Politische Identitäten im Wandel. Lesbisch-feministisch bewegte Frauen in Bern 1975 bis 1993. Jahren

AutorIn Name
Ruth
Ammann
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2005/2006
Abstract

„Das war die Nach-68er Zeit, oder. Diese Diskussionen: Was für Lebensformen wollen wir? und: Das Private ist politisch! – das war sehr wach. Wir hatten alle das Gefühl, schon nur mit unserer Lebensweise, wie wir unsere Beziehungen leben, das ist etwas Politisches.“ (Monika Stuker, ehem. Aktivistin in der Lesbeninitiative Bern LIB).

 

Der Slogan „Das Private ist politisch“ war das Kennzeichen der Neuen Frauenbewegung. In Bern errichtete die Frauenbefreiungsbewegung FBB in den 1970er Jahren ein Frauenzentrum, unzählige theoretische Richtungen und praktische Projekte schossen aus dem Boden, der „Frauenanzeiger“ und später das „Feministische Bulletin“ informierten über Aktivitäten, Gruppen, Demonstrationen und Standpunkte. Mitte der 1970er Jahre forderten Aktivistinnen der Frauenbewegung den Feminismus weiter heraus: Nicht nur die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern sollte reflektiert werden, sondern die Diskriminierung lesbischer Frauen durch die Gesellschaft (und innerhalb der Frauenbewegung!) musste Gegenstand jeder Frauenbefreiung werden. Mehr noch: Waren es nicht gerade lesbische Frauen, welche die Frauenbewegung zu einem grossen Teil trugen? Waren es nicht gerade sie, die sich wirklich und bis ins persönlichste Empfinden hinein von der Männerwelt emanzipiert hatten? Die Diskussion war eröffnet: Das Private ist politisch – ist das Privateste das Politischste?

 

In dieser Lizentiatsarbeit geht es um die Frage, wie sich Lesben im politischen Rahmen der Neuen Frauenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren in Bern definierten: Wie veränderte sich diese Selbstdefinition, die Kategorie „Lesbe“, als eine politische Identität über den Zeitraum der Untersuchung? „Politisch“ meint, dass die Identität „Lesbe“ eine Rolle für Gesellschaftsanalysen, Strategien und Selbstverständnisse der Aktivistinnen als Teil einer Emanzipationsbewegung spielte. Mit dem Zusatz „politisch“ wird ausserdem suggeriert, dass Identitäten nicht fest, sondern Gegenstand von Verhandlungen, Auseinandersetzungen und Abgrenzungsvorgängen sind. Der Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass Identitäten, welche das Kollektiv einer emanzipatorischen Bewegung begründen, Gegenstand von Auseinandersetzungen und im steten Wandel begriffen sind. Dies gilt für die Identität „Frau“ in der Frauenbewegung ebenso, wie für die Identität „Lesbe“ in der Lesbenbewegung. An drei Gruppen, die sich auf je unterschiedliche Art und Weise für eine eigenständige lesbische Politik einsetzten, wird der Wandel politischer lesbischer „Identitäten“ im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre nachgezeichnet. Untersucht wurden die Lesben Initiative Bern (LIB), die erste eigentliche Lesbengruppe in Bern, die Radikalfeministinnen Bern-Fribourg-Biel (RF) und die Kulturgruppe (KultVe) der Frauenbeiz und dem Frauenzentrum „Froueloube“ am Langmauerweg, welche ab 1986 „Spinne“ hiess.

 

Alle drei untersuchten Gruppen bzw. Projekte können als Folge der Diversifizierung in der Neuen Frauenbewegung nach 1975 betrachtet werden. Die LIB näherte sich der FBB zwar an und viele Aktivistinnen waren ebenfalls in der FBB aktiv, doch grenzte sie sich auch von der Frauenbewegung durch ihre Herkunft und ihre Zusammenarbeit mit den organisierten Schwulen ab. Die Radikalfeministinnen gingen aus der Diskussion um die richtigen Tendenzen und politischen Stossrichtungen innerhalb der FBB hervor und die „Froueloube“ bzw. die „Spinne“ und das Frauenzentrum waren ein Projekt, welches unabhängig von der FBB aufgezogen wurde, um Frauen einen eigenen Raum für Essen, Trinken, Diskussionen, sowie kulturelle und politische Veranstaltungen zu bieten. Darüber hinaus übernahm die „Froueloube“ immer mehr die Aufgabe, welche früher das Frauenzentrum der FBB an der Mühlemattstrasse inne gehabt hatte. In allen drei Gruppen, der LIB, der RF und der KultVe in der „Spinne“ spielten lesbische Lebensentwürfe eine zentrale Rolle. Dennoch zeigten sich sehr unterschiedliche politische Identitäten als Lesben, als Radikalfeministinnen bzw. als lesbisch-feministische Kulturveranstalterinnen.

