Die Aufrechterhaltung des humanitären Selbstbildes. Eine Auseinandersetzung mit der schweizerischen Asylpraxis der 1970er Jahre, anhand der Aufnahme chilenischer und südvietnamesischer Flüchtlinge

AutorIn Name
Leonie
Schmid
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Kristina
Schulz
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2017/2018
Abstract
Als 1973 in Chile der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende durch den Militärdiktator Augusto Pinochet gestürzt wurde, sahen sich tausende Chileninnen und Chilenen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Zahlreiche der politisch aus dem linken Lager stammenden Personen ersuchten um Asyl. Zwei Jahre später eroberten die kommunistischen Truppen Nordvietnams den westlich geprägten südlichen Landesteil. Unzählige Menschen ergriffen die Flucht und versuchten, auf Fischerbooten sichere Nachbarländer zu erreichen. Sie waren auf die Solidarität und Aufnahmebereitschaft dieser Erstasylstaaten, aber auch der internationalen Gemeinschaft, angewiesen. Die Masterarbeit mit dem Titel Die Aufrechterhaltung des humanitären Selbstbildes. Eine Auseinandersetzung mit der schweizerischen Asylpraxis der 1970er Jahre, anhand der Aufnahme chilenischer und südvietnamesischer Flüchtlinge untersucht die Asylpraxis der Schweiz gegenüber den beiden genannten Flüchtlingsgruppen. Grundlage der Untersuchungen bilden die Bestände des Eidgenössischen Justizund Polizeidepartements zu den chilenischen und den vietnamesischen Flüchtlingen. Anhand dieser lassen sich die behördlichen Reaktionsschritte nachzeichnen sowie die Diskussionen und Entscheidungsprozesse nachvollziehen. Wie reagierte der Bundesrat auf die chilenischen Flüchtlinge, deren politische Ideologie derjenigen der antikommunistisch geprägten Schweiz widersprach? Wie agierten die Behörden gegenüber den vietnamesischen Flüchtlingen, welche die Schweiz in einer von Überfremdungsdebatten und wirtschaftlicher Rezession geprägten Zeit erreichten? Die Arbeit thematisiert auch weitere involvierte Akteure, die innerhalb des erwähnten Aktenbestandes relevant sind. Bei der Debatte um die Asylgewährung für chilenische Flüchtlinge formierte sich mit der Freiplatzaktion eine breit abgestützte zivilgesellschaftliche Bewegung, welche die Aufnahmepraxis des Bundesrates kritisierte. Diese Konfrontation legte den Grundstein zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Alleinmacht des Bundesrates bei Entscheidungen im Asylbereich und machte das Fehlen eines eidgenössischen Asylgesetzes deutlich: Flüchtlinge hatten bis zum Inkrafttreten eines gesonderten Asylgesetzes im Jahr 1981 rechtlich denselben Status wie alle Ankommenden ausländischer Herkunft. Neben behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren – etwa Hilfsorganisationen, kirchliche und politische Organisationen – wird, besonders beim Fallbeispiel Vietnam, die Rolle des UNO Hochkommissariats für Flüchtlinge in die Untersuchungen miteinbezogen. Die Schweiz hatte sich in den 1950erund 1960er Jahren durch die grosszügige Aufnahme verschiedener Flüchtlingsgruppen ausgezeichnet. So hatten nach bundesrätlichem Beschluss etwa 12’000 Menschen aus Ungarn und etwa 13’000 Personen aus der Tschechoslowakei bedingungsloses Asyl erhalten. Diese grosszügigen Flüchtlingsaufnahmen bestärkten ein humanitäres Selbstbild, welches während der Zeit des Zweiten Weltkrieges seine Glaubwürdigkeit verloren hatte. Das Image der Schweiz sollte wieder aufgebessert werden. Dass es sich bei den Ankommenden um Opfer eines kommunistischen Systems handelte, bestärkte die zwar neutrale, doch klar westliche Positionierung, welche die Schweiz während des Kalten Krieges anstrebte und die sie aus der wirtschaftlichen und politischen Isolation herausführen sollte. Von dieser Imageaufbesserung konnte die Schweiz wirtschaftlich pro tieren: Das Land befand sich in einer Hochkonjunktur, in welcher Arbeitskräfte benötigt wurden. Die Untersuchung zeigt auf, dass die Liberalität des schweizerischen Aufnahmeregimes in den 1970er Jahren relativiert wurde. Der Bundesrat nahm sowohl bei der Frage um die Aufnahme chilenischer als auch vietnamesischer Flüchtlinge eine passive und restriktive Haltung ein. Die Debatten um die Aufnahme chilenischer Flüchtlinge endeten in einem erbitterten Konflikt zwischen der Landesregierung und der Freiplatzaktion, welcher gar einen Gerichtsprozess nach sich zog. Der Bundesrat hatte die Freiplatzaktion der Organisation illegaler Einreise angeklagt, nachdem diese begonnen hatte, Menschen aus Chile die Reise in die Schweiz zu ermöglichen. Der Freispruch der Freiplatzaktion wurde damit begründet, dass es sich bei den eingereisten Chileninnen und Chilenen um Verfolgte gehandelt hatte und die Hilfe zur Flucht somit – obwohl illegal – aus ehrenwerten und im Sinne des Gesetzes der schweizerischen Flüchtlingstradition entsprechenden Motiven erfolgt war. Dieses Gerichtsurteil trug wesentlich zu einem Wandel der schweizerischen Asylpolitik bei, welcher sich in der Formierung eines eidgenössischen Asylgesetzes zeigte, sowie auch auf struktureller Ebene in einer Pluralisierung der Akteure und in der Regelung neuer Zuständigkeiten. Zivilgesellschaftliche Widerstände und parlamentarische Forderungen hatten auch im Fallbeispiel Vietnam zur Folge, dass die Landesregierung eine Erhöhung der Kontingente von Flüchtlingen beschloss.

Zugang zur Arbeit

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