Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2013/2014
Abstract
Die Masterarbeit ist im Rahmen des von der Burgergemeinde Bern finanzierten und einem wissenschaftlichen Beirat begleiteten Projekts „Geschichte der Burgergemeinde Bern im 19. und 20. Jahrhundert“ entstanden. Es ging darum, für den Zeitraum von 1785 bis 1852 auf prosopographischer Grundlage zu analysieren, wie sich das Patriziat und die weitere Burgerschaft des Ancien Régimes in die burgerlich-städtische Elite der Moderne transformierten. Die Ausdifferenzierung der altbernischen Stadtrepublik in Kanton, Einwohnergemeinde und Burgergemeinde bildete den institutionellen Rahmen, wobei Kontinuitäten und Brüche in der Zusammensetzung der politischen Funktionsträger, ergänzt mit den Vernetzungen in Gruppierungen, im Hauptfokus standen. Folgedessen bestand die Herangehensweise aus einem quantitativen und einem qualitativen Teil, wobei ersterer die prosopographische Analyse des Datenmaterials und letzterer die Untersuchung der Bedeutung der gesellschaftspolitischen Netzwerke der Akteure umfasste.
Dies geschah vor dem Hintergrund der in der jüngeren Forschung zur Burgergemeinde aufgestellten These, dass der Verzicht auf demokratische Erneuerungen sowie die korporative Verfasstheit als Nachweis für das Verharren in der aristokratischen Vormoderne aufzufassen sei. Deswegen spielte neben der Aristokratieund Bürgertumsforschung und dem Einordnen der Ergebnisse dieser Arbeit in den aktuellen Forschungsstand auch die der Genese der bernischen Demokratie, die eng verknüpft mit der Vereinsund Parteigeschichte ist, eine Rolle. Dies geschah auch deshalb, weil die Geschichte der Vorformen politischer Parteien und der Netzwerke politischer Akteure zu den ungenügend bearbeiteten Themenfelder zählten – zumal die Politik in der Sattelzeit mittlerweile als eine spannungsgeladene Konstellation der Beziehungen zwischen den Beteiligten verstanden wird, wobei den entsprechenden Netzwerken eine Schlüsselrolle beim Einbringen der Interessen zugesprochen wird.
Es hat sich herausgestellt, dass die Restauration in Bern in gewisser Hinsicht einer „Steigerung“ gleichkam: der innere Zirkel des Patriziates vermochte seinen Einfluss gegenüber dem peripheren Kreis zwischen 1815 und 1830 auszubauen. Bereits während der Mediation wurden kritische Stimmen innerhalb des Patriziates laut, welche sich darüber beklagten, von der inneren Gleichrangigkeit des Herrscherkollektives nicht mehr viel zu bemerken. In den Jahren vor 1798 hatten die patrizischen Regenten noch versucht, durch ein Massnahmenbündel das Staatsmodell der republikanischen Aristokratie zu reformieren. Daran konnte offensichtlich nicht mehr angeknüpft werden. Meines Erachtens besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der starken Ausprägung der Restauration in Bern und der bedeutenden Rolle, welche Bern bei der Entwicklung und Ausbreitung des assoziativen Vereinswesen im interkantonalen (so bei der Turnbewegung), oder europäischen Vergleich (so bei den Griechenvereinen) zukam: gerade weil die Restauration hier hinsichtlich der Abschliessungstendenzen weniger Familien nicht nur eine Wiederherstellung, sondern sogar eine Steigerung darstellte, war die liberale Bewegung hier bald die wohl radikalste der Schweiz. Wollten sich also Patriziat und Burgerschaft gegen diese starken progressiven Kräfte wehren, mussten sie die neuen „Spielregeln“ anerkennen. Es bedurfte der Strategien der Anpassungsfähigkeit und der Fähigkeit, „reflexive Politik“ betreiben zu können. Nach meinem Dafürhalten kommt dies in den Organisationsformen zum Ausdruck, die adaptiert wurden: zunächst wurde nach dem Vorbild der liberalen V ereine ein Sicherheitsverein gegründet, anschliessend eine bereits kryptopolitische Partei. Bei den Abstimmungskämpfen zwischen 1850 und 1854 wurden die Radikalen also mit den eigenen Waffen geschlagen. Dies kommt einer innovativen Leistung gleich. Dabei konnten sie auf einen bestimmten Erfahrungsschatz zurückgreifen. Dieser bestand, so weit ich sehe, aus einem „Vernetzungs-Know-How“, welches sich ein aufgeschlossener Flügel des Patriziates im 18. Jahrhundert im Rahmen von aufklärerischen Reformsozietäten und Gesellschaften anzueignen vermocht hatte. Dazu kam die Vorstellung von der inneren Einheit, welche im ausgehenden 18. Jahrhundert im Rahmen von Reformen einen neuen Aufschwung erlebte undund die Selbstjustiz von paramilitärischen Gruppen sowie die Unzulänglichkeiten des politischen Systems. immerhin wirkungsmächtig genug war, dass in Leisten Patrizier auch unterschiedlicher Geisteshaltung zusammenfanden. Ebenfalls als flexible Anpassung an die neuen Verhältnisse ist zu werten, dass von Patriziern zunehmend bürgerliche Berufe ergriffen wurden. Es war nur möglich, die korporative Verfasstheit des burgerlichen „Modellsystems“ zu bewahren, indem die Faktizität der neuen Spielregeln nicht in Frage gestellt, sondern akzeptiert wurde.