Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Hesse
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract
Obwohl sich die Berner Gesellschaften des späten Mittelalters – anders als etwa die ansonsten viele Ähnlichkeiten aufweisenden Zünfte in Zürich oder Basel – nie eine satzungsmässig festgeschriebene Beteiligung an der Besetzung der städtischen Räte sichern konnten, lassen sich auch im spätmittelalterlichen Bern Politik im Sinne der Besetzung der wichtigen städtischen Ämter und Gesellschaftszugehörigkeit nicht vollständig voneinander trennen. Dies gilt insbesondere für die vier ökonomisch führenden Gesellschaften der Metzger, Gerber, Pfister und Schmiede, aus denen spätestens seit dem 15. Jahrhundert gewohnheitsmässig die vier bei den Wahlen zentralen Venner stammten, aber auch für die Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ als Gesellschaft der städtischen Adels- und Notabelnfamilien, deren Mitglieder traditionell die wichtigsten städtischen Ämter besetzten. Bis heute gängig ist dabei die in den 1980er Jahren erstmals von François de Capitani geäusserte These, die Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ habe um die Wende zum 16. Jahrhundert ihre „politische Bedeutung“ zugunsten der vier genannten Handwerksgesellschaften vollständig verloren.
Diese These wird in der Masterarbeit unter Einbezug der vorhandenen seriellen Quellen und der Ergebnisse aus neueren Forschungen kritisch beleuchtet und differenziert, indem der Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zur politischen Führungsgruppe Berns – die Mitglieder des Grossen und Kleinen Rats – und der Mitgliedschaft in der Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ systematisch untersucht und dabei insbesondere nach allfälligen Veränderungen im Zeitraum zwischen 1485 und 1535 gefragt wird. Die Untersuchung stützt sich dabei auf eine 134 Gesellschaftsmitglieder umfassende prosopographische Datenbank, in welcher nebst der Dauer der Gesellschaftsmitgliedschaft die Amtstätigkeit sowie weitere biografische und genealogische Informationen zu den jeweiligen Personen erfasst sind. Als Quellengrundlage dienen dabei hauptsächlich die ab 1462 jährlich überlieferten sogenannten „Stubenrodel“ der Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“, welche die Mitgliederlisten der Gesellschaft enthalten, sowie die seit 1485 jährlich überlieferten „Osterbücher“, welche die Besetzung der städtischen Ämter dokumentieren.
Eine quantitative Auswertung der Amtstätigkeit der untersuchten Gesellschaftsmitglieder zeigt auf, dass im Untersuchungszeitraum der Anteil der Amtsträger aus der Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ sowohl am Grossen als auch am Kleinen Rat deutlich abnahm. Insbesondere die Mailänderkriege und die Reformation hatten dabei deutlich erkennbare Auswirkungen auf die Amtstätigkeit der Gesellschaftsmitglieder. Eine genauere Untersuchung der Laufbahnen der einzelnen Amtsträger aus der Gesellschaft lässt zudem eine zunehmende „Polarisierung“ erkennen, insofern als die Gesellschaftsmitglieder gegen Ende des Untersuchungszeitraums entweder die wichtigsten städtischen Ämter – insbesondere das Schultheissenamt – besetzten oder aber „nur“ als Grossrat tätig waren. Diese Entwicklung lässt sich mit einer generellen Abnahme der in der Gesellschaft vertretenen Familien in Zusammenhang bringen, da innerhalb der einzelnen Kernfamilien in der Regel nur eine Person pro Generation einen Kleinratssitz oder ein höheres städtisches Amt anstrebte, während die übrigen Familienmitglieder höchstens in den Grossen Rat eintraten. Daraus folgt zugleich, dass trotz der geringen Zahl an Kleinräten aus der Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ ein Grossteil der Gesellschaftsmitglieder über direkte informelle Einflussmöglichkeiten auf diese Amtsträger verfügte. Schliesslich finden sich unter denjenigen Gesellschaftsmitgliedern, die im Untersuchungszeitraum in keinem Amt nachgewiesen werden können, sowohl Vertreter ehemals aus dem Aargau stammender oder in Einfluss- bzw. Interessengebieten Berns begüterter (Adels-)Familien als auch zahlreiche Amtsträger aus der niederen ländlichen Verwaltung in den Berner Untertanengebieten. Diese Personen können als Teil einer erweiterten, ländlichen politischen Führungsgruppe betrachtet werden, wodurch zugleich die Bedeutung der städtischen Ämter als Indikator für „politische Bedeutung“ relativiert wird.
Insgesamt kann somit gezeigt werden, dass zwischen 1485 und 1535 zwar tatsächlich ein Rückgang der Amtsträger aus der Gesellschaft „zum Narren und Distelzwang“ stattfand, dieser aber nicht per se mit einem „politischen Bedeutungsverlust“ gleichgesetzt werden darf. Die Untersuchung stellt damit einen Anstoss zur Neubeurteilung der Rolle der Gesellschaft im städtischen Gefüge dar und soll, nicht zuletzt durch die Personendatenbank, zu deren weiteren Erforschung anregen.