Die Entdeckung der Eiszeiten. Internationale Rezeption und Konsequenzen für das Verständnis der Klimageschichte

AutorIn Name
Tobias
Krüger
Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2005/2006
Abstract

Vor genau 150 Jahren verfasste der Botaniker Karl Friedrich Schimper eine humoristische „Ode an die Eiszeit“. Darin schilderte er eine erdgeschichtliche Epoche, in welcher der Globus von einem gewaltigen Eispanzer bedeckt gewesen sei. Für seine Zeitgenossen war diese „Eiszeit-Idee“ in den Worten eines Kritikers nichts als ein „masslosses Eingehen in phantastische Träume“. Auch wenn Schimpers These heutigen Geologen übertrieben erscheinen dürfte, sind verschiedene Eiszeiten im Verlauf der Erdgeschichte in unserer Zeit so gut wie unbestritten. Offensichtlich etablierte sich in den zurückliegenden anderthalb Jahrhunderten eine neue Sichtweise. Diesen Prozess untersucht die Dissertation, welche im Rahmen des NCCR-Climate entstanden ist.

 

Sie behandelt die Entdeckung der Eiszeiten, deren Rezeption und die Konsequenzen für das Klimaverständnis erstmals in einer breiten und international vergleichenden Perspektive. Die Gliederung der Arbeit spiegelt den Verlauf zeitgenössischer Diskussionen wieder. Sie folgt ihnen diachron von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis an die Schwelle zum 20. Jahrhundert. Dabei stehen drei zentrale Fragestellungen im Zentrum. Zunächst wird gefragt, weshalb zeitgenössische Gelehrte überhaupt auf Eis als geologischen Faktor aufmerksam wurden und wie sie diesen mit ihren erdund klimageschichtlichen Prämissen in Beziehung setzten. Die zweite Frage befasst sich mit der Rezeption der neuen Theorie. Wie und wann griffen die Gelehrten der wichtigsten Wissenschaftsnationen des 19. Jahrhunderts die Glazialtheorie auf? Auf welche Einwände und Vorbehalte stiess die neue Theorie? Die dritte Frage richtet ihr Augenmerk auf die Impulse, welche von der Entdeckung und Aufnahme der Eiszeittheorie für die Geowissenschaften aber auch für andere Bereiche wie die Astronomie oder Atmosphärenphysik ausgingen. Der bisherige Forschungstand beschränkte sich oft auf einzelne Episoden der frühen Eiszeitforschung. Recht häufig anzutreffen sind Biographien einzelner prominenter Wissenschaftler, die zu den Pionieren der Eiszeitforschung gehörten. Weiter gefasste Darstellungen zur Geschichte der Eiszeitforschung blieben meist einer regionalen oder nationalen Perspektive verhaftet. Lediglich im Fall weniger international tätiger Forscher wie Louis Agassiz wurde diese Sichtweise bisher ansatzweise durchbrochen.

 

Wissenschafts- und Sozialgeschichte, Netzwerkforschung und Linguistik bieten einen reichhaltigen Fundus an theoretischen Ansätzen. Doch erwiesen sich diese angesichts des langen Untersuchungszeitraumes von beinahe 150 Jahren, sowie der unterschiedlichen institutionellen und sozialen Rahmenbedingungen nur als bedingt brauchbar. Dementsprechend versteht sich die Arbeit nicht als theoriegeleitete, sondern vorrangig empirische Untersuchung. Doch greift sie auf theoretische Deutungen zurück, wenn diese für einzelne Konstellationen oder Vorgänge einen zusätzlichen Erklärungswert bieten.

 

