Grösser- reicher- klüger- stärker? Eine historisch- anthropometrische Untersuchung zum biologischen Lebenslauf von Berner Rekruten im Zeitraum von 1875 bis 1940

AutorIn Name
Serge
Meyer
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2004/2005
Abstract

Die Körpergrösse ist eines der auffälligsten Merkmale, das einen Menschen prägt, identifiziert und das nicht zu verbergen ist. Symbolische Zeichen wie das Neigen des Hauptes, eine Verbeugung oder ein Kniefall zeichnen sich immer durch einen Unterschied an Grösse aus. Auch in der heutigen Umgangssprache wird, wenn auch meist unbewusst, mit Aussagen wie „jemand steht über jemandem“ oder „auf jemanden herunterschauen“ eine hohe Körpergrösse als positive Eigenschaft gewertet. So hat sich im Laufe der Zeit ein gesellschaftliches Bild entwickelt, das körperliche mit sozialer Überlegenheit assoziiert. Dem sozialen Stereotyp des gross gewachsenen Individuums entsprechen die Eigenschaften des Erfolgreichen im Beruf oder in der Partnerwahl. Nicht dass kleiner gewachsene Leute keine Chance auf einen sozialen Aufstieg haben, sie benötigen aber mehr Energie um sich durchzusetzen und um sich zu beweisen.

 

Das Wachstum und die Grösse des menschlichen Körpers sind denn auch Untersuchungsgegenstand der Arbeit. So können sich neben den vorgegebenen, erbbedingten Faktoren, verschiedene exogene Einflüsse positiv oder negativ auf das Wachstum eines Kindes auswirken. Damit sich ein Kind körperlich optimal entwickeln kann, muss das Gleichgewicht zwischen Nahrungsaufnahme und Ernährungsbedürfnis während den wichtigsten Wachstumsphasen intakt sein. Wird aber diese Balance durch Mangel- oder Unterernährung oder durch zusätzliche Stressfaktoren wie Krankheit oder starke Arbeitsbelastung gestört, kommt eine körpereigene Schutzfunktion zum Zug, die auf Kosten des Wachstums die vorhandenen Ressourcen den dringendsten körperlichen Bedürfnissen, wie zum Beispiel der Krankheitsbekämpfung, zur Verfügung stellt. Diese Umstände machen die Körpergrösse zu einem relativ genauen Indikator für den biologischen Lebensstandard eines Individuums. Dadurch wird die Anthropometrie für den Historiker zu einem interessanten Instrument, das einen detaillierten Einblick in die Lebensumstände verschiedener Bevölkerungsgruppen erlaubt. Im Gegensatz zu vorhergehenden Arbeiten zum Thema, die Passempfehlungen und Passkontrollen als Quellen nutzten, wurden für diese Arbeit die Rekrutierungskontrollen des Kantons Bern als Quelle ausgewählt und bearbeitet. Der schwerwiegendste Nachteil, den die Rekrutierungskontrollen mit sich bringen, ist das Fehlen von Daten der weiblichen Bevölkerung. Dafür sind neben der Körpergrösse zusätzliche Informationen wie der Brustumfang, der Umfang des rechten Oberarmes und die Noten der pädagogischen und sportlichen Tests verfügbar.

 

Die statistischen Anforderungen wurden bei allen Messungen erreicht und die untersuchte Stichprobe kann als repräsentativ bezeichnet werden. Bei der männlichen Bevölkerung des Kantons Bern ist im untersuchten Zeitraum sowohl eine Zunahme der Körpergrösse wie auch des Brust- und Oberarmumfanges festzustellen. Dabei sind die Gesamtwirtschaftskrise der 1880er Jahre oder das Einsetzen der Geburtenkontrolle als Einflüsse auf die Körpergrössenentwicklung deutlich sichtbar. Die pädagogischen Rekrutenprüfungen stellen den Kanton Bern im nationalen Vergleich in ein äusserst schlechtes Licht. Die Resultate verbesserten sich bei einer gleichzeitigen drastischen Verringerung der Absenzenzahlen deutlich, was ein Zeichen für die zunehmende Durchsetzung des Primarschulgesetzes ist. Zudem besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der geistigen Leistungsfähigkeit und der Körpergrösse. Ausnahmslos sind in allen Fächern die durchschnittlichen Körpergrössen der Prüflinge mit einer besseren Note höher als derjenigen mit einer schlechteren Note. Dieses „je kleiner desto dümmer“-Verhältnis bietet durchaus Konfliktpotential und ist Gegenstand eines Zentrum- Peripherie-Modells, das diese Scheinkorrelation mit einer Analyse zweier Extremfälle aufzuklären versucht. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Armut der entscheidende Faktor ist, der sowohl das Körperwachstum wie auch die Bildungsqualität gleichzeitig negativ beeinflusst. Die Resultate der turnerischen Prüfung umfassen nur zwei kurze Zeiträume und sind daher eher als Momentaufnahmen statt als Verläufe geeignet.

 

Im internationalen Körpergrössenvergleich weisen alle Kurven einen ähnlichen Verlauf mit aber teilweise beachtlichen Niveauunterschieden auf. Die Bewohner der nördlich gelegenen Länder sind tendenziell grösser und die der südlichen Länder eher kleiner als die Berner. Die Einwohner Frankreichs, dessen Breitengrade nicht stark von den schweizerischen abweichen, weisen einen beinahe identischen Körpergrössenverlauf auf.

 

Die Diskrepanz der Rekrutierungsdaten gegenüber den Passdaten konnte, vor allem für die erste Hälfte des Untersuchungszeitraumes, nicht abschliessend geklärt werden. Hier könnten eine verfeinerte Analyse und die Suche nach gemeinsamen Individuen eventuell Abhilfe schaffen und so weitere Informationen zur Messtechnik oder zum Körperwachstum nach der Rekrutierung gewonnen werden.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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