Die Epoche der Helvetischen Republik gehört zu den spannendsten Abschnitten in der Schweizer Geschichte. Die Helvetik stand im Spannungsfeld zwischen Kräften der gesellschaftlichen und politischen Erneuerung auf der einen und denjenigen der Beharrung auf der anderen Seite. Aufklärung, Helvetische Revolution, neue Ordnungsvorstellungen und die Patriotenbewegung sind Schlagworte für diese bewegte Zeit, welche stark von Männern geprägt worden ist, die sich interessanterweise aus den traditionellen Eliten des Ancien Régime rekrutierten. Hans Conrad Escher (1767-1823) war eine dieser Persönlichkeiten. Der Spross einer prominenten Familie der alten Zürcher Machtelite war von 1798 bis 1800 Mitglied des Grossen Rats — und später div. weiterer Räte —, wo er sich durch Reformen von oben um politische Veränderungen rational-utilitaristischen Charakters bemühte.
Ausgehend von Eschers politischem Wirken im helvetischen Grossen Rat untersucht die Arbeit, in welcher Beziehung sein staatspolitisches Verständnis zu den prägenden Strömungen seiner Zeit stand. So wird einerseits der Frage nachgegangen, welche Wirkung die Rezeption von gesellschaftsund staatstheoretischen Schriften auf Eschers Weltbild hatte. Andererseits wird ermittelt, wie er seine Überzeugungen als Grossratsabgeordneter zum Ausdruck brachte und ob er sie im politischen Alltag praktisch umsetzten konnte.
Der analytische erste Teil der Arbeit (Kap. 2) stellt Escher als radikalen Reformpatrioten vor, dessen politisches Verständnis stark von Jean-Jacques Rousseaus und Immanuel Kants Ausführungen gesellschaftsund staatstheoretischer Natur beeinflusst war. So wird aufgezeigt, wie Escher in der Tradition des kontraktualistischen Denkens die Gesellschaft als eine Verbindung freier und vernünftiger Individuen (Gesellschaftsvertrag) und die Regierung als ausführendes Organ des Volkswillens (vgl. Rousseaus „volonté générale“) sah. Auch wird darauf eingegangen, dass er die Bedeutung einer gebildeten und durch das Volk legitimierten Staatsverwaltung hervorhob. Die Bildungsideale der Aufklärung, der vernunftsoptimistische Zeitgeist und die Konzepte von Nutzen und Patriotismus werden dabei als bestimmende Grössen von Eschers politischer Weltanschauung ausgemacht, die u.a. seine Vorlesungstätigkeit zur Verbesserung der politischen Bildung von Regierungsamtsanwärtern sowie seinen Einsatz für die Entstehung einer politischen Öffentlichkeit motivierten.
Im empirischen Teil der Arbeit (Kap. 3 u. 4) 25 werden die vorgängig dargelegten staatstheoretischen Vorstellungen Eschers im Kontext seiner politischen Tätigkeit als Grossratsmitglied der Helvetischen Republik diskutiert. Auf der Grundlage seiner Wortmeldungen zu zwei ausgewählten Themenkreisen — zum einen der Debatte um die sog. Patriotenentschädigung und zum anderen der Frage nach dem staatspolitischen Verhältnis zwischen Frankreich und der Helvetischen Republik — wird erörtert, inwiefern Eschers gesellschaftsund staatstheoretische Ansichten seine parlamentarische Tätigkeit in der Legislative formten, und welche Reaktionen sein Verhalten im Grossen Rat hervorrief. Es wird gezeigt, dass Eschers Wortmeldungen das Bild eines Mannes zeichnen, der seinem frühliberalistischen Staatsideal auch im politischen Alltag treu blieb. Der Schutz des Privateigentums als Fundament der bürgerlichen Gesellschaft und primärer Staatszweck war ihm ein zentrales Anliegen, ebenso die unbedingte Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Abwehr jeder Art von eigennütziger parlamentarischer Willkür. Die einzige Quelle der Legitimität staatlichen Handelns sah Escher in dessen Legalität (Gesetzeskonformität), die Sicherheit vor obrigkeitlicher Willkür setzte er der wahren Freiheit eines Volkes gleich. Daher schien es ihm auch selbstverständlich, die Vormachtsstellung Frankreichs in der Schweiz zu kritisieren und sich für die helvetische Autonomie einzusetzen.
Der letzte Teil der Arbeit (Kap. 5) widmet sich der Auswertung und Synthese der gewonnenen Erkenntnisse. Escher wird in Bezug zum schweizerischen Frühliberalismus gesetzt, seine Überzeugungen werden sehr wohl als reformpatriotisch, nicht aber als radikalrevolutionär eingeschätzt. Abschliessend wird versuchsweise eine Neuinterpretation von Eschers politischem Wirken diskutiert — und verworfen.
So lässt die Arbeit Escher als Mann des Übergangs — als Mann „zwischen Stuhl und Bank“ — erscheinen, der nicht nur während der Helvetik, sondern auch vor 1798 und nach 1803 konsequent für die Ideale seines frühliberalen Staatsund Gesellschaftsverständnisses eintrat und aufgrund seines nicht ausschliesslich politischen Schaffens zu jenen Persönlichkeiten gezählt werden kann, die durch ihr Engagement die Entwicklung der Schweiz entscheidend beeinflussten.