Die ersten Staatschefs von 52 afrikanischen Staaten. Eine kollektivbiographische Studie zum Elitewandel in der Entkolonialisierung Afrikas

AutorIn Name
Christian
Hadorn
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2016/2017
Abstract
Die Arbeit bietet eine vergleichende sozialgeschichtliche Analyse der Lebensläufe der ersten Staatschefs derjenigen 52 Länder Afrikas, die im 20. Jahrhundert politisch unabhängig wurden. Untersucht werden ihre Biographien bis zu ihrem Amtsantritt als Staatsoberhaupt. Die Studie erfüllt damit ein Desiderat, das auf der weitgehenden Verpolitisierung des Forschungsfeldes basiert. Die Historiographie orientiert(e) sich stark an politischer Nationalgeschichte, die sich zumindest auf methodischer Ebene bis heute fortsetzt. Die sozialwissenschaftliche Elitenforschung andererseits, drehte ihr normatives, anfänglich extrem positives Bild von gewissen Eliten in Afrika angesichts politischer Verwerfungen ab den späten 1960ern in dessen Gegenteil um, bevor sie ihr Interesse an Eliten in Afrika bald ganz verlor. Wie es bestimmten Eliten gelang, sich die Spitzenämter der nachkolonialen Staaten zu sichern, wurde so noch nie in systematisch-vergleichender Weiseuntersucht. Welcherart Personen gelang dieser Aufstieg, wie und wieso? In welche Strukturen der Sozialisation und Selektion waren ihre Karrieren eingebettet? Konzeptuell orientiert sich die Arbeit an der Unterscheidung zwischen intensiv von kolonialer Wirtschafts- und Verwaltungsaktivitäten durchdrungenen Gebieten (Zentralgesellschaft) und peripheren Gesellschaften, wie sie Franz-Wilhelm Heimer in Weiterentwicklung dependenztheoretischer Begriffe vorschlägt. Überdies wird auf Benedict Andersons konstruktivistisches Konzept zu den Entstehungsbedingungen von Nationalismus intensiv Bezug genommen. Das Sample wurde aus den jeweils ersten Inhabern des Amts des Staatschefs (Präsident/König) der genannten 52 Länder gebildet. Bei britischen Ex-Kolonien, in denen die Queen formell Staatsoberhaupt blieb, wurde der erste Premierminister untersucht. Da die Position gelegentlich umkämpft und einer Personalfluktuation unterworfen war, wurde als Aufnahmebedingung eine minimale Amtsdauer von zwei Jahren angesetzt. Zur Beschreibung von Elitewandel wurden folgende Indikatoren gewählt: Geographische und soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Schulbildung und Ausbildung, Religionszugehörigkeit, Berufsund ggf. militärische Karriere, Ehefrauen, Organisationszugehörigkeiten, Repressionserfahrungen, bewaffneter Kampf sowie Karriere in politischen Ämtern vor der Unabhängigkeit. Mittels einer Datenbanksoftware wurden dazu jeweils umfassende Angaben gesammelt, wobei Personenlexika, länderspezifische historische Nachschlagewerke, Einzelbiographien und Datensammlungen als Quellen dienten. Dazu kam eine breite Auswahl an Sekundärliteratur. In einem zweiten Schritt wurden alle Angaben pro Indikator in separat ausgedruckt, vergleichbare Ausprägemöglichkeiten definiert, tabellarisch dargestellt und mit Blick auf die Fachliteratur interpretiert. Die überwiegende Mehrheit der Untersu chungspersonen entstammte ländlichen Ortschaften, die jedoch in unmittelbarer Nähe zu kolonialen Administrationszentren – Kerne späterer Städte – lagen. Je knapp ein Drittel stammte aus Milieus einheimischer Herrscher, kolonialer Angestellter oder aus Bauernmilieus, wobei jedes dieser Milieus eine grosse innere Differenzierung kannte. Die meisten Untersuchten gehörten dazu ethnischen Gruppen mit beträchtlichen Anteilen an den Zentralgesellschaften an. Spätestens mit dem Eintritt in eine Primarschule hoben sich alle von der grossen Mehrheit der Bevölkerung jeder Kolonie ab. Die noch viel dünner gestreuten, oft gerade erst eröffneten Sekundarschulen, die über 90% der Untersuchungspersonen besuchten, treten in der Arbeit als entscheidende Schnittstellen der Formation spät-, bzw. postkolonialer politischer Eliten hervor. Hier, wo meritokratische auf hereditäre/rassistische Massstäbe trafen, wurden offensichtlich Nationen imaginiert und fanden viele spätere Mitstreiter und Regierungsmitglieder zusammen. Dreissig Untersuchungspersonen absolvierten ein teilweise langjähriges Studium, davon 22 in Europa und/oder in den USA. Praktisch alle bekannten sich bereits in jungen Jahren zu einer monotheistischen Religion. Die 64% Christen unter ihnen traten so winzigen, jedoch rasch wachsenden Glaubensgemeinschaften bei. Rund 80% arbeiteten als Angestellte, anfangs meist als Lehrer. Mit der Heirat überdurchschnittlich gebildeter Frauen, die darüber hinaus angesehenen Familien angehörten, knüpften sie Verbindungen zu partiell anders geprägten Eliten. Durch ein Engagement in Eliteassoziationen, Gewerkschaften, Studentenoder ethnischen Kulturorganisationen, häufig auch durch Mitarbeit in Zeitungen gelangten sie in politiknahe Bereiche. Als nach 1945 in vielen Kolonien das Wahlrecht schrittweise ausgeweitet wurde, gründeten sie Parteien oder traten früh solchen bei und brachten ihre Beziehungsgeflechte im Wahlkampf zum Tragen. Teils von Repression betroffen – 40% waren zeitweise in Haft – erwarben die meisten während ihrer Karrieren in öffentlichen Ämtern die Gunst der Kolonialadministration. Die Studie zeigt sehr vielschichtig, dass sich in Kontexten intensivster Kolonialherrschaft Akteure erstaunlich heterogener sozialer Herkunft mittels moderner Organisationen und meist friedlicher Druckmittel die Spitzenämter der neuen Staaten zu sichern vermochten.

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