Seeing Hidden Environmental Risks

Auteur du rapport
Nicolau
Lutz
University of Cambridge
Citation: Lutz Nicolau: « Seeing Hidden Environmental Risks », infoclio.ch Tagungsberichte, 04.08.2025. En ligne: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0327>, consulté le 08.08.2025

Verantwortung: Martin Lengwiler / Debjani Bhattacharyya

Referierende: Martin Lengwiler / Debjani Bhattacharyya / Corey Ross

 

PDF-Version des Berichts

 

Dieses Panel erörterte die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Umweltrisiken und die zentrale Rolle von ökonomisch-finanziellen Prozessen in der Sichtbarmachung solcher Risiken. Die Beiträge fo­kussierten insbesondere auf die Geschichte des Versicherungswesens und die Frage, wie Profit­mo­tive zur finanziellen Einschätzung und so zur Sichtbarmachung von Umweltrisiken beitragen. Ein weiterer Fokus des Panels war die Kategorie des Risikos selbst, die nicht nur durch Versiche­rungs­denken beeinflusst wird, sondern auch durch Infrastrukturprojekte und dahinterliegende Be­sitzver­hältnisse sowie durch politische Ökonomien: Was in einem sozio-ökologischen Kontext als Risiko gilt, kann in einem anderen Kontext als funktionaler Teil des Systems verstanden werden.

DEBJANI BHATTACHARYYA (Zürich) eröffnete ihren Beitrag zur modernen Geschichte des Versiche­rungswesens in Südasien mit einer Textstelle aus Henry Piddingtons The Sailor’s Horn-Book for the Law of Storms von 1848: In dieser Passage erklärt der Autor, dass er den Kapitänen nicht nur bei­brin­gen wolle, wie man Stürme erkennt und navigiert, sondern auch, wie man von diesem Wissen profi­tieren kann. Diese «odd idea» – aus Stürmen Profit zu schlagen – sei historisch zu ergründen. Aus­gehend von einer gegenwärtig zu beobachtenden «Finanzialisierung der Klimakrise» (financiali­za­tion of the climate crisis), deren Anfänge zeitgenössische Autoren und Autorinnen wie John Bel­lamy Foster, Melinda Cooper oder Alyssa Battistoni in den 1970er Jahren verorten, rekonstruierte Bhatta­charyya eine Klima-Finanz-Geschichte, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht und sich im In­dischen Ozean abspielt. Eine Untersuchung von Versicherungsgesellschaften wie Lloyd’s of Lon­don, die ab den 1830er Jahren in Kalkutta etabliert waren, und Schifffahrtshandbüchern beleuchtet nicht nur den Prozess der frühen Kommerzialisierung des Klimawissens, sondern auch bis anhin unsichtbar gebliebene Vorgänge der Produktion dieses Wissens. Diese Prozesse blieben unsicht­bar, führte die Referentin aus, weil sie nicht von staatlichen oder militärischen Behörden unter­nommen worden waren und dadurch auch nicht in deren Archive eingegangen sind, sondern im pri­vaten Sektor statt­fanden. In diesem privatwirtschaftlichen Kontext seien auch die lokalen Prakti­ken des rain-gamb­lings zu verorten. Ursprünglich aus der Wüstenregion Rajasthan stammend, kann diese von Getrei­dehändlern praktizierte Form des Glücksspiels auch als eine vernacular market practice gelesen wer­den, um die Dauer und Menge des Monsunregens einzupreisen. Bhattacharyya strich hervor, dass die klimatischen Verhältnisse in den Tropen ein Zusammenwirken von Unsi­cherheit und Vorhersagbar­keit hervorbringen, die Risiken aber dadurch auch Profitmargen schaffen.

Das Referat von MARTIN LENGWILER (Basel) befasste sich zwar ebenfalls mit der Geschichte des Versicherungswesens, betrieb aber mit einem Blick auf die letzten 50 Jahre Zeitgeschichte. In drei Segmenten thematisierte Lengwiler den Umgang des Versicherungswesens mit den Klimaverände­rungen seit den 1980er Jahren. Zunächst ging es um den Zusammenhang zwischen Versicherungen und der Wissensformation bezüglich Klimaveränderungen. Zeigten sich die Versicherer in den 1990er Jahren noch zurückhaltend, wenn es um die Frage der steigenden Wetterschäden aufgrund von langfristigen Klimaveränderungen ging, so seien sie in den letzten 20 Jahren aktiver geworden, auch aufgrund des Anwachsens von firmeneigenen Daten. Die Versicherer seien zudem aktiver in der Forschung geworden. Hier wies Lengwiler auf die Rolle der Geneva Association of Insurers hin, einem wenig bekannten internationalen Verband von Versicherern und Rückversicherern. Als zwei­tes Thema wurde das Aufkommen neuer Versicherungsformen besprochen. Als wichtigste Ent­wick­lung sei hier die Verbriefung oder securitization zu verzeichnen, also der Rückgriff auf die Ka­pital­märkte durch die Emission von Wertpapieren als Sicherung gegen das Risiko von grossen Schäden bei extremen Wetterereignissen. Der Ursprung dieses Trends liegt in den 1980er Jahren in den USA mit dem Aufkommen sogenannter CAT Bonds oder Katastrophenanleihen. Zuletzt be­sprach Lengwi­ler die aktuelle Entwicklung der Versicherer in Richtung der Tolerierung und Norma­lisierung von Kli­maschäden und Klimaveränderungen, um zu Lasten dieses nun sichtbar und bere­chenbar gemach­ten Risikos einen neuen Markt und neue Einnahmeströme zu erschliessen. Dies könne allerdings der Klimaprävention entgegenlaufen, betonte Lengwiler. Zu beobachten sei im Weiteren, wie die Versi­cherungen unter dem Stichwort «Resilienz» Projekte vorschlagen, die mehr im Einklang stehen mit dem Ziel des Klimaschutzes, beispielsweise den Einbezug der klimatischen Resilienz als Kategorie in Versicherungspolicen zur Siedlungsplanung und Gebäudereglementie­rung. Lengwiler schloss mit dem Hinweis, dass sich in der untersuchten Zeitspanne auch ein Trend der Verlagerung von staatli­chen auf privatwirtschaftliche Akteure beobachten lässt, wobei auch hybride Modelle und Koopera­tionen zu verzeichnen sind.

