,„Im Interesse der Wissenschaft und zur Ehre des Landes.“ Der Schutz der Findlinge in der Schweiz – vom Anliegen der Naturforscher bis zur staatlichen Angelegenheit 1800-1945

AutorIn Name
Emanuel
Maurer
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2004/2005
Abstract

Findlinge sind Felsbrocken, die einst durch die Gletschervorstösse den Weg von den Alpen bis ins Mittelland und in den Jura zurückgelegt haben. Die geologisch betrachtet in einer fremden Gegend liegen gebliebenen Steine, auch erratische Blöcke genannt, finden heute kaum mehr Beachtung. Nur bei genauerem Hinsehen sind vielerorts die verwitterten Inschriften „Staatlich geschütztes Naturdenkmal“ auf den Blöcken erkennbar. Sie zeugen von einer Zeit, als die Findlinge auf ein grosses Interesse stiessen, und halten einem vor Augen, dass die menschliche Wertschätzung der Natur einem steten Wandel unterworfen ist.

 

In der Arbeit wird die Entwicklung von den Anfängen der Bemühungen zum Schutz der Findlinge über ihre Integration in die entstehende Naturschutzbewegung bis zur Umsetzung des Anliegens als staatliche Angelegenheit dargestellt. Voraussetzungen, Phasen, Motive und Akteure des Findlingsschutzes in der Schweiz werden dabei im internationalen Vergleich beleuchtet. Als Beispiel, wie das Anliegen regional konkret umgesetzt wurde, werden die Bestrebungen zum Schutz der erratischen Blöcke im Kanton Bern speziell thematisiert.

 

Die Idee, sich aktiv gegen die Zerstörung der Findlinge einzusetzen, entstand im Kreis der Schweizer Naturforscher im 19. Jahrhundert. Die entwickelte Eiszeittheorie erklärte nicht nur die Transportweise der Findlinge, sondern brachte zahlreichen Schweizer Naturforschern auch Erfolge und Ruhm. Um die Theorie zu festigen, strebten die Geologen an, die Ausdehnung der einzelnen Gletscher zu rekonstruieren. Die Findlinge wurden dadurch zu wertvollen Forschungsgegenständen und erhielten zusätzlich den Status von nationalen Naturdenkmälern. Die Steine standen nach Ansicht der Naturforscher nicht nur im Zeichen der Erfolge der Schweizer Wissenschaftler, sondern waren auch Zeugen der einmaligen natürlichen Geschichte des Landes. Parallel zur gesteigerten Wertschätzung von Seiten der Forscher nahmen auch die Nutzung und die Zerstörung der Findlinge für zivile Zwecke zu. Diese gegenläufige Entwicklung führte soweit, dass die Wissenschaftler sich gezwungen sahen, aktiv gegen das Verschwinden der für sie so wichtigen Naturobjekte vorzugehen.

 

Der Findlingsschutz in der Schweiz lässt sich in drei Hauptphasen gliedern. Der Anfang der ersten Phase erfolgte mit dem nationalen Aufruf zur Schonung der erratischen Blöcke im Namen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG) von Alphonse Favre im Jahr 1867. Der Findlingsschutz hatte in seiner ersten Phase ein verbindendes Element. Akteure aus der nationalen Elite, regional tätige Experten und lokal handelnde interessierte Laien wie Lehrer und Pfarrer hatten ein gemeinsames Ziel. Die Zusammenarbeit wurde erleichtert durch die relative Kleinräumigkeit der Schweiz und die Organisationsstrukturen der führenden naturwissenschaftlichen Vereine. Mit der Mithilfe am Aufruf wurde nicht nur ein Beitrag an die Wissenschaft geleistet, sondern initiative Männer schafften und bewahrten auch ein Stück neu gewonnene Identität. Das unmittelbare wissenschaftliche Motiv erwies sich bald als relativ unbedeutend. Die Popularität der Findlinge und ihr Status als wissenschaftlich wertvolle Objekte und nationale Naturdenkmäler blieben aber bestehen. Der Beginn der zweiten Phase des Findlingsschutzes wurde 1906 mit der erfolgreichen Rettung des Riesenfindlings „Pierre des Marmettes“ in Monthey eingeleitet. Die langwierigen Verhandlungen der SNG führten dazu, dass für die Erhaltung von weiteren Naturdenkmälern die Schweizerische Naturschutzkommission (SNK) gegründet wurde. Der Kampf um die Erhaltung der erratischen Blöcke spielte auf der Sachebene in der Entstehung der schweizerischen Naturschutzbewegung keine entscheidende Rolle. Weit prägender waren die in der ersten Phase des Findlingsschutzes entstandenen Handlungsmuster auf der Ebene der Organisation und der konkreten Umsetzung. Die Pionierarbeit und die Strukturen der Findlingsschützer ebneten den Weg für eine Ausweitung der Naturschutzbewegung, gleichzeitig konnten sich insbesondere auf regionaler Ebene die traditionell ausgerichteten Findlingsexperten wieder vermehrt Gehör verschaffen. Im Gegensatz zum nationalen Komitee massen die neu entstandenen regionalen Sektionen der SNK dem Schutz der Findlinge hohen Stellenwert bei. Der Findlingsschutz wurde in seiner zweiten Phase zu einer wissenschaftlich und national geprägten Tradition. Die Schüler und Nachfolger der bekannten Akteure der ersten Stunde versuchten die Arbeit ihrer Vorgänger und Vorbilder weiter zu betreiben. Der Findlingsschutz konnte sich als Teil des Naturschutzes behaupten und profitierte auch von der Bildung amtlicher Kommissionen. Die Erhaltung der erratischen Blöcke wurde somit zur staatlichen Angelegenheit, was als dritte Phase des Findlingsschutzes bezeichnet werden kann. Spätestens in der Nachkriegszeit waren die Kantone für den Schutz der erratischen Blöcke zuständig und das Anliegen der Naturforscher aus dem 19. Jahrhundert schien endgültig etabliert.

 

Die Schweiz nahm im Findlingsschutz eine Pionierrolle ein, die über die Landesgrenzen hinweg von Bedeutung war. Die Möglichkeit, innerhalb eines relativ kleinen Raumes die Gletscher und ihre Ablagerungsspuren zu studieren, war mitverantwortlich dafür, dass sich die Eiszeittheorie in der Schweiz früh durchsetzen konnte und dadurch die Findlinge mehr Beachtung erhielten als anderswo. Der entscheidende Unterschied zum Ausland bestand darin, dass die Findlinge nur in der Schweiz so früh zu nationalen Symbolen erkoren worden sind.

Zugang zur Arbeit

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