Die Lizentiatsarbeit zeigt Aufschwung, Krisen und Untergang der schweizerischen Strohund Hutgeflechtindustrie in drei Phasen. Dabei wurden als primäre Quellen die Berichte über Handel und Industrie der Schweiz, herausgegeben vom Vorort des schweizerischen Handelsund Industrievereins, und die Jahresberichte des Verbandes aargauischer Hutgeflechtfabrikanten ausgewertet.
In der ersten Phase (17. und 18. Jahrhundert) war Strohflechten eine Tätigkeit, die in den landwirtschaftlich unproduktiven Wintermonaten als sogenannter Hausfleiss betrieben wurde. Aus dem in der Landwirtschaft kostenlos zur Verfügung stehenden Rohmaterial Stroh wurden Bänder geflochten, die zu Hüten zusammengenäht wurden. Aus dieser Beschäftigung und dem ersten einfachen Handel mit Strohhüten und -geflechten bildete sich in der Schweiz seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein Verlagswesen heraus, wie es in anderen Textilindustrien auch der Fall war. Die Strohflechterei konnte sich vor allem im aargauischen Freiamt, im Kanton Freiburg und im Kanton Tessin ansiedeln. Die zweite Phase (1800-1914) markiert den Übergang vom Verlagswesen zur Industrie. In den 1820er Jahren erfuhr das aargauische rötliche Roggenstroh gegenüber dem toskanischen und freiburgischen weissen Weizenstroh einen Wettbewerbsnachteil. Diesem wurde mit der Entwicklung neuer Muster und Herstelltechniken und dem Ausbau des Handels begegnet. Die zahlreichen Söhne der aargauischen Geflechthändler stiegen ins Geschäft der Väter ein. Dabei investierten sie ihr Kapital und unternahmen Reisen zu den wichtigen Märkten, um die Absatzgebiete der eigenen Unternehmen zu stärken und zu erweitern. So bildete sich in Wohlen eine Fabrikantenschicht heraus, die relativ wohlhabend war, sich auch in der Politik betätigte und Immobilien an zentraler Lage kaufte. Der vermehrte Export von schweizerischen Strohprodukten führte dazu, dass die Strohindustrie vom internationalen Markt abhängig war. Nicht zuletzt aufgrund des europäischen Protektionismus wurde um 1850 der Handel in die USA ausgebaut. Es wurde in die Entwicklung neuer Produkte und synthetischer Rohmaterialien investiert. Auf die Konkurrenz durch billige chinesische und japanische Geflechte wurde reagiert, indem diese gekauft, durch Bleichen und Färben veredelt und mit Gewinn wieder exportiert wurden.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges läutete die dritte Phase (1914-1974) ein, die am ausführlichsten untersucht wurde. Während des Krieges gab es Schwierigkeiten in der Beschaffung der Rohmaterialien und bestellte Produkte konnten nicht ausgeliefert werden. So beschlossen die aargauischen Strohindustriellen, enger zusammen zu arbeiten und gründeten 1916 den zwei Jahre später in Verband aargauischer Hutgeflechtfabrikanten umbenannten Branchenverband. Der Anfang vom Ende zeichnete sich in den 1930er Jahren ab. Aufgrund der sich verschärfenden Konkurrenz musste immer knapper kalkuliert werden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter wandten sich besser bezahlten und ganzjährig garantierten Arbeitsplätzen in anderen Branchen zu. Die hutlose Mode wurde propagiert. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise gerieten vermehrt auch die Abnehmer der Hutgeflechte, die Hutfabrikanten, in finanzielle Schwierigkeiten und mussten Konkurs anmelden. Zulieferfirmen strichen die nicht mehr rentablen Rohmaterialien ersatzlos aus dem Sortiment. In den 1940er Jahren stiegen mit dem Aufkommen sozialpolitischer Forderungen die Produktionskosten. Diese konnten wegen der starken internationalen Konkurrenz nicht auf die Produktpreise abgewälzt werden. Trotz all dieser Probleme gelang es auch Ende der 1960er Jahre nicht, die Firmen zu einer vermehrten Zusammenarbeit zu bewegen. Der Branchenverband erhielt nicht die nötigen Kompetenzen, um einen Untergang der Hutgeflechtindustrie abwenden zu können, was sowieso ein schwieriges Unterfangen gewesen wäre. Denn ohne Nachfrage nach Strohhüten verlor die Hutgeflechtindustrie ihre Existenzgrundlage. Als 1974 gleich zwei der renommiertesten und grössten Unternehmen der Hutgeflechtindustrie schlossen, löste sich auch der Verband aargauischer Hutgeflechtfabrikanten auf. Was von der mehr als 200-jährigen Geschichte einer marginalen schweizerischen Industrie übrig geblieben ist, ist die Faszination für die im Strohmuseum Wohlen und einigen Privatsammlungen bis heute erhaltenen Kunstwerke aus Stroh. Vereinzelt wird das Strohflechten und Strohhut-Knüpfen als Kunsthandwerk weiter betrieben. 1993 wurde die Schweizerische Stiftung Strohverarbeitung gegründet mit dem Zweck, das Wissen um die Strohverarbeitung zu erhalten und zu vermitteln. Dazu soll die vorliegende Lizentiatsarbeit einen Beitrag leisten. Auf dass die alten Techniken wieder entdeckt und wieder belebt werden.
Eine Industrie nimmt den Hut. Aufschwung, Krisen und Untergang der schweizerischen Stroh- und Hutflechtindustrie zwischen 1800 und 1974
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christoph Maria
Merki
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2009/2010
Abstract