Dazu kamen interne Auseinandersetzungen über das richtige Vorgehen der Soldatenbewegung, die ihren Niedergang beschleunigten. Es war deshalb schliesslich eine kurze Periode, in der sich das EMD mit den armeefeindlichen Umtrieben der SK zu beschäftigen hatte. Die SK existierten auch nach 1977 noch, erreichten aber nie mehr die Wirkung der Jahre 1973 und 1974.