Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Gesine
Krüger
Institution
Neuzeit
Ort
Zürich
Jahr
2016/2017
Abstract
Glarus gehört neben St. Gallen und Appenzell zu den Kantonen, die am stärksten von der ,letzten grossen Hungerkrise in der Schweiz‘ 1816/17 betroffen waren. Grosse Not und Hunger herrschten jedoch bereits in den beiden Jahrzehnten davor. Die wichtigste Ursache war – neben den Folgen der Napoleonischen Kriege –, dass die Handspinnerei neu durch Spinnmaschinen konkurrenziert wurde. Mindestens ein Drittel der Glarner Bevölkerung war auf die Spinnerei als Erwerbsquelle angewiesen und litt nun unter Verdienstlosigkeit bzw. Massenarbeitslosigkeit.
In dieser Arbeit werden Hunger und Armut daher nicht erst im ‚Hungerjahr‘ untersucht, sondern über einen längeren Zeitraum. Dabei wird erstens auf den entitlement-Ansatz von Amartya Sen Bezug genommen, der sich dazu eignet, neben Nahrungsmittelknappheit und Ernteausfällen auch Faktoren wie Arbeitslosigkeit als Ursache von Hunger zu erfassen. Zweitens wird der Begriff der creative destruction von Joseph Schumpeter herangezogen, der das Umwälzende und Ambivalente an wirtschaftlich-technischen Strukturwandelsprozessen wie der Mechanisierung der Spinnerei betont.
Die Betrachtung im längeren Zeitrahmen kommt im Fall Glarus nicht nur der zeitgenössischen Wahrnehmung näher, sondern eröffnet für die Hungerforschung bislang unterbeachtete Perspektiven: Statt Missernten und Nahrungsmengen rücken Arbeitslosigkeit, ‚Hungerlöhne‘ und Existenzsicherung in den Fokus. Die Frage, was mit Menschen passiert, deren bisherige Existenzgrundlage durch wirtschaftlich-technischen Wandel wegfällt, weist zudem Bezüge zu heutigen Debatten um Roboter, Digitalisierung und Arbeitsplätze auf. Das Beispiel Glarus zeigt, wie sich bei einem solchen Strukturwandel langfristiger Erfolg und rund 20 Jahre enormes Leid für die Betroffenen keineswegs ausschliessen. Versuche zur Bewältigung der Notlage, die auf eine Abkehr von der Industrie und Rückkehr zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung abzielten, illustrieren die Ratlosigkeit der Zeitgenossen.