Die Konstruktion von nationaler Identität. Die erste Schweizerische Bundesfeier von 1891 im Spannungsfeld zwischen Ritual und erfundener Tradition

AutorIn Name
Nino
Thommen
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Marina
Cattaruzza
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2009/2010
Abstract


Am 1. August 1891 beging die Schweiz ihren ersten Nationalfeiertag. Dieses Ereignis bildet den wissenschaftlichen Gegenstand meiner Untersuchung, in welcher ich der folgenden Fragestellung nachging: Welche Funktion kann der Schweizerischen Bundesfeier von 1891 zugeschrieben werden? Als Quellenmaterial diente mir u.a. der gesamte, massgeblich in Kurrent verfasste Schriftverkehr zwischen dem Zentralund Organisationskomitee, Sitzungsprotokolle des Bundesrates, Korrespondenzen der Stadtund Kantonsregierungen und schliesslich gedruckte Materialien wie zum Beispiel Festschriften der Auslandkolonien. Die Schweizerische Bundesfeier von 1891 entstand in einem vielschichten Kontext. Der Frage nach der Funktion dieser Feier kann deshalb nur eine mehrdimensionale Betrachtungsweise gerecht werden. Zu berücksichtigen sind gesellschaftliche, personelle, historische, sozioökonomische, konfessionelle und besonders politische Phänomene. Die erste Nationalfeier orientierte sich sowohl der Struktur als auch dem Inhalt nach stark an den traditionellen Säkular-, Schlachtund Schützenfesten, die in der Schweiz im 19. Jahrhundert stattgefunden haben. In Anbetracht dessen verliert die Bundesfeier ein wenig an Exklusivität. Bei der Analyse dieses Anlasses hat sich zunehmend herauskristallisiert, dass Organisation und Ziele massgeblich von einigen wenigen politischen Würdenträgern geprägt worden sind. Neben Theodor Wirz und Karl Stÿger ist insbesondere Bundesrat Carl Schenk hervorzuheben. Letzterer lieferte die zentralen Argumente für die Abhaltung der Nationalfeier. Es lässt sich anhand der weiteren politischen Handlungen, die auf Schenk zurückgeführt werden können, darlegen, in welchem politischen Milieu die Idee einer Bundesfeier entstanden war. So hatte er nicht bloss aus persönlichen Interessen eine solche Feier favorisiert. Entscheidend war seine Zugehörigkeit zum Freisinn, der damals aufgrund der parteipolitischen Rivalität mit den konservativen Kräften des Landes allen Grund hatte, mit einer nationalen Feier Fahne zu zeigen. In diesem Kontext kann eine erste Funktion der Bundesfeier als Versuch des Freisinns interpretiert werden, mit einem nationalen Fest seine Legitimation im Volk zu festigen.

Inmitten des politisch-gesellschaftlichen Spannungsfeldes, welches gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Schweiz prägte, wurde eine Bundesfeier sicher auch initiiert, um aufgrund sozialer Konflikte eine harmonisierende Entwicklung anzustossen, denn im Kern einer nationalen Feier liegt schliesslich die Stärkung einer sozialen Gruppe. Im Widerspruch dazu steht die Tatsache, dass die Schweizerische Bundesfeier als bewusste Konstruktion von oben interpretiert werden kann. Die zentrale Feier in Schwyz war nicht primär ein Fest für das Volk, sondern eine Feier für und von der Elite des Landes. Darin kann eine Repräsentation von Macht gesehen werden. Das Fest wurde zwar als eine nationale Feier dargestellt, es waren aber ausschliesslich elitäre Kreise, die zur Feier eingeladen wurden. Die Inklusion und Exklusion gesellschaftlicher Schichten ist hier klar erkennbar.

Die Form der Bundesfeier entspricht in vielen Facetten einer religiösen Zeremonie. Nicht bloss das Vokabular wurde aus dem religiösen Kontext übernommen, sondern ebenso permanente Aktion mit Symbolik betrieben. Anhand von parallelen Feierlichkeiten im Ausland konnte darauf verwiesen werden, dass vielerorts öffentliche Zeremonien realisiert wurden. Diese idealtypische Darstellung von pseudohistorischen Bildern gehört ebenso zur christlichen Welt wie auch zur Vergangenheitskonstruktion der Nation Schweiz. Was vorerst wie die Entzauberung der Welt ausschaute, war in Wirklichkeit eine Verzauberung der Vergangenheit. Der Zauber wurde nicht durch Rationalität ersetzt, sondern vielmehr geschickt in die realpolitische und v.a. historische Sphäre verlegt. In der Vorbereitung der Schweizerischen Bundesfeier operierte die Politik ganz bewusst mit einer eindringlichen Symbolik, um höheren Zielen gerecht zu werden.

Die Geschichtsbilder handeln objektiv betrachtet von einem kohärenten Vorstellungssystem, innerhalb dessen alles einen Sinn ergibt. Die Darlegung eines eudämonistischen Geschichtsverständnisses lässt sich gut mit der religiösen Vorstellung einer heilsorientierten Lebensgeschichte verbinden.

Mit der Theorie „Invention of Tradition“ und mit Einschluss der sozialanthropologischen Ritualtheorie konnte zudem gezeigt werden, dass eine Feier, wie sie hier thematisiert und untersucht worden ist, Ordnung herbeiführen kann. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden sozialen Differenzen erscheint es nur logisch, dass die Organisation der Schweizerischen Bundesfeier in die Richtung zielte, im Land einerseits Frieden zu sichern und andererseits die gegenwärtige politische Elite zu legitimieren. Wenn Geschichte Identität bedeuten kann und eine kollektive Identität Frieden zum Ziel hat, ist dies eine weitere Antwort auf die Frage nach der Funktion der ersten Bundesfeier: die Gesellschaft soll sich ihrer selbst bewusst

werden. Im Jahre 1891 diente die Schweizerische Bundesfeier nicht zuletzt als eine Orientierung in der Gegenwart, denn die Modernisierung in der westlichen Welt schuf veränderte Lebenswelten, welche soziokulturell nach einer Verarbeitung verlangten, und entsprechend sollte die Feier Stabilität nach Innen erzeugen. Nationale Werte und Standpunkte wurden durch die Feste transportiert. Andererseits peilte man auch eine Stärkung gegen Aussen an. Der Bundesrat verfolgte die Absicht, ein weltumspannendes Netz zu beleben, in dem Feierlichkeiten in den Auslandkolonien organisiert und bewusst unterstützt worden sind.

Manche Resultate zu politischen und gesellschaftlichen Phänomenen sind für die Historiografie keine Neuigkeit. Durch den umfangreichen Quellenkorpus konnten aber verschiedene Aspekte, die in Zusammenhang mit der ersten Nationalfeier der Schweiz stehen, neu und überhaupt erst beleuchtet werden.

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