Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
PD Dr.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2013/2014
Abstract
Die zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland von 1933 bis 1945 waren unter anderem geprägt durch das System der Konzentrationslager (KZ). Während des Zweiten Weltkrieges etablierte sich dieser Repressionsapparat zu einer wahren V ernichtungsmaschinerie, die halb Europa bedeckte und viele Millionen Todesopfer forderte. Bereits wenige Monate, nachdem Hitler zum Reichskanzler vereidigt worden war, wurden tausende von politischen Gegnern in „Schutzhaft“ genommen und in Zwangslager gesperrt. Dabei verbreiteten insbesondere die Mitglieder der Schutzstaffel (SS) Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Am Beginn dieser tragischen Ereignisse stand ein Dorf nahe München: Dachau. Am 22. März 1933 wurde dort das erste nationalsozialistische Konzentrationslager eröffnet. In der Folge wurden Foltermethoden, Lagerstrafen und Dienstvorschriften für die Wachmannschaften systematisiert. An der Spitze der vorkriegszeitlichen Konzentrationslager und deren Wachmannschaften (ab 1936 „SS-Totenkopfverbände“ genannt) stand Theodor Eicke, ein fanatischer Nationalsozialist. Die Strukturen der ersten Konzentrationslager trugen seine Handschrift. Er war verantwortlich für das später in allen Konzentrationslagern eingeführte „Dachauer Modell“, welches die gesamte KZ-Organisation prägen sollte.
In dieser Masterarbeit wird ausgehend vom gesamten nationalsozialistischen Konzentrationslagersystem versucht, auf das kleinste darin enthaltene Element zu schliessen: die SSTotenkopfverbände, sprich die einfachen SSWachmänner. Die Analyse des sozialen Habitus (V erhaltensweisen, Handeln, Denken und Fühlen einer spezifischen Gruppe) der SS-Wachen wird einerseits zeitlich, andererseits die Lokalität betreffend eingeschränkt. Anhand von Zeugnissen ehemaliger Gefangener des vorkriegszeitlichen KZ Dachau wird das Verhalten der Wachmänner in typischen Situationen während des Lageralltags beschrieben und zu erklären versucht. Ein Ziel wird dabei im Speziellen verfolgt: Die bisherige Forschung war und ist noch immer vielfach geprägt von Pauschalisierungen, was die KZWachen betrifft. Alle seien sie Sadisten und fanatische Exzesstäter gewesen, denen es Freude bereitet hätte, die Häftlinge wann immer möglich zu quälen. Da Ego-Dokumente der einfachen SSWachen praktisch nicht existieren, wird in dieser Studie versucht, anhand der Berichte von Opfern des KZ Dachau, diese Pauschalisierung zu entkräften. Damit sollen keineswegs Täter entschuldigt oder deren Taten gerechtfertigt werden. Es wird lediglich aufzuzeigen versucht, wer die einzelnen Individuen der Wachmannschaften waren, was ihr Hintergrund für eine Bedeutung hatte und nach welchen Motiven sie handelten.
Der Hauptteil dieser Studie gliedert sich in vier übergeordnete Kapitel. Der Aufbau folgt dem Prinzip „von oben nach unten“. Vom grossen Ganzen, dem Konzentrationslagersystem von 1933 bis 1939, wird über einzelne wesentliche Elemente –namentlich das KZ Dachau sowie die SS-Totenkopfverbände – auf die kleinste Einheit – die SS-Wachmannschaften im KZ Dachau – zu schlussfolgern versucht. Diese drei den historischen Kontext erläuternden Kapitel werden durch die Analyse von Opferzeugnissen, in der „die Stummen eine Stimme erhalten“, komplettiert.
Es hat sich gezeigt, dass in Berichten ehemaliger Häftlinge des KZ Dachau – nicht überraschend – Gewalt und Tod eindeutig vorherrschend sind. Bezeichnungen für die SS-Totenköpfe lesen sich wie folgt: „Sadisten“, „wilde Bestien“, „Satans-Söhne“ usw. Dennoch finden sich auch viele Beschreibungen von „netten Wachen“. SS-Männer, die den Häftlingen halfen, sie nicht ständig drangsalierten, ihnen das Leben nicht in jeder Sekunde zur Hölle machten. Die wirklichen Sadisten machten eine Minderheit aller SS-Wachen aus. Die grosse Mehrheit der Täter war jugendlich (meist kaum älter als 20 Jahre), sozial relativ schlecht gestellt und aufgrund ihres noch jungen Alters stark beeinflussbar. Die „virtuelle Realität“ des Lagerlebens, die weltanschauliche Schulung während ihrer Ausbildung sowie Gruppendruck und Öffentlichkeit trugen das ihrige dazu bei, dass aus so jungen Menschen Gewaltverbrecher wurden. Die Bedeutung der kleinen Wachen auf der untersten Stufe der SSHierarchie sollte nicht unterschätzt werden. Denn ohne die kleinsten Elemente eines Systems kann das Gesamte nicht funktionieren.