Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract
Die Tagebücher Ferdinand Benekes sind nicht nur hinsichtlich ihres über 5’000 Manuskriptseiten umfassenden Umfangs und der beinahe 56 Jahrgänge inkludierenden Zeitspanne faszinierend. Die Diarien bilden für die historische Forschung ein wertvolles Quellenkorpus zur Lebenswelt des deutschen Bürgertums zwischen Aufklärung und Romantik. Der Advokat Ferdinand Beneke (1774 – 1848), aus einer Bremer Kaufmannsfamilie stammend, wurde 1797 Bürger Hamburgs und bekleidete zeit seines Lebens eine Reihe von öffentlichen Ämtern. Die gewissenhaft geführten Tagebücher zeugen nicht nur von seiner kritischen Auseinandersetzung mit den erheblichen politischen und sozialen Umbrüchen, sondern auch von seinen breit gefächerten Interessen und seinem immensen Netzwerk. Darüber hinaus sind in den Diarien ab Jahresbeginn 1813 täglich mindestens einige Stichworte zur meteorologischen Lage vermerkt. Es ist diesen aussergewöhnlichen Tagebüchern geschuldet, dass der Hamburger Jurist bis heute eine prominente historische Figur und Inspiration für die unterschiedlichsten Thesen und Forschungsfragen geblieben ist. Die mannigfaltigen Forschungsfelder, die auf dem exzeptionellen Quellenkorpus basieren, erstrecken sich quasi in alle Himmelsrichtungen. Erstaunlicherweise blieb aber die Erforschung des Himmelszeltes über dem Hamburg Benekes ein Desiderat. Vorhaben der Masterarbeit war die Schliessung dieser Forschungslücke, indem das wechselhafte, mal heitere, mal bedeckte, immer wieder sonnige aber oft auch stürmische Firmament über dem Beneke- Universum illuminiert wurde. Durch eine sorgfältige Analyse der meteorologischen Notizen Benekes wurde nach dem Antrieb und der Bedeutung der Wetteraufzeichnungen gefragt. Diese Analyse ist aus thematischen und praktischen Gründen auf die Tagebuchjahrgänge 1811 bis 1816 beschränkt. Der zeitliche Fokus umspannt die Franzosenzeit – die von einer aussergewöhnlichen Quellendichte geprägt ist –, die Wahl Benekes zum Oberaltensekretär sowie das Kometenjahr und das Jahr ohne Sommer. Um die Bedeutung der meteorologischen Beobachtungen in Benekes Diarien zu ergründen, wurde zunächst der Forschungsstand zur Männlichkeit und zum Bürgertum der Sattelzeit aufgerollt. Die dominierenden zeitgenössischen Männlichkeitskonzepte hatten ebenso einen Einfluss auf Benekes Körperwahrnehmung wie die bürgerliche Denkweise auf seine Deutungsweise der Natur. In der dreigeteilten Quellenanalyse wurden die Wetteraufzeichnungen hinsichtlich dreier Aspekte von Benekes Identität beleuchtet: Beneke als Romantiker, als Asket und als Hypochonder betrachtete das Wetter jeweils aus einem anderen Blickwinkel. Als Resultat der Tagebuchanalyse konnten drei grundlegende Antriebskräfte für Benekes Wetterbeschreibungen herausdestilliert werden: Das Wetter war für Beneke zeitgleich Zugang zu Gott, Objekt der Forschung sowie Spiegel der Seele. In den Erscheinungen der Natur und des Wetters erkannte Beneke deren Schöpfer. Nicht nur schien das Wetter direkt von Gottes Hand gesandt, auch konnte die Natur als Chiffreschrift Gottes entziffert werden und selbst im Hergang der Geschichte konnten Eingriffe des Allmächtigen erkannt werden. In vermeintlichem Widerspruch dazu erforschte Beneke das Wetter auf Basis von zeitgenössischen wissenschaftlichen Methoden. Den Gepflogenheiten der Epoche und des wissenschaftlichen Milieus entsprechend, verfasste Beneke seine Wetternotizen in lateinischer Schrift. Da der asketisch lebende, aber auch hypochondrische und wetterfühlige Beneke empfindlich auf meteorologische Reize reagierte, scheint die wissenschaftliche Aspiration auch der Selbstbeobachtung und -optimierung gedient zu haben. Schliesslich sah Beneke seine Seele in der Natur gespiegelt. Die Gedanken- und Gefühlswelt des Diaristen wurde transzendiert und fand ihr Ebenbild in der Natur und der Meteorologie. Dadurch erweiterte sich die pietistische und empfindsame Introspektion des Advokaten auf das gesamte Naturreich. Die drei Funktionen, die das Wetter für den Tagebuchschreiber einnahm, waren nicht immer trennscharf differenzierbar und vermengten sich zu vielschichtigen und komplexen Konzeptionen des Wetters, der Natur und des eigenen Körpers. Die vielfältigen und teilweise widersprüchlichen Ideen und Konzeptionen Benekes schlossen sich in der Praxis aber nicht aus, sondern interagierten lebhaft und ergänzten sich zu einem buntscheckigen Konglomerat.