Das Kreuz mit Hammer, Zirkel, Ährenkranz. Die Beziehungen der Schweiz und der Deutschen Demokratischen Republik, 1949-1972

AutorIn Name
Therese
Steffen Gerber
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Judit
Garamvölgyi
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1999/2000
Abstract

Die Arbeit untersucht die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der DDR in den Jahren 1949ñ1972, in der Phase der Gründung des zweiten deutschen Staates bis zum Moment seiner völkerrechtlichen Anerkennung durch die internationale Staatenwelt. Betrachtet werden die «Nicht-Beziehungen»in einer Zeit fehlender Anerkennung der DDR durch die Schweiz auf diplomatischer, wirtschaftlicher sowie kultureller Ebene. Dabei werden diese Beziehungen - vor dem Hintergrund des zentralen Stellenwerts des Deutschlandproblems für die schweizerische Diplomatie in der Nachkriegszeit - in den grösseren Kontext der Entwicklung der Deutschlandfrage, der schweizerischen Neutralitätspolitik und der internationalen Beziehungen der Nachkriegszeit gestellt. Die Arbeit stützt sich im Wesentlichen auf Archivstudien in den Beständen des Schweizerischen Bundesarchivs (EPD, EVD und EJPD) einerseits, dem SAPMO-Archiv in Berlin sowie den Archiven der beiden deutschen Aussenministerien in Berlin und Bonn andererseits.

 

Im ersten Kapitel werden die Rahmenbedingungen der schweizerischen Aussenpolitik unmittelbar nach Kriegsende sowie die Strukturen, Entscheidungsträger und Handlungsspielräume der ostdeutschen Aussenpolitik untersucht. DDR-Handlungsspielräume verengten oder erweiterten sich je nach sowjetischen Deutschlandzielen. Nach dem deutsch-sowjetischen Souveränitätsvertrag von 1955 zielte das Ringen Ostberlins um internationale Anerkennung auch darauf ab, die Abhängigkeit von dieser sowjetischen Politik etwas zu lockern.

 

Im zweiten Kapitel werden die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in den Jahren 1945 - 1949 betrachtet. Diese Periode war geprägt durch Unsicherheit bezüglich der Betreuung von in der SBZ lebenden Schweizern sowie der Frage nach den Beziehungen zu den im Entstehen begriffenen ostdeutschen Behörden einerseits und dem in Berlin ansässigen Alliierten Kontrollrat andererseits. Eine pragmatische Lösung ergab sich durch die Errichtung einer schweizerischen Heimschaffungsdelegation in Berlin mit Sitz in der ehemaligen schweizerischen Gesandtschaft. Ohne gesicherte rechtliche Grundlage gelang dieser Institution durch eine pragmatische Ausschöpfung ihrer Handlungsspielräume die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den sowjetischen Besatzungsbehörden und so die Wahrung der schweizerischen Interessen in der SBZ.

 

Das dritte Kapitel befasst sich mit den Beziehungen in den Jahren 1949ñ1952. Durch die Konstituierung zweier deutscher Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen deutschen Reiches wurde die Schweiz vor die Frage diplomatischer Anerkennung gestellt. Obwohl sich durch die schweizerische Neutralität eine (diplomatische) Gleichbehandlung der beiden Staaten aufgedrängt hätte, entschied sich die Schweiz ñ teilweise unter erheblichem Druck der Westmächte stehend ñ die DDR diplomatisch nicht anzuerkennen. Dies stand in krassem Gegensatz zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik im März 1951. Diese Nichtgleichbehandlung der beiden deutschen Staaten wurde im offiziellen schweizerischen Diskurs mit den durch die DDR nicht gelösten schweizerischen Entschädigungsforderungen erklärt. Die schweizerische Anlehnung an die Nichtanerkennungspolitik der Westmächte wurde gegen aussen wettgemacht durch faktische Beziehungen zu Ostberlin, indem beispielsweise Bern 1950 als erster westlicher Staat mit der DDR Wirtschaftsverhandlungen aufnahm.

 

Im vierten Kapitel werden die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in den Jahren 1953 -1967 betrachtet. In dieser Phase nahm die Bedeutung der BRD als wichtigster Wirtschaftspartner der Schweiz zu ñ Konsequenz dieser Beziehungen stellte die schweizerische Rücksichtnahme auf Bonner Empfindlichkeiten im Zusammenhang mit der DDR dar.

