L'union de l'Orient et de l'Occident“. Die Begegnungsgeschichte der Saint-Simonisten mit der ägyptischen Bevölkerung zwischen 1833 und 1840 im Spiegelbild der saint-simonistischen Archive

AutorIn Name
Pascal
Kaegi
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1999/2000
Abstract

Seit Edward Saids Buch Orientalism wird über den Einfluss des europäischen Orientdiskurses auf den realen europäischen Imperialismus diskutiert. Es geht dabei um die Frage, inwieweit das in Europa seit dem 18. Jahrhundert kolportierte Orientbild von Stereotypen, Vorurteilen und selbstfabrizierten Missverständnissen gekennzeichnet war und inwieweit dieses konstruierte Orientbild erst den Nährboden für die reale imperialistische Unterwerfung und Ausbeutung des Orients begründete.

 

Die Ägyptenexpedition der Saint-Simonisten eignet sich zur genaueren Untersuchung dieser Frage ausgezeichnet. Die Quellenbestände der Gruppierung mit umfassenden Brief-, Tagebuch- und Projektsammlungen ermöglichen die mikrohistorische Rekonstruktion der Handlungen und die klare Unterscheidung von vorder- und hintergründigen Motiven. Die Ergebnisse sind erstaunlich und bestätigen Saids Argumente in vielfacher Hinsicht. Die Entstehungsgeschichte der Bewegung zeigt, dass es sich bei der Gruppierung um eine recht merkwürdige Sekte handelte, die sich gegen Ende 1831 durch ihr unkonventionelles Verhalten zunehmend isolierte, der Lächerlichkeit preisgab, finanziell an Grenzen stiess und mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Der Orientdiskurs, den die Gruppe in dieser Zeit in ihren Zeitschriften und öffentlichen Vorlesungen zu führen begann und mit dem der Ägyptenexpedition vom Herbst 1833 publizistisch der Weg bereitet werden sollte, stellte dabei eine Art Externalisierung dieser materiellen und moralischen Orientierungslosigkeit dar, in die sich die Sekte hineinmanövriert hatte, und war solchermassen Ausdruck der Frustration eines französischen Bürgertums, das trotz der entsprechenden Ausbildung nicht an die finanziellen und politischen Machtpositionen im französischen Staat gelangte. Der saint-simonistische Orientdiskurs war das verschleierte, aber bewusst lancierte Wirtschafts- und Politprogramm zur Verbesserung der existentiellen Situation einer neu entstandenen Gesellschaftsschicht, die im kriselnden Frankreich der späten 1820er Jahre nach der Erschliessung neuer Betätigungsfelder verlangte.

 

Mit der Ägyptenexpedition wurde — sich an Napoleon orientierend — die Flucht nach vorn gewählt, um sich, so die Hoffnung, in Frankreich zu rehabilitieren. Die brachiale Modernisierungspolitik Muhammad Alis in Ägypten versprach ein Forum abzugeben, auf dem die Saint-Simonisten sich mit ihren utopischen Vorstellungen profilieren konnten. Die kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie der Saint-Simonisten ergab, im Gegensatz zur Literatur, dass das Projekt einer kulturellen Vereinigung von Okzident und Orient keinesfalls gleichberechtigte Beziehungen zum Ziel hatte. Es handelte sich vielmehr um eine Ideologie des Freihandelsimperialismus, der den Orient für Europa (insbesondere natürlich für Frankreich) nutzbar machen sollte. Ägypten sollte dabei zum Ausbeutungsobjekt degradiert werden. Den ägyptischen Massen wurde in diesem Zusammenhang nicht etwa, wie in der Literatur behauptet, die Befreiung sondern die Unterjochung als Arbeitsheloten einer industriellen Globalisierung unter Führung des Okzidents zugedacht.

 

Unter diesen Umständen kann es nicht mehr verwundern, dass die Expeditionsmitglieder Ägypten und seiner Bevölkerung mit grosser Herablassung begegneten. Jeder Versuch, die einheimische Gesellschaft und Kultur zu verstehen, musste wegen der vorgefassten Meinungen der Saint-Simonisten im Ansatz stecken bleiben. Ein gleichberechtigter interkultureller Kontakt entstand somit nicht und war wohl auch gar nicht beabsichtigt. Schliesslich ging es den Saint-Simonisten gar nicht um Ägypten, sondern um eine gute Presse zu Hause. Damit hatten sie auch durchaus einen gewissen Erfolg. Das tatsächliche Fiasko ihrer Expedition konnten sie nämlich geschickt verschleiern und als grosse Modernisierungsleistung schönfärben. Bis heute ist die Literatur dieser Verschleierungstaktik verfallen.

 

Die Arbeit räumt mit dem Mythos gründlich auf. Akribisch wird das Auftreten und Verhalten der Expeditionsmitglieder in Ägypten analysiert. Hierbei wird die theatralische Inszenierung des angeblichen Modernisierungsanstosses ebenso blossgelegt, wie die Intrigen und die kulturelle Borniertheit der Saint-Simonisten. Obwohl die Umsetzung der Theorie in die Praxis ein völliger Misserfolg war, konnte in Frankreich ein Bild aufrechterhalten werden, das erstens die Orientmission als Erfolg darstellte, sich zweitens bis heute in der Geschichtsschreibung kolportierte, und das drittens die Ausbeutung Ägyptens in der Wahrnehmung Europas als Notwendigkeit erscheinen liess. Im Endeffekt reihten sich die Saint-Simonisten so nahtlos unter jene Orientreisenden ein, die dem europäischen Imperialismus den Boden bereiteten. Und tatsächlich wurden wenige Jahre nach der Orientmission verschiedene saint-simonistische Grossprojekte, wie z.B. der Bau des Suezkanals, verwirklicht, wobei die Saint-Simonisten unterdessen in den Umkreis des französischen Machtzentrums aufgestiegen federführend mitorganisierten. Obschon die Orientmission eigentlich ein völliger Misserfolg war, gelang es den Saint-Simonisten durch die theatralische Inszenierung der Orientmission in Frankreich ein Bild des Erfolgs zu vermitteln, das neben anderen ähnlichen europäischen Konstrukten zu einer zentralen Stütze der europäischen Ausbeutungsideologie wurde. Die saintsimonistische Fiktion wurde so letztlich doch noch zur ägyptischen Realität.

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