Die umgekehrten Suffragetten». Die Gegnerinnen des Frauenstimmrechts in der Schweiz von 1958 bis 1971

AutorIn Name
Daniel
Furter
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2003/2004
Abstract

Dass die Schweiz als einer der letzten Staaten das Frauenstimmund -wahlrecht erst 1971 einführte, ist hinlänglich bekannt. Weniger präsent ist, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt Frauen gegen die politische Gleichberechtigung organisierten. Auf Grund mangelnder Quellen ist dieser Aspekt erst marginal erforscht. Zwei bisher unbearbeitete Archivbestände erlaubten es, für die Zeit von 1958 bis 1971 ins Innere der nationalen Organisationen der Frauenstimmrechtsgegnerinnen zu blicken. Wie organisierten sich diese? Wer waren die führenden Frauen? Weshalb kämpften sie gegen das Frauenstimmrecht?

 

1958 gründeten zehn Frauen das Schweizerische Frauenkomitee gegen das Frauenstimmrecht im Hinblick auf die erste eidgenössische Abstimmung zur Frage im Februar 1959. Obwohl das Frauenstimmrecht deutlich abgelehnt wurde, entstand aus diesem Komitee im Mai 1959 der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. Trotz grosser Bemühungen dieser Dachorganisation entstanden nur in wenigen Kantonen regionale Vereine. Neben den zwei bis drei Dutzend aktiven Gegnerinnen scheinen nur einige hundert Frauen regelmässig zahlende Mitglieder gewesen zu sein.

 

Die Recherchen zum Sozialprofil der führenden Gegnerinnen ergaben, dass sich diese im Allgemeinen in einer sehr privilegierten Lage befanden. Sie hatten eine gute Ausbildung genossen, waren durch ihre Herkunft und ihre Heirat Mitglieder der oberen Gesellschaftsschichten und in einer guten wirtschaftlichen Position. Sie genossen grosse persönliche Freiheiten und Prestige durch ihr langjähriges öffentliches Engagement. Mit der Politik kamen einige über ihren Ehemann in Kontakt. Diese Frauen nahmen die sozialen Entwicklungen der 1950er und ’60er Jahre als Bedrohung wahr. Sie befürchteten mit der Einführung des Frauenstimmrechts eine entscheidende Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung und eine Verschlechterung der eigenen als ideal empfundenen Stellung. Mit dem Konzept der Gendered Class Interests lässt sich erklären, dass diese Frauen ihre Interessen ganz anders wahrnahmen als Frauen aus anderen sozioökonomischen Verhältnissen.

 

Ebenfalls versucht die Arbeit, Denkmuster dieser führenden Frauen aufzuzeigen. Ihr Denken kann in ein wertkonservatives und rechtsbürgerliches Umfeld eingeordnet werden. Mit einem übersteigerten Patriotismus blieben die Gegnerinnen der von Regula Stämpfli postulierten „reaktionären Variante Geistiger Landesverteidigung” verbunden, welche keinen Spielraum für einen Ausbau der politischen Rechte zuliess.

 

Während die Gegnerinnen für die breite Masse der Frauen in der Politik keinen Platz sahen, entwickelte sich ihre eigene politische Aktivität in bemerkenswerter Weise. Als ihre Stellungnahmen in einem Grossteil der Medien immer weniger Veröffentlichung fanden, liessen sie jede Zurückhaltung fallen und erstellten eigene populistische Publikationen. Früh erkannten sie, dass ihre Bedenken durch Lobbying bei der nationalen und den kantonalen Exekutiven am wirkungsvollsten anzubringen waren. Sie forderten und erlangten zudem Einsitz in ausserparlamentarischen Kommissionen. Ihren politischen Einfluss über diese „qualifizierte Mitarbeit der Frau” schätzten die Gegnerinnen grösser ein als denjenigen eines Stimm- und Wahlrechts.

 

Die Zusammenarbeit mit den männlichen Gegnern des Frauenstimmrechts wandelte sich grundlegend: Während im Schweizerischen Frauenkomitee ein Nationalrat bestimmend mitarbeitete, mobilisierte später der Bund der Schweizerinnen Männer, um kantonale Kampagnen zu führen. Während sich die Politiker nur sporadisch und gegen Ende – wohl aus Rücksicht auf zukünftige Wählerinnen – sehr vereinzelt engagierten, hatten die Frauen konstant ihre Opposition aufrechterhalten. Sie waren keineswegs Marionetten männlicher Gegner, als welche sie die Befürworterinnen gerne darstellten.

 

Nach der Niederlage in der eidgenössischen Abstimmung 1971 löste sich der Bund der Schweizerinnen auf; die entstandenen Frauenfreundschaften wurden aber weiter gepflegt. Die Gegnerinnen machten nun von ihrem Stimm- und Wahlrecht Gebrauch. Einige versuchten sogar, konservative Frauen zur Teilnahme am politischen Leben zu bewegen, womit sie letztlich zu einer „Politisierung” dieser Frauengruppe beitrugen.

 

Wenn die führenden Gegnerinnen politisch Einfluss nehmen und ihre gesellschaftliche Stellung verteidigen wollten, mussten sie die antifeministischen Tendenzen des ihnen nahe stehenden politischen Umfelds übernehmen. Christine Bard erklärt diesen weiblichen Antifeminismus als „Überlebensreflex” von Frauen, welche den Vorstoss in männlich dominierte Aktionsfelder wagen. Gerade diese Anpassung hat es den Gegnerinnen aber ermöglicht, aus anderen traditionellen Konventionen auszubrechen und ihren Handlungsspielraum voll auszunutzen. Für die von den Gegnerinnen unterstützte – dem weiblichen Wesen angepasste – „qualifizierte Mitarbeit der Frau” stellte sich vor allem die Frage, welche Frauen qualifiziert wären. Als Akademikerinnen wollten sie offenbar verhindern, dass die „einfachen Frauen”, welche sie als von „links” manipulierbar einschätzten, zur Urne schritten. Das anfänglich paradox wirkende Handeln der Gegnerinnen erscheint letztlich als rationales Verfolgen der eigenen Interessen. Durch ihr Eingreifen in die öffentliche Diskussion und ihr politisches Lobbying widerlegten die Gegnerinnen zugleich die eigene Behauptung, dass Frauen für die Politik ungeeignet seien.

 

Eine digitale Version kann unter: http://furter.net/ downloads/ heruntergeladen werden.

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