Das dritte Referat richtete den Blick weg von der Geschichte des Versicherungswesens, aber wie­der zurück nach Südasien. COREY ROSS (Basel) untersuchte das Thema der Unsichtbarkeit in der Ge­schichte des Hochwasserschutzes im Ganges-Brahmaputra-Delta mithilfe des aus der Fische­reiwis­senschaft entlehnten Begriffs der shifting baselines. Massnahmen zur Nutzung und Siche­rung von Flusslandschaften veränderten die Umwelt auf eine Art, dass frühere Zustände der Land­schaft – frühere baselines – allmählich in Vergessenheit geraten. Dabei reflektierten diese Mass­nahmen im­mer auch die zum gegebenen Zeitpunkt vorherrschenden politischen, sozialen und wirt­schaftlichen Gesamtverhältnisse. In der vorkolonialen Periode, so Ross weiter, wurde die saisonale Überflutung von Agrargebieten toleriert, sie half der Bewässerung von Feldern und diente der Zu­fuhr von Nähr­stoffen. Nach der Neuordnung des Steuersystems und der damit einhergehenden Veränderung der Eigentumsverhältnisse im Rahmen des Permanent Settlements von 1793 wurde die saisonale Über­flutung als Problem angesehen: Ernteausfälle führten zu unregelmässigen Steuer­flüssen und die häufigen Verschiebungen der Flussläufe störten das neue Grundeigentumsregime. In Reaktion da­rauf begann die britische Administration Uferdämme zu bauen und das Delta dadurch zu segmentie­ren. Dies führte zu neuen Umweltproblemen wie aussergewöhnlichen Fluten in nicht beschützten und weiter flussabwärts gelegenen Gebieten, erhöhtem Krankheitsrisiko und dem Verlust der Bo­denfruchtbarkeit sowie gesellschaftlichen Spannungen bei der Selektion von Dammbauprojekten. Die Infrastruktur und Denkart aus der Kolonialzeit beeinflusste als neue base­line auch Flutpräventi­onsprojekte im 20. Jahrhundert: Statt die Herangehensweise grundlegend zu überdenken bemühten sich die Projekte in Ostpakistan/Bangladesch nach der Unabhängigkeit, den als «ursprünglich» wahrgenommenen Zustand der Dämme aus der Kolonialzeit wiederherzustellen oder – derselben Philosophie folgend – massiv auszubauen. 

In einem äusserst reichhaltigen Panel stachen alle drei Referate durch ihre theoretische Versiert­heit heraus, gleichzeitig war es allen Referierenden ein Anliegen, aus anderen Disziplinen entlehnte De­batten und Ideen historisch zu unterlegen. Die drei Beiträge historisieren das Zusammenspiel zwi­schen Risiko, «Versicherheitlichung» (securitization) und Umwelt in bestimmten Kontexten in­ner­halb der Geschichte der Moderne. Die Rolle des Staates wurde teilweise zwar angeschnitten, die Grundbewegung der Referate ging jedoch dahin, die Dynamik der Sichtbarmachung, Risikoein­schät­zung und Marktorientierung von atmosphärischen und hydrosphärischen Prozessen gezielt in aus­serstaatlichen Bereichen zu situieren. Die Rolle der Gesetzgebung, sei es in der Festlegung von Ei­gentumsverhältnissen und Steuersystemen oder in der Regulierung von Versicherungsformen und -objekten, wurde teilweise angesprochen – eine weitere Auseinandersetzung mit dem Verhält­nis zwischen diesen Prozessen und der Sphäre des Politischen bietet sich schliesslich an.

 

 

 

Panelübersicht:

Debjani Bhattacharyya: Cyclonic Turbulence as a Commodity Frontier

Martin Lengwiler: Insuring Climate Change: Insurance and the Perception of Climatic Transformations

Corey Ross: Shifting Baselines and the Hidden Long-term Flood Risks

 

Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.
Evènement
Siebte Schweizerische Geschichtstage
Organisé par
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
Date de l'événement
-
Lieu
Luzern
Langue
Allemand
Report type
Conference