Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Kim
Siebenhüner
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2016/2017
Abstract
Die Studie liegt im Schnittfeld von historischer Konsumforschung, Inventarforschung und Geschlechterforschung und befasst sich mit der materiellen Kultur Berner Frauen im späten 17. und im 18. Jahrhundert anhand von Konkursinventaren. Die Analyse von materiellem Besitz und Konsum wird in der Konsum- und der Inventarforschung schon seit längerem als Möglichkeit gesehen, Erkenntnisse über das Alltagsleben in der
Vergangenheit sowie über gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturelle Veränderungen zu gewinnen. Inventare bilden dabei den wichtigsten Quellenkorpus für die historische Erforschung von Besitz, da die Objekte selbst in der Regel nicht mehr existieren. Ausgehend von der Annahme, dass Konsum und Besitz eine Reflexionsfläche der sozialen Stellung darstellen, können Einzelpersonen, Haushalte oder bestimmte Bevölkerungsgruppen anhand ihres Hausrats im sozialen Gefüge ihrer Zeit verortet werden. In diesem Zusammenhang spielt der Faktor Geschlecht eine zentrale Rolle, da sich die rechtliche Stellung und damit verbunden der Handlungsspielraum von Männern und Frauen während der längsten Zeit der (europäischen) Geschichte unterschied. Die soziale Stellung und die damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bilden wiederum den Handlungsrahmen für die Teilhabe an Konsum und den Aufbau und die Sicherung von Besitz.
Die Quellengrundlage bildet eine Auswahl von 61 Inventaren von Frauen aus einem Bestand von Konkursakten aus dem Gerichtsbezirk Stadt Bern. Diese Konkursakten, Geltstagsrodel genannt, sind im Staatsarchiv des Kantons Bern für die Zeit zwischen 1646-1831 seriell überliefert. Die ausgewählten Inventare sind Bestandteil der Datenbank, die im Rahmen des SNF Forschungsprojekts „Textilien und materielle Kultur im Wandel“ unter der Leitung von Kim Siebenhüner aufgebaut wurde. In der Datenbank erfasst worden sind Informationen zu rund 1000 Personen und über 200’000 Objekten, welche aus insgesamt 526 Konkursfällen aus der Zeit zwischen 1660 und 1790 stammen. Der Anteil an Frauen unter den Bankroteuren liegt, über den gesamten Quellenbestand gesehen, bei rund 9%, was auch auf die gegenüber Männern geringere ökonomische Selbständigkeit frühneuzeitlicher Bernerinnen zurückzuführen ist.
In einem ersten Teil untersucht die Masterarbeit die rechtliche Stellung von Frauen in der Stadt und Republik Bern. Im Fokus stehen dabei die durch Ehe und allgemeine Geschlechtsvormundschaft (ab 1761) bedingten Einschränkungen von Frauen in ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit. Bernerinnen standen in finanziellen und rechtlichen Geschäften in aller Regel unter der männlichen Vormundschaft (Vater, Ehemann oder Vogt). Der Besitz, den Frauen bei der Heirat in die Ehe einbrachten, ging als „Weibergut“ in den Besitz des Ehemannes über und wurde fortan von diesem verwaltet. Dieses Weibergut spielte auch beim Konkurs eine wichtige Rolle, wie im Kapitel zum Geltstag dargelegt wird. Der halbe Teil des Weiberguts war nämlich gefreit und somit vor dem Zugriff durch den Ehemann oder dessen Gläubiger geschützt, weshalb es oft der einzige Besitz war, der einer Familie, einer verlassenen Frau oder Witwe nach einem Konkurs blieb, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine weitere
Sonderregelung sah das Konkursrecht für Kleidung, Schmuck und Morgengabe der Ehefrau vor, die als Vermögenswerte von ihr selbst verwaltet wurden und somit nur dann zur Konkursmasse gehörten, wenn die Frau selbst überschuldet war.
Die Auswertung der Geltstagsrodel bildet den Hauptteil der Studie. Dabei hat sich gezeigt, dass die Konkursitinnen aus allen Bevölkerungsschichten stammten, wobei jedoch der Anteil armer Witwen besonders hoch war. Junge Ledige sowie Ehefrauen waren dagegen, gemessen an ihrem Anteil an der städtischen Gesamtbevölkerung, klar untervertreten. Den erstgenannten fehlten in der Regel die finanziellen Sicherheiten, um sich überhaupt gross verschulden zu können; die zweitgenannten verschuldeten sich nur selten unabhängig vom Ehemann. Die untersuchten Konkurse zeigen aber auch, dass eine Vielzahl von Bernerinnen – egal ob ledig, verheiratet oder verwitwet – einer eigenständigen Erwerbsarbeit nachging.
Der Schwerpunkt der Arbeit besteht in der qualitativen Auswertung der Konkursinventare von sechs Bankroteurinnen mit unterschiedlichem Zivilstand und sozialem Hintergrund. Zwar wird der in den Inventaren erfasste Besitz auch quantitativ erfasst, doch geht es vor allem darum, die aufgeführten Objekte hinsichtlich ihrer Form, Materialität und ihres Zustandes im Kontext der Lebensumstände der Besitzerin zu analysieren. Bei der Analyse hat sich gezeigt, dass Textilien, besonders Kleidung, über alle Fälle hinweg den grössten Teil des weiblichen Besitzes und daher ihres Vermögens ausmachte. Dieser Befund legt nahe, dass Kleidung für Frauen ein Medium der Wertspeicherung darstellte. Aufgrund der rechtlichen Sonderbestimmungen, die Kleidung als persönlichen Besitz der Frau definierten, über den sie jederzeit frei verfügen konnte, war Kleidung hierzu das Mittel der Wahl. Eine (junge) Frau, die ihren Verdienst in Kleidung investierte, konnte davon ausgehen, auch nach der Heirat über diesen Teil ihres Vermögens die Kontrolle zu behalten, während andere Dinge, wie etwa als Mitgift eingebrachte Möbel oder Geschirr in das vom Ehemann verwaltete Vermögen übergingen. Zwar war das Weibergut, beziehungsweise die Hälfte seines Wertes, gesetzlich abgesichert, doch war das keine ausreichende Garantie dafür, dass eine Frau nach dem Konkurs ihres Ehemannes die Hälfte ihres Weiberguts auch vollumfänglich erhielt. In Kleidung zu investieren, war für Frauen die beste und einfachste Art, für sich selbst und ihre Kinder für finanziell schwierige Zeiten vorzusorgen.