Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2016/2017
Abstract
In der Schweiz wurden im untersuchten Zeitraum zwischen 1879 und 1905 insgesamt 46 Völkerschaugruppen in den Städten Basel, Bern und Zürich durchgeführt. Die Organisatoren suchten mit ihren Gruppen alle drei Städte oder nur einzelne auf, wodurch in Basel insgesamt 16, in Bern 14 und in Zürich 41 Völkerschauen stattfanden. Dabei präsentierten die Völkerschaugruppen ihre Lebensweisen anhand ihrer Wohnbehausungen, Utensilien und Tiere sowie Sitten und Gebräuchen. Das zahlreich erschienene Publikum beobachtete das Spektakel von einer abgegrenzten Position aus und fällte ein Urteil über die ausgestellten Völker. Auch die Presse war stets präsent und informierte die Gesellschaft anhand von ausgiebigen Berichterstattungen über diese Völker.
In diesem Zusammenhang beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Forschungsfrage: Wie nahm die Presse die Ausstellungsgruppen in den Basler, Berner und Zürcher Völkerschauen im Zeitraum von 1879 bis 1905 im Kontext der damaligen Rassenlehre wahr? Zur Beantwortung der Forschungsfrage dienen insgesamt 250 Zeitungsartikel, die allesamt transkribiert und digitalisiert wurden, neun Forschungsdokumente der wissenschaftlichen Rassenlehre aus der Schweiz sowie sechs geographisch-ethnographische Berichte als Quellen.
Durch die Analyse der rassenkundlichen Forschungsberichte kann festgehalten werden, dass zwischen den Organisatoren der Völkerschauen und den Wissenschaftlern eine Zusammenarbeit stattfand. Durch diese enge Verbindung erstaunt es nur wenig, dass die erarbeiteten Forschungsergebnisse und somit der wissenschaftliche Diskurs stark in die Berichterstattung über die Völkerschauen einfloss. Dabei fanden europäische Theorien und Forschungsergebnisse von Schweizer Wissenschaftlern als Zitate oder Rezeption ihren Weg in die Berichterstattung. Auf diese Weise wurde der wissenschaftliche Diskurs von der Presse rezipiert und somit in das Gedankengut der Gesellschaft transferiert. Dabei können nur geringfügige Abweichungen zum wissenschaftlichen Diskurs festgehalten werden. Diese äusserten sich allerdings nicht in einer kritischen Stellungnahme gegenüber der Rassenlehre, sondern im Erstaunen gegenüber bestimmten Ausstellungsgruppen, die nicht in die wissenschaftlichen Stereotypen passten. Von den untersuchten Gruppen aus den Herkunftsgebieten Afrika, Asien, Australien und Ozeanien, Lateinamerika, Nordamerika sowie Russland können diese Abweichungen vor allem bei den afrikanischen Völkerschauen festgehalten werden.
Im Zusammenhang mit der Beschreibung der Völkerschaugruppen lässt sich ein sprachliches Muster festhalten. Für jede Gruppe wurde ein paternalistisches Vokabular gebraucht, welches durch eine diminutive Schreibweise verstärkt wurde. Dadurch erhielten die Gruppen automatisch eine Unmündigkeit und hierarchisch tiefere Stellung zugeschrieben, was sie von den Europäern abgrenzte und gleichzeitig der westlichen Selbstkonstruktion diente. Die fremden Völker fungierten aber nicht nur der Eigenkonstruktion, sondern waren auch Projektionsflächen von Wünschen, Begierden und Sehnsüchten. Vor dem Hintergrund der Prüderie des viktorianischen Zeitalters konnten bei den Völkerschauen unter dem Vorwand des wissenschaftlichen Mehrwerts nackte Körperteile betrachtet werden, die ansonsten in der Öffentlichkeit zu verschleiern waren. Dies diente der Befriedigung von Schaulust am Exotischen beziehungsweise Erotischen. Gerade die samoanischen Frauen besassen eine enorme Anziehungskraft auf das Publikum, was im Hinblick auf das eher negative allgemeine Urteil über mangelnde „Schönheit“ der „exotischen“ Frauen bemerkenswert ist. Die Frauen wurden meistens bezüglich ihrem Erscheinungsbild unter die Männer eingeordnet. Diese ästhetische und teilweise auch geistige Degradierung der Frau können durch Bezug auf den wissenschaftlichen Diskurs begründet werden. Darwin und Spencer schrieben den Frauen gegenüber den Männern unterentwickelte physische Fähigkeiten zu, die sich in ästhetischen Eigenschaften widerspiegelten.
Die Forschungsfrage lässt sich abschliessend dahingehend beantworten, dass die Berichterstattung über die Völkerschauen stark durch den wissenschaftlichen Diskurs geprägt war. Die vorliegende Arbeit bietet dadurch einen weiteren Beitrag zur noch wenig erforschten Thematik der Völkerschauen in der Schweiz. Doch auch im Bereich des wissenschaftlichen Diskurses auf die Völkerschauen lassen sich noch weitere Ansatzpunkte aufarbeiten, z.B. die Untersuchung des erotischen Aspektes der Völkerschauen unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Die offenen Forschungsansatzpunkte werden sich hoffentlich in den nächsten Jahren anhand von weiteren Studien vermindern. Das Phänomen der Schweizer Völkerschauen könnte noch unter weiteren Gesichtspunkten beleuchtet werden.