Die Menschenrechtsdiskussion schlägt vor der Jahrtausendwende - im fünfzigsten Jubiläumsjahr der UNO-Menschenrechtserklärung - hohe Wellen. Wird heute angesichts einer vom globalen Konkurrenzkampf und von Bürgerkriegen bedrohten Welt über Menschenpflichten und internationale Solidarität diskutiert, so ging es 1948 vor dem Hintergrund des Scheiterns des Völkerbunds und der Schrekken des zweiten Weltkriegs darum, die Vergangenheit zu überwinden und universell gültige Grundrechte für eine neue, friedliche Weltordnung zu statuieren. Gleichzeitig schuf die Konfrontation zwischen Ost und West nach der Gründung der UNO ein von Misstrauen und Feindseligkeiten geprägtes Klima - zuweilen als Folge einer expansionistischen Tendenz der kapitalismusfeindlichen Politik des Sowjetsystems, zuweilen als Folge eines ökonomisch-politischen Imperialismus der Vereinigten Staaten gedeutet. Entsprechend gruppierten sich die unterschiedlichen Menschenrechtskonzeptionen um die in der politischen Tagesaktualität des Kalten Krieges relevant gewordenen Wertvorstellungen und Weltordnungsmodelle.
Ich gehe in meiner Arbeit dem Zusammenhang zwischen Kaltem Krieg und der UNOMenschenrechtserklärung nach, wobei der Rolle der damaligen Präsidentin der Menschenrechtskommission, Eleanor Roosevelt, Witwe des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, mein spezielles Augenmerk gilt. Die Fragestellung fokussiert auf die wechselseitige Bedingtheit von Persönlichkeit und Struktur, auf Dynamik und Einfluss der ideologischen Differenzen zwischen den sich herausbildenden Machtblöcken sowie des persönlichen Einsatzes der Kommissionsmitglieder, insbesondere desjenigen Eleanor Roosevelts, in den Kommissionsdebatten.
Die Arbeit basiert auf der Auswertung von Quellenbeständen der UNO-Bibliothek in Genf - das heisst aller Kommissionsprotokolle von der ersten Session der Commission on Human Rights im Frühjahr 1947 bis zur Verabschiedung der Erklärung am Schluss der dritten Session 1948 sowie aller Protokolle der Nuclear Commission on Human Rights, die als vorbereitende Kernkommission bereits 1946 getagt hatte. Die Protokollanalyse wird durch das Studium der Foreign Relations of the United States (FRUS) und der publizierten Quellen Eleanor Roosevelts ergänzt, um deren Stellung in der US-Delegation, ihre Einbindung in die Politik des State 0epartments sowie ihre sich wandelnden politischen Einstellungen zu beleuchten.
Meinem eigentlichen Untersuchungsgegenstand nähere ich mich von drei Seiten. Ein erster Schritt skizziert den Weg zur Planung einer neuen Weltordnung - geprägt durch die Konfrontation von liberalem und sozialistischem Modell sowie die sich abzeichnenden divergierenden Nachkriegsinteressen. Ein zweiter Schritt situiert die an der Gründungskonferenz der UNO auftretenden Spannungen und die Einrichtung der Menschenrechtskommission vor dem Hintergrund unterschiedlicher Menschenrechtstraditionen im historischen Umfeld. Dabei wird auch aus völkerrechtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive die Herausbildung der Menschenrechte mit ihren Wurzeln in der europäischen und amerikanischen Staatsphilosophie, deren Ausgestaltung in der sowjetischen Verfassung von 1936 sowie der Universalisierungsprozess nach dem Krieg diskutiert. Schliesslich widme ich mich in einem dritten Schritt der populären und zugleich bei Zeitgenossen wie in der Literatur umstrittenen Persönlichkeit Eleanor Roosevelts, ihrem Weg von der "apolitischen Sozialreformerin", First Lady und Journalistin zur eigenständigen Akteurin als US-Delegierte in der UNO.
Das Kernstück der Arbeit verfolgt die Erarbeitung der UNO-Menschenrechtserklärung von der Einsetzung der amerikanischen Delegation über alle Stadien der Kommissionsarbeit bis zum Verzicht auf rechtsverbindliche Konventionen und zur Verabschiedung der Erklärung. Diese kam dank der Mehrheit des Westens bei Stimmenthaltung der Ostblockvertretungen zustande. Dabei nahm die über Presse und Radio sowie durch Vertretungen der Spezialorganisationen und an die UNO gerichtete Petitionen vermittelte Weltöffentlichkeit eine ambivalente Rolle ein, indem sie einerseits zugunsten rechtsverbindlicher Normen, andererseits im Zuge der Verstärkung der Ost-West-Konfrontation polarisierend auf die Kommissionsarbeit einwirkte. Hierbei zeigt sich, dass Konsens eher in den kleinen, der öffentlichen Einflussnahme nicht zugänglichen Gremien zu erreichen war, die Verhinderung einer Blockade der Beratungen im Wirtschafts- und Sozialrat der UNO aber eines gewissen öffentlichen Erwartungsdrucks bedurfte.
Ambivalent erweist sich auch die Rolle Eleanor Roosevelts: Sie war weder ein willenloses Werkzeug der amerikanischen Truman-Administration, noch die naive Verfechterin humanitärer Ideale. Sie bemühte sich als Kommissionspräsidentin immer wieder um Konsens, ohne aber die Konfrontation zu scheuen. Besonders von amerikanischer Seite her bot sich die Menschenrechtsdiskussion als ideologische Waffe an, freilich mit dem Nachteil, dass eigene Systemfehler ebenso angeprangert werden konnten wie jene der Gegenseite. So hatte Präsident Truman nicht nur das internationale Gewicht der Menschenrechtsdiskussion, sondern auch die Person Eleanor Roosevelts unterschätzt. Solange Menschenrechtsfragen als Störfaktor in der Diplomatie galten, weil das Kriterium der Aussenpolitik die Staatsräson und nicht irgendeine Ahnung einer universellen Menschlichkeit war, hatte er es für richtig befunden, eine Amateurin mit einem Amt in der Menschenrechtskommission zu betrauen. Von Eleanor Roosevelts Arbeit, welche die Relevanz der Menschenrechte zum aussen- und innenpolitischen Legitimationsinstrument aufbaute, profitierte Truman schliesslich erheblich. Eleanor Roosevelt vollzog den Kurswechsel von der Kooperation zur Konfrontation bis hin zum Kalten Krieg mit - wenn auch auf ihre individuelle Weise.