1948 – Hundert Jahre Schweizer Bundesstaat. Die Vermittlung nationaler Identität an der Jahrhundertfeier in Bern

AutorIn Name
Samir
Malek-Madani
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
PD Dr.
Hannes
Leidinger
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract

Zum Gedenken an die seit hundert Jahren bestehende Schweizer Bundesverfassung von 1848 wurde am 20. Juni 1948 in Bern eine Jubiläumsfeier abgehalten. Die nationale Feier mit Festumzug, Reden, Banketten, einem Festspiel und weiteren Feierlichkeiten war ein Grossereignis, an dem nicht nur sämtliche Schweizer Regierungsmitglieder sowie Führungspersönlichkeiten aus Armee, Wirtschaft, Kultur- und Bildungswesen, sondern auch diplomatische Abgesandte sowie ausländische Pressevertretende teilnahmen. Der im Rahmen des Eidgenössischen Sängerfestes stattfindenden aber von der Bundesregierung massgeblich mitgeprägten und finanzierten Feier kommt angesichts der politischen Lage der unmittelbaren Nachkriegszeit eine besondere Bedeutung zu. Die Schweiz, als Kleinstaat und vom Krieg unversehrt gebliebenes Land, musste sich in den neuen, weltumspannenden und europäischen Mächteverhältnissen zurechtfinden, knüpfte aber grösstenteils an die Politik der (Vor-)Kriegsjahre an. Die Politik der Geistigen Landesverteidigung zur Wahrung der als schweizerisch angesehenen kulturellen Werte gegen den Nationalsozialismus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, im anschwellenden Ost-West-Konflikt, fast nahtlos übernommen und in einem gegen den Kommunismus gerichteten Abwehrdiskurs aufrechterhalten. Dabei diente die Jubiläumsfeier 1948 als öffentliche Ritualisierung eines Nationalbewusstseins und die damit verbundene Inszenierung der Vergangenheit prägte die kollektive Identität massgeblich. Die Masterarbeit untersucht, welche Rolle die Feier bei der Vermittlung einer nationalen Identität einnahm und welche Merkmale dabei wie vermittelt wurden. Aufbauend auf die wegweisende Untersuchung von Georg Kreis zu den Diskursen im gesamten Jubiläumsjahr 1948 liefert der spezifische Fokus auf die Feierlichkeiten in Bern als Momentaufnahme ergänzende Erkenntnisse. Dem Postulat Bourdieus folgend, dass mitunter der Staat und seine politischen Sachverwaltenden die Produktions stätte eines nationalen Habitus und infolgedessen einer semiotischen Etablierung nationaler Identität darstellten, bildet hauptsächlich behördlich-staatliches Quellmaterial aus dem Bundesarchiv in Bern und dem Archiv der Schweizerischen Chorvereinigung in Aarau die Grundlage der Arbeit. Für Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausgestaltung, Performanz und Rezeption der Feier dienen ferner weiteres Aktenmaterial, Fotografien oder Presseberichte aus dem Berner Staatsund Stadtarchiv sowie aus der Nationalbibliothek als Quellengrundlage. Aufbauend auf theoretische Ansätze von Benedict Anderson und Anthony D. Smith konzentriert sich die Masterarbeit mithilfe eines kulturgeschichtlichen Zugangs auf Symbole und Sprache, die in ihrer Gesamtheit ein semiotisches Deutungssystem ergeben, anhand dessen wiederum die Vorstellungen der Nation sichtbar gemacht werden können.


 

Die auf Folklore bedachte Jubiläumsfeier stand symptomatisch für eine schweizerische Nachkriegsgesellschaft, die bemüht war, die Schatten des Krieges und die Anpassung an die Umstände des Kalten Krieges zu verschweigen. Vor dem Hintergrund der weltpolitisch ungewissen Lage 1948 versuchte die Feier, an gängige, unstrittige Identitätsbilder anzuknüpfen und stellte die Schweiz als geeinte Nation dar. In ihrer Gesamtheit entstammen diese einem Deutungsmodell schweizerischer Historiografie, in welchem die mittelalterliche Eidgenossenschaft als Rückbezug diente und die Entwicklungen von dieser Gründungszeit bis hin zum Bundesstaat als entelechisch bewertet wurden. Im Rahmen der Feier wurden zentrale Elemente der Geistigen Landesverteidigung aufgegriffen und zahlreiche als typisch schweizerisch angesehene Werte betont. Anhand vier übergeordneter Identitätsdimensionen (Bundesmythos, die christliche Glaubensgrundlage, Republikanismus und Wehrhaftigkeit) kann verdeutlicht werden, wie stark die Feier 1948 in der Denktradition der Geistigen Landesverteidigung und somit für eine Kontinuität der Vorkriegs- und Kriegspolitik stand. Offensichtliches Beispiel sind die tausenden im Festzug präsentierten Gemeindefahnen als Symbol der Vielfalt in der Einheit – sie dürften das Publikum stark an den bis heute als Abbild der Geistigen Landesverteidigung bekannten Höheweg an der Landesausstellung 1939 erinnert haben. Allgemein wurden die Erinnerungen an die Bundesstaatsgründung 1848 von denjenigen an 1291 überdeckt, boten doch das Rütli und Tell weit mehr Integrationspotenzial als der unter Konflikten entstandene Bundesstaat des 19. Jahrhunderts. Der lange Atem der Geistigen Landesverteidigung begleitete die Schweiz somit in den Kalten Krieg und darüber hinaus. Wenn auch in veränderbaren Formationen, so erfahren die für die Feier hervorgehobenen Identitätsdimensionen – die gewissermassen auf imaginierten Bildern einer nationalen Gemeinschaft beruhen – auch im gegenwärtigen Diskurs zur nationalen Identität der Schweiz ungebrochene Aktualität.

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