Sag mir, wo du stehst. Das Ringen der Schweizer Armeeführung um die Einsicht in die politische Einstellung ihrer Offiziere vor und unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges

AutorIn Name
Eveline
Lehmann
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2004/2005
Abstract

Nicht erst seit Ausbruch des Kalten Krieges interessierte sich die Schweizer Armeeführung für die politische Einstellung ihrer Offiziere. Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Daten über politisch (zu) aktive Offiziere gesammelt und allenfalls disziplinarische Massnahmen eingeleitet. Die Parlamentarischen Untersuchungskommissionen, welche anlässlich des Fichenskandals 1989/1990 eingesetzt worden waren, konzentrierten sich in ihren Untersuchungen über die Vorkommnisse hinsichtlich einer politischen Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) auf die Zeit des Kalten Krieges. Die militärische Überwachung vor dem Kalten Krieg wurde jedoch bisher kaum aufgearbeitet.

 

Als Grundlage der Lizentiatsarbeit diente eine Quellensammlung des Eidgenössischen Militärdepartements, in welcher sich Verfahrensakten befinden, die das Thema „links- und rechtsextreme Offiziere“ behandeln. Die Sammlung umfasst über hundert Einzelfalldossiers aus rund fünfzig Jahren.

 

Die Studie untersucht, welche Möglichkeiten die Armeeführung hatte, um Einsicht in die politischen Einstellungen und Aktivitäten ihrer Offiziere zu erhalten. Da es sich dabei um Gesinnungsdelikte und nicht um „klassische“ Delikte handelte, für die man hätte Beweise finden können, war die Armeeführung sowohl hinsichtlich ihrer Ermittlungsmethoden wie auch in Bezug auf die Sanktionierungsmöglichkeiten in einer problematischen Lage. Es fehlten rechtliche Grundlagen für eine Überwachung und Sanktionierung politisch aktiver Offiziere und es war schwierig nachzuweisen, dass eine bestimmte politische Gesinnung und Agitation nicht mit der Stellung eines Offiziers vereinbar war. Der Unvereinbarkeitsnachweis war jedoch die einzige Möglichkeit, politische Einstellungen und Aktivitäten innerhalb des Militärs zu ahnden. Weil die strafrechtlichen Grundlagen einer Sanktionierung fehlten, wurde auch die Frage der Vereinbarkeit von der Stellung eines Offiziers und dessen Gesinnung nicht von den Militärgerichten beurteilt, sondern zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen innerhalb der Armeeführung ausgehandelt. Der dabei entstandene Diskurs gibt Aufschlüsse über die Befindlichkeiten und Normen innerhalb des Militärs und wird in der Studie eingehend analysiert.

 

In den 1930er und 1940er Jahren häuften sich die Akten über politisch aktive Offiziere und deren Verfahren. Dies hatte nicht nur mit der zunehmenden Politisierung zu tun, welche durch die Weltwirtschaftskrise und die Ereignisse in Deutschland entstanden war, sondern auch mit veränderten Strukturen innerhalb der Armee und der zivilen Überwachungsorgane. Da sich die Verfahren ab Mitte der 1930er Jahre häuften, konzentriert sich die Lizentiatsarbeit auf die Zeit zwischen 1936 und 1940.

 

Anhand einzelner Fallbeispiele und den Ermittlungsakten der Frontistenuntersuchung von 1940 wird mit diskursanalytischen Methoden beantwortet, welche Handlungsspielräume die in die Verfahren involvierten Personen hatten und welche Rolle den militärischen Hierarchien zukam. Die untersuchten Fallbeispiele widerspiegeln verschiedene Aspekte und Problemfelder der Überwachung und der politischen Gegebenheiten jener Zeit. Um die Äusserungen und Handlungen der betroffenen Offiziere besser einschätzen zu können, ist es zentral, auch die historischen Fakten, auf welche in den Fallbeispielen Bezug genommen wird, zu erläutern und zu kontextualisieren. Erst mit der Berücksichtigung der inhaltlichen Bezüge und der historischen Rahmenbedingungen kann eine Diskursanalyse stattfinden.

 

Die Studie zeigt einmal mehr, dass die Symmetriethese, welche unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam und besagt, dass während dem Krieg mit derselben Härte gegen links- wie gegen rechtsextreme AgitatorInnen vorgegangen worden sei, nicht haltbar ist. Sie zeigt zudem auf, dass es den betroffenen Offizieren meist gut gelungen ist, ihre Deutungsmuster innerhalb des Diskurses durchzusetzen, und dass militärische Hierarchien nie derart absolut waren, als dass sie nicht durch zwischenmenschliche Hierarchien hätten durchbrochen werden können.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

Akademische Arbeiten werden in der Bibliothek der jeweiligen Universität hinterlegt. Suchen Sie die Arbeit im übergreifenden Katalog der Schweizer Bibliotheken