 

Die LIB erachtete das Coming-Out, die Selbstbezeichnung als Lesben und die Entlarvung der normativen Heterosexualität als politische Strategie. Dieser Strategie lag die Identität als Lesbe zugrunde, lesbisch sein, stellte eine unhinterfragbare Tatsache für die LIB dar. Durch die Gesellschaftsanalyse, dass weibliche Homosexualität in der Gesellschaft unterdrückt wurde, kam die LIB zum Schluss, dass lesbische Frauen eine eigene Gruppe und eigene Räume zu beanspruchen hatten. Dem gegenüber forderte die RF die freie Wahl der Sexualität. Lesbische Lebensentwürfe wurden zu einer Möglichkeit für Feministinnen – eine Vorstellung, die der LIB fremd war. Die lesbische Identität als Ausdruck einer freien Wahl stellte bei den RF eine politische Strategie dar, die es Feministinnen ermöglichte, sich auf der ganzen Linie Männern als sozialer Klasse zu verweigern. Nicht die Differenz lesbischer Frauen und ihre Forderung nach Akzeptanz dieser Differenz waren das Ziel der RF, sondern die Abschaffung der heterosexuellen Normierung von Frauen, welche die Wahl der eigenen Sexualität und die Selbstbestimmung als Frau verunmöglichte. Die RF formulierten damit erstmals lesbische Lebensentwürfe als Zielvorstellung des Feminismus – eine Vorstellung, welche Auseinandersetzungen und Diskussionen zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen der Frauenbewegung in den 1980er Jahren prägte. Als der Kulturverein 1986 in der „Froueloube“ seine Arbeit aufnahm, wurde die Frage nach der Bedeutung des Frau-Seins, nach möglichen Expressionen weiblicher Kreativität, Wissens und Fähigkeiten wichtig. Lesbische Beziehungen stellten in diesen Fragen eine mögliche und die in der Gruppe gelebte Zielvorstellung einer frauenidentifizierten Gegen-Welt dar. Die feministische Kultur, welche die KultVe veranstaltete, integrierte lesbische Lebensentwürfe als eine der Utopien und einem der Gegenentwürfe zur patriarchalen Gesellschaft. Die Analyse der „Zwangsheterosexualität“ und der Homophobie in einer Gesellschaft, die auf der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beruhte, trat im Verlauf der 1980er Jahre für die untersuchten Gruppen zunehmend in den Hintergrund. Das Selbstverständnis der lesbisch-feministischen Frauen in der KultVe wurde nicht zuletzt durch eine Entwicklung geprägt, welche die Radikalfeministinnen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre begründet hatten: Lesbische Identität wurde zu einer (Wahl-)Möglichkeit für Feministinnen. Während die LIB eine Emanzipation in ihrer Differenz als Lesben anstrebte, verstand sich die KultVe als integrativer Bestandteil der Frauenbewegung. Sie konzentrierte sich nicht mehr nur auf die Auseinandersetzung mit dem täglichen Sexismus und den feministischen Forderungen, sondern nahm die Gestaltung eigener kultureller, politischer und spiritueller Räume an die Hand. Lesbische Identitäten prägten letztlich die feministischen Emanzipationsziele des „kulturellen Feminismus“, wie er im Bern der 1980er Jahre durch die KultVe akzentuiert wurde. Die Frage, wie mit der Differenz zwischen Lesben und heterosexuellen Frauen für eine gemeinsame Bewegung umzugehen sei, blieb in diesem Feminismuskonzept jedoch unbeantwortet.

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