Der britische Einfluss in Argentinien,1860-1914. Ein Beispiel für informellen Imperialismus?

AutorIn Name
Felix
Hintermann
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1996/1997
Abstract

Grossbritannien und Argentinien unterhielten zwischen 1860 und 1914 sehr enge wirtschaftliche Beziehungen. Britische Anleger suchten im Ausland nach lukrativen Investitionsmöglichkeiten und das zu jener Zeit stark expandierende britische Königreich war auf den Import von Nahrungsmitteln und Rohstoffen angewiesen. Andererseits bemühte sich die argentinische Elite, mit europäischer Unterstützung eine für sie einträgliche Exportwirtschaft aufzubauen. Aus dieser Interessenlage heraus entwickelte sich eine britisch-argentinische Zusammenarbeit in drei Bereichen: Erstens flossen sehr bedeutende Mengen britischen Kapitals nach Argentinien; investiert wurde insbesondere in Eisenbahnen, in Regierungspapiere und in öffentliche Einrichtungen. zweitens exportierte Argentinien immer mehr Landwirtschaftsprodukte nach Grossbritannien, um seinerseits britische Fertigprodukte zu importieren. Drittens knüpfte die wachsende briti.sche Gemeinde in Buenos Aires gute Beziehungen zur politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes.

 

Vor dem Hintergrund der lmperialismusdiskussion wird in meiner Lizentiatsarbeit nach dem genauen Charakter dieses britisch-argentinischen Verhältnisses gefragt. Seit den 1950er Jahren sind sich Theoretiker des Imperialismus uneinig über die Frage, ob - und wenn ja, wo - Grossbritannien nebst seiner formellen Eroberung von Kolonien auch einen sogenannten "informellen Imperialismus" betrieben habe. Am Beispiel Argentiniens wird dieser Frage nachgegangen. Dazu werden zuerst die theoretischen Grundlagen gelegt und der Begriff des „informellen Imperialismus" provisorisch definiert, um anschliessend dessen Anwendbarkeit für das konkrete Fallbeispiel zu untersuchen.

 

Als Quellengrundlage für diese Fragestellung dienten die im Public Record Office in London befindliche diplomatische Korrespondenz Grossbritanniens betreffend Argentinien, zeitgenössische Ausgaben der britischen Tageszeitung „The Times" und der Wochenzeitschrift „The Economist'', sowie diverse statistische Quellenwerke. Im weiteren wurde eine grosse Menge Sekundärliteratur ausgewertet.

 

Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass britische Geschäftsleute in Argentinien teilweise eine beträchtliche Machtposition innehatten. In Bereichen wie dem Eisenbahnsektor dominierten sie den Markt, und häufig verfügten sie über Querverbindungen zu anderen Wirtschaftszweigen. Im weiteren unterhielten gewisse britische Unternehmer ausgezeichnete Beziehungen zur argentinischen Elite.

 

Dennoch kann das Verhältnis zwischen Grossbritannien und Argentinien nicht als imperialistisch im definierten Sinne bezeichnet werden. Die britischen Wirtschaftsvertreter traten nicht als einheitlicher Akteur mit einer politischen Strategie auf, vielmehr herrschte unter ihnen ein erheblicher Wettbewerb, und ihr Handeln war weitgehend von Profitdenken geprägt. Der britische Staat seinerseits hielt sich zurück. Demgegenüber spielte die politische und wirtschaftliche Elite Argentiniens nicht - wie dies von einigen lmperialismustheoretikern behauptet wird - die Rolle des passiven und abhängigen Kollaborateurs. Vielmehr schlug sie bewusst und ebenfalls vom eigenen kurzfristigen Profitdenken geleitet den Kurs des exportorientierten Wachstums ein. Die Elite setzte sich zusammen aus einem engen Kreis politisch und wirtschaftlich einflussreicher Familien, der sich bereits in der Kolonialzeit herausgebildet hatte und sich als Grossgrundbesitzer der Herstellung von Landwirtschaftsprodukten widmete. Die Wirtschaftspolitik Argentiniens widerspiegelte die Interessen dieser mächtigen Exportproduzenten. Von den britisch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen profitierten sie genauso wie die britischen Ge­

schäftsleute. Solange die Wirtschaft boomte, konnte auch die breite Bevölkerung Argentiniens von einer gewissen Verbesserung des Lebensstandards profitieren. Die grossen strukturellen Probleme dieser kurzsichtigen, einseitig auf Export setzenden Wirtschaftspolitik traten erst während den Rezessionsphasen im laufe des 20. Jahrhunderts richtig in Erscheinung.

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