Im 18. Jahrhundert waren sowohl in der schweizerischen Eidgenossenschaft als auch in Frankreich eine unüberschaubare Zahl an verschiedenen Massen und Gewichten im Gebrauch. Beinahe jede Gemeinde, jede Talschaft und jeder Marktort kannte jeweils eigene Massund Gewichtseinheiten. Obwohl diese äusserst vielfältigen Masse und Gewichte ihren Zweck für den meist lokal organisierten Handel weitgehend erfüllten, und damit den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprachen, wurden um die Mitte des 18. Jahrhunderts vermehrt Stimmen laut, die sich für eine Vereinheitlichung eben dieser Masse und Gewichte aussprachen.
Die Arbeit untersucht, wie sich in Frankreich und in der Schweiz die Diskurse zum Thema Massund Gewichtsvereinheitlichung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten. Dabei werden einerseits die Entwicklungen in der Argumentation und andererseits die an den Diskursen beteiligten Akteure analysiert.
Die ersten Texte im französischen Diskurs beabsichtigten die Festlegung eines einheitlichen Masses als Grundlage für das System der Masse und Gewichte für alle europäischen Nationen. Die Autoren störten sich daran, dass der internationale wissenschaftliche Austausch (besonders im Bereich von geographischen, physikalischen und astronomischen Erkenntnissen) durch die Uneinheitlichkeit der Masse und Gewichte erschwert wurde. Gleichzeitig wiesen Sie auch auf die Vorteile hin, welche ein solches einheitliches Massund Gewichtssystem für die Ökonomie haben würde. Grössere Handelsräume und der staatlich gewährte Schutz vor Betrug in denselben würden von einem einheitlichen Massund Gewichtssystem nur profitieren.
Im Verlaufe der folgenden fünfzig Jahre wurde das Thema von den gelehrten Spezialisten immer wieder diskutiert, wobei die ökonomischen Argumente die wissenschaftspraktischen mehr und mehr ablösten. Mit der Revolution von 1989 wurde schliesslich auch der politische Wille manifest, eine solche Vereinheitlichung durchzuführen. Im Zuge der Errichtung der „République française“ wurden im französischen Diskurs neben den wirtschaftlichen vermehrt auch nationalistische Argumente von den Autoren forciert. Die Einheit der Nation sollte in der Einheitlichkeit des Grundmasses ihren symbolischen Ausdruck erhalten. Diese nationalistische Bedeutung wurde noch dadurch verstärkt, dass zur Bestimmung der neuen Grundeinheit – bald wurde dafür der Name „Mètre“ verwendet – der Meridianbogen von Paris als Grundlage diente. Weil die praktische Ausarbeitung (d.h. die Vermessung, Berechnung und Herstellung) der Grundeinheit den Spezialisten der Académie des sciences in Paris oblag, wurde die neue Grundeinheit auch als ein Symbol für die Grossartigkeit und das Vermögen der französischen Gelehrten verstanden.
Auch in der Schweiz lassen sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts Überlegungen zur Massvereinheitlichung nachweisen. Als Beispiel für Felder, in welchen solche Überlegungen artikuliert werden konnten, werden in der Arbeit ausgewählte schweizerische Sozietäten – insbesondere die Oekonomische Gesellschaft in Bern (OeG) – untersucht.
Auch in den Publikationen dieser Sozietäten stand zuerst die gelehrte Kommunikation im Zentrum des Interesses, welche durch eine Massund Gewichtsvereinheitlichung erleichtert werden sollte. Bald schon tauchten auch in diesem Diskurs ökonomische Argumente auf. Die staatliche Gewähr für die Richtigkeit der gebräuchlichen Masse und Gewichte und der staatliche Schutz vor Betrug auf den Märkten schien bald nur noch mit der Vereinheitlichung der Masse und Gewichte möglich zu sein – so jedenfalls wurde es von den Hauptakteuren des Diskurses dargestellt. Einzig bei den von der (Land-)Bevölkerung zu leistenden Abgaben und Zinsen wurde eine Ausnahme vorgesehen. Hier sollten weiterhin die alten, festgeschriebenen Einheiten beibehalten werden, um nicht den Schuldnern die Möglichkeit zu geben, die Rechtmässigkeit der Abgaben und Zinslasten als Ganzes in Frage zu stellen. In der Helvetischen Republik taten sich schliesslich zwei Akteure hervor. Diese waren der Minister der Künste und Wissenschaften, P. A. Stapfer, und der Mathematikprofessor J. G. Tralles – beide Mitglieder der OeG. Anhand dieser Akteure lässt sich zeigen, dass die OeG für die spätere politische Elite der Helvetischen Republik die Rolle eines Think-Tanks erfüllte, in dem die künftigen Staatsmänner die Idee der Massund Gewichtsvereinheitlichung kennen lernten und diskutierten. Dabei verbanden sie ihre Vorstellung von Massen und Gewichten argumentativ mit anderen Ideen und Konzepten – wie Republik, Nation, Natürlichkeit, Sprache der Wissenschaft und Ökonomie und Sicherheit des Handels.
Die Arbeit wird in der Reihe „Berner Forschungen zur Regionalgeschichte“ des Verlags Traugott Bautz publiziert (www.bautz.de).
Nation, Natur und Sicherheit. Diskurse über die Vereinheitlichung der Masse und Gewichte in der Schweiz und in Frankreich
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2007/2008
Abstract