Am 7. April 1964 wurde in Zürich die Schweizerische Liga für biologische Landesverteidigung gegründet. Die Teilnehmerinnen der Gründungsversammlung beabsichtigten eine Dachorganisation zu schaffen, die alle Organisationen zusammenfassen sollte, welche im Bereich Naturschutz tätig waren. Die Notwendigkeit einer solchen ,,Zusammenfassung der Kräfte" speiste sich aus der Überzeugung, dass "zur militärischen und geistigen auch eine biologische Landesverteidigung [...] unerlässlich ist als Fundament allen Lebens" Der Kampf der Liga galt somit allen „Gegnern des Lebens", welche, geleitet von ökonomischen Interessen, immer stärker in die natürlichen Lebenszusammenhänge eingriffen. Mit einem umfassenden lebensreformerischen Konzept wollte die Liga durch ihre Arbeit alle „schädlichen insbesondere chemischen und technische Übergriffe in den natürlichen Lebensraum von Mensch, Tier und Pflanze' verhindern.
Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Lizentiatsarbeit richtete sich auf drei Ebenen, in deren Kontext die Liga beleuchtet wurde. Die organisatorische Ebene behandelte die föderierenden Intentionen und die tatsächliche Funktion der Liga als Dachorganisation mit nationaler Ausstrahlung. Mit der Fokussierung auf die inhaltliche Ebene wurden die konkreten Arbeitsgebiete und Ziele der Liga im Kontext der Natur- und Umweltschutzpolitik in der Schweiz dargestellt. Im Zentrum der Darstellung standen hier insbesondere die Bestrebungen zur Förderung des biologischen Landbaus und die Aktivitäten im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung. Besonderes Gewicht hatte die biologische Produktionsweise, da sie von der Liga als Grundlage und Voraussetzung für die Etablierung eines neuen Mensch - Umwelt - Verhältnisses gefordert wurde. Durch die Fokussierung auf die strategische Ebene wurden schliesslich das Handlungsrepertoire und die Mittel, mit denen die gesetzten Ziele popularisiert werden sollten, untersucht.
Die Arbeit gliedert sich in einen ersten Teil, der die Entwicklung der Naturschutzbewegung in den historischen Kontext der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg stellt und einen zweiten, quellengestützten Teil, der die Genese, die ideologischen Grundlagen und die programmatischen Schwerpunkte sowie die Tätigkeitsfelder der Liga behandelt.
Die Geschichte der Schweiz der Nachkriegsjahre ist mittlerweile recht gut erforscht. Diese Periode der Dynamisierung der Wirtschaft und der zunehmenden Stabilisierung des politischen Systems hatte grosse Umwälzungen in der Natur- und Umweltschutzbewegung zur Folge. Neben diesen strukturgeschichtlichen Aspekten wurden im ersten Teil der Arbeit auch kultur- und mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen eingearbeitet. Insbesondere die Konstanz der Prämissen der geistigen Landesverteidigung als spezifischer referentieller Rahmen zur Zeit des Kalten Krieges sowie das entstehende Unbehagen an der Technisierung der Gesellschaft durch die nicht intendierten Nebenfolgen des Wirtschaftswachstums. Thematisiert wurden in diesem Zusammenhang die für die Arbeit der Liga bedeutenden Politikbereiche, nämlich die Landwirtschafts- und die Energiepolitik (Landwirtschaftsgesetz 1954, Verfassungsartikel zur Nutzung der Kernenergie 1957). In beiden Bereichen dominierte ein Denken technischer Zweckrationalität, das den Anforderungen des prognostizierten permanenten Wachstums und eines entsprechenden Ressourcenverbrauchs genügen wollte. Der Widerstand gegen diese ,.technokratischen" Denk- und Handlungsmuster nahm gegen Ende der fünfziger Jahren markant zu. Vor dem Hintergrund der sich allmählich verändernden Einstellung gegenüber den Errungenschaften von Wissenschaft und Technik steht die Gründung der Liga gewissermassen paradigmatisch für den Umbruch in der Naturschutzbewegung. Der sachliche Zusammenhang zwischen den Aktivierungen der traditionellen Naturschutzorganisationen und der Arbeit der Liga als Dachorganisation zeichnete sich also durch die thematische Kohärenz innerhalb der Naturschutzbewegung der Nachkriegszeit aus, nämlich durch die Reaktion auf die Folgeprobleme des qualitativen und quantitativen Wirtschaftswachstums. Trotzdem befand sich die Liga durch ihre markant konservativ-rechte Positionierung in einer gewissen politisch-ideologischen Randstellung. Im zweiten Teil der Arbeit konnte aufgezeigt werden, dass dieser bewahrend-reaktionäre Flügel der Umweltschutzbewegung trotz der starken affektiven Verknüpfung der Ökologiebewegung mit der Neuen Linken eine bedeutende Mobilisierungskraft besass.
Obwohl die Liga schon sehr früh eine professionelle PR-Agentur mit der Öffentlichkeitsarbeit betraute und später gar eine eigene Publizitätsstelle einrichtete, bekundete die nur lose verknüpfte Dachorganisation zunehmend Mühe, zielgerichtete und effiziente Arbeit verrichten zu können. Der Grund lag bei den in den sechziger Jahren aufkommenden Basisorganisationen im Bereich Umweltschutz, die über ein unvergleichlich grösseres Mobilisierungspotential verfügten. Sogar auf dem Gebiet des biologischen Landbaus, das zu den Kernthemen der Liga gehörte, waren nur spärliche Erfolge zu verzeichnen. So scheiterte beispielsweise die Durchsetzung eines gemeinsamen Labels zur Kommerzialisierung der biologischen Produkte an der dogmatischen Frontstellung der wichtigsten Richtungen innerhalb des biologischen Landbaus.
Insgesamt kann die Liga an der Nahtstelle zwischen traditionellem Natur- und Landschaftsschutzgedanken und neueren, gesamtheitlicheren Ökologiekonzeptionen verortet werden. Ihre Bedeutung ergibt sich aus der umfassenderen Gefährdungswahrnehmung. Bestimmt stand sie mit diesem Anspruch nicht allein da, aber bezüglich der Ergebnisse, gemessen an der heutigen Wahrnehmung der Umweltproblematik, kann ihr zumindest eine Teilhabe an der veränderten Perzeption zugebilligt werden.
Die Untersuchung stützte sich auf einen bis jetzt unerschlossenen und vorerst nur summarisch geordneten Quellencorpus, der vom Gründer der Liga (Alt-Nationalrat Dr. Heinrich Schalcher, Winterthur) zur Verfügung gestellt wurde. Vor allem die ersten drei Vereinsjahre sind gut dokumentiert. Als besonders ergiebig erwies sich der Quellenbestand der Vereinsjahre von 1969 bis zur Auflösung der Liga 1974. Dass die Dokumente zur Auflösung der Liga weitgehend fehlen, dürfte sich mit dem langsamen Erliegen der Aktivitäten und mit der darauf folgenden Gründung der Schweizerischen Stiftung für biologischen Landbau erklären lassen.