Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Siegfried
Weichlein
Institution
Seminar für Zeitgeschichte
Place
Fribourg
Year
2019/2020
Abstract
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird die Weltgemeinschaft mit neuen Technologien konfrontiert. Der Telegraf und die Eisenbahn lassen Distanzen bezüglich Kommunikation und Transportwesen kleiner erscheinen und sie reformieren tiefgründig jegliche Lebensbereiche, vom Bankwesen über die Diplomatie bis zu privaten Interaktionen. Die Raum‐ und Zeitebenen überlappen sich, Zeit wird beschleunigt wahrgenommen und Zeit wird durch den Strukturwandel der Arbeitswelt während der industriellen Revolution zunehmend ökonomisiert. Das System der bis dahin herrschenden Lokalzeit, welche sich an der Sonnenstellung orientiert, genügt den ökonomischen und sozialen Ansprüchen der aufkommenden Moderne nicht mehr. Es werden internationale Regulierungen gefordert.
Die vorliegende Masterarbeit untersucht dabei die schweizerische Debatte bezüglich der Standardisierung der Zeit und beleuchtet ihren Einfluss auf internationaler Ebene. Ausgewählte Zeitungen mit unterschiedlichen politischen Positionen und aus verschiedenen Sprachregionen werden zur Rekonstruktion der damaligen öffentlichen Debatte analysiert. Zum anderen werden Kongressprotokolle und Jahresberichte von betroffenen internationalen Organisationen miteinbezogen.
Die Arbeit zeigt auf, dass Alltagsgewohnheiten insofern Ängste schüren, als dass mit einem neuen Zeitregime das bürgerliche Leben grundlegend verändert werde. Ausserdem wird Zeit in der schweizerischen Debatte oft mit Kulturraum gleichgesetzt, geographische Nachbarn und gleichsprachliche Nationen sollten also dieselbe Uhrzeit nutzen. Die Schweiz als multikulturelle Nation kann aus heutiger Sicht, wie auch damals von Zeitgenossen bereits wahrgenommen, als Sonderfall interpretiert werden. Eine Lösungsfindung in der Standardisierung der Zeit ‐ zwischen den Projekten Stundenzonenzeit, Weltzeit oder Weiterführung der Lokalzeit ‐ gestaltete sich Schweiz‐ intern als unmöglich. Positionsgräben waren eher zwischen den verschiedenen Sprachregionen und sozialen Klassen auszumachen als auf politischer Ebene. International spielte die Schweiz einerseits eine entscheidende Rolle, da sie dank ihrer Strategie der passiven Aussenpolitik als Gastgeber vieler wichtigen internationalen Organisationen fungierte. Andererseits konnte die Schweiz, mit Ausnahme eines marginal diskutierten Vorschlages des Genfer Wissenschaftlers Henri Bouthillier de Beaumont, auf internationaler Bühne wenig zu konkreten Lösungsansätzen beitragen. Schliesslich fügt sich die Schweiz dem System der Stundenzonenzeit, auch wegen des internationalen politischen Drucks. Wie in fast allen Ländern wird die Stundenzonenzeit auch in der Schweiz sehr schnell in die Alltagsgewohnheit integriert und nur wenige Jahre nach deren Einführung im Juni 1894 nicht mehr hinterfragt.