 

Durch das aussenpolitische Instrument der Hallstein-Doktrin übte die BRD erheblichen Druck auf die Schweiz aus. Obwohl die Schweiz den westdeutschen Alleinvertretungsanspruch nicht anerkannte und sich gegenüber Ostberlin in praktischen Fragen Handlungsfreiheiten herausnahm, übte sie dennoch eine der BRD genehme Deutschlandpolitik aus - und dies mehr als die meisten NATO-Verbündeten der BRD. Nach der Schliessung des Ostberliner Büros der Schweizer Delegation, im Jahre 1953, blieb für die beiden Staaten nur noch die ostdeutsche Beobachterdelegation an der ECE in Genf als Kontaktstelle übrig. Im Kapitel werden im Weitern verschiedene Beziehungsebenen zwischen den beiden Staaten auf wirtschaftlichem sowie kulturellem Gebiet sowie die Beziehungen zwischen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und der schweizerischen PdA betrachtet.

 

Das fünfte Kapitel befasst sich mit der durch die internationale und im Zuge der neuen Bonner Ostpolitik erfolgten deutsch-deutschen Entspannung und der daraus resultierenden ƒnderung der schweizerisch-ostdeutschen Beziehungen in den Jahren 1968ñ1972. Als Anknüpfungspunkt waren Wirtschaftsbeziehungen gedacht, welche durch die beiden Nationalbanken initiiert wurden. Die Schweiz war hier jedoch bemüht weder als Schrittmacherin aufzutreten, noch bei einer eventuellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR zu spät zu kommen, stand doch die Durchsetzung der eigenen Interessen, welche sich aus der Entschädigungsfrage ergaben, in Gefahr. Der Bonner Druck auf die Schweiz liess jedoch auch in dieser Phase nicht nach, die deutsch-deutsche Annäherung sollte nicht durch eine zu früh erfolgende Anerkennung der DDR im Westen beeinflusst werden. Nach einigem Hin und Her und schweizerischerseits dilatorisch geführten Verhandlungen tauschten die beiden Staaten im August gegenseitige Handelsmissionen aus. Die Schweiz war damit der erste westliche Staat, welcher mit der DDR eine offizielle Vereinbarung unterzeichnete. Auch in der Anerkennung preschte sie, sobald die Situation gegenüber Bonn gesichert und geklärt war, voraus und anerkannte noch vor den anderen westlichen Staaten die DDR am 20. Dezember 1972, einen Tag vor der Unterzeichnung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags. Ziel dieser, eigentlich unschweizerischen, Politik war eine günstige Verhandlungsposition in vermögensrechtlichen Verhandlungen mit der DDR, was sich indessen im Nachhinein als eine vergebliche Hoffnung erwies. 

 

Von besonderem Interesse dieser mehr als zwanzigjährigen ÑNicht-Beziehungenì erscheint auf schweizerischer Seite die äusserst variable und pragmatische Gestaltung der vielseitigen faktischen Beziehungen, die pragmatische Gratwanderung der schweizerischen Deutschlandpolitik zwischen Neutralität und West-Integration ohne eigentliches deutschlandpolitisches Konzept. Das Fallbeispiel Schweiz-DDR macht einmal mehr die obsolete Konstruktion schweizerischer Neutralitätspolitik in der bipolaren Nachkriegsordnung deutlich. Auch in der Deutschlandfrage wurde im  offiziellen schweizerischen Diskurs Neutralität zelebriert und propagiert ñ die Orientierung an der Blockpolitik der Weststaaten und damit an deren Politik gegenüber der DDR zieht sich wie ein Roter Faden durch das aussenpolitische Handeln der Schweiz.

 

Ostdeutscherseits erscheinen die «NichtBeziehungen» zu Bern für das Ermessen des Handlungsspielraums gegenüber Moskau von Bedeutung. Zwar kann in diesem Fallbeispiel nicht von uneingeschränkten Handlungsspielräumen die Rede sein, jedoch trug die UdSSR die Anerkennungspolitik der DDR voll mit und äusserte sich zur Ostberliner Politik gegenüber Bern nicht. So schien die DDR in taktischen aussenpolitischen Fragen eine gewisse Autonomie genossen zu haben.

 

Die Dissertation ist 2002 im Verlag Arno Spitz (Berlin) erschienen.

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