Die Arbeit konnte aufzeigen, dass die Frage nach der Herkunft erratischer oder ortsfremder Felsblöcke für die Eiszeitforschung im wahrsten Sinn des Wortes zum Stein des Anstosses wurde. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts setzte die naturwissenschaftliche Diskussion um deren Herkunft und Transport ein. Bis 1800 waren sämtliche Erklärungsansätze, welche die Debatten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus prägen sollten, in ihren Grundzügen bereits ausgesprochen worden. 1824 formulierte der dänisch-norwegische Geologe Jens Esmark, gestützt auf Studien späteiszeitlicher Vergletscherungsstände in Norwegen, erstmals eine Eiszeittheorie. Als Ursache für ausgedehnte Gletschervorstösse vermutete er Veränderungen der Erdbahn. In den folgenden Jahren erschien seine Untersuchung in englischer und deutscher Übersetzung und regte schottische und deutsche Geologen zu weiteren Überlegungen an. Auch dem bereits genannten Louis Agassiz dürften sie durch den deutschen Forstwissenschaftler Reinhard Bernhardi zumindest indirekt bekannt gewesen sein. Ab der zweiten Hälfte der 1820er Jahre entwickelten weitere Forscher wie der Walliser Kantonsingenieur Ignaz Venetz, der ehemalige sächsisch-weimarische Bergbauminister Johann Wolfgang von Goethe, der waadtländische Salinendirektor Jean de Charpentier sowie der Botaniker Karl Friedrich Schimper ähnliche Thesen. Nach einem längeren Aufenthalt bei de Charpentier formulierten Schimper und Agassiz im Winter 1836/37 auf Basis der romantischen Naturphilosophie gemeinsam eine weitere Eiszeittheorie. Diese trug der junge Paläontologe Agassiz 1837 in einem aufsehenerregenden Vortrag an der Jahresversammlung der Schweizer Naturforschenden Gesellschaft in Neuenburg vor. Obgleich Agassiz nicht als Schöpfer der Eiszeittheorie bzw. als Entdecker der Glazialzeiten gelten kann, entwickelte er sich in den Worten eines britischen Historikers in folgenden Jahren zum eigentlichen „EiszeitEvangelisten“.

 

Doch würde man der historischen Entwicklung nicht gerecht, wollte man Agassiz’ Referat mit der Akzeptanz der Eiszeittheorie in den Geowissenschaften gleichsetzen. Für viele ihrer frühen Vertreter war die Eiszeit nur eine weitere katastrophenhafte Umwälzung von globalem Ausmass im Verlauf der Erdgeschichte. Speziell für Agassiz und Schimper stellte sie anfänglich nur ein Mittel zum Zweck dar im Rahmen ihrer weiter gefassten naturphilosophischen Überlegungen zur Entwicklung der Lebensformen. Vielen namhaften Geologen erschienen andere Theorien stimmiger, anschlussfähiger und empirisch besser begründet als die Eiszeittheorie. Erst allmählich fand eine ihrer ursprünglichen katastrophistischen und philosophischen Grundannahmen entkleidete Glazialtheorie Akzeptanz in den Geowissenschaften. Auf internationalem Niveau setzte sie sich erst in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre allgemein durch – 50 Jahre nach Esmarks erster Eiszeittheorie. Somit kann nicht von einer geradlinigen und raschen Akzeptanz einer neuen Erkenntnis gesprochen werden. Ähnlich wie bei wissenschaftlichen Diskussionen in der Gegenwart erwies sich die damalige Debatte als langwierig und für Aussenstehende widersprüchlich und schwer durchschaubar.

 

Als die Eiszeittheorie allmählich akzeptiert wurde, zeigte sich ihr grosses Erklärungspotential. Nicht nur die Präsenz ortsfremder Felsblöcke konnte nun mit dem Transport durch Gletscher erklärt werden. Die Entstehung ganzer Landschaftsformen liess sich plausibel mit der früheren Wirkung von Eis erklären. In seinem Bemühen, die Eiszeiten zu datieren, entwickelte der schwedische Baron de Geer um 1900 die Warvenchronologie, welche später zur Kalibrierung der C14-Datierung genutzt werden konnte. Spuren von Eiszeiten im Erdaltertum erwiesen sich im 20. Jahrhundert als wichtiger Beleg für Alfred Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung. Bisher verwirrende Funde fossiler Überreste arktischer Tiere in gemässigten Breiten ergaben vor dem Hintergrund eines ehemals kälteren Klimas Sinn.

 

Noch bevor die Entdeckung der Eiszeiten in den Erdwissenschaften Konsens geworden war, gab sie den Anstoss zu weiterführenden Fragen. Angeregt von den Debatten um die Eiszeiten machten sich Astronomen und Mathematiker daran, Schwankungen der Erdbahn zu berechnen. Der irische Physiker John Tyndall vermutete Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre als Ursache der Glazialzeiten. 1859 wurde er so auf die Bedeutung der Spurengase für den Wärmehaushalt der Erde aufmerksam. 1896 entwickelte der schwedische Physiker Svante Arrhenius ein Modell, mit dem er die Eiszeiten auf eine Verringerung des CO2-Gehalts der Atmosphäre zurückführte. Später merkte er, dass eine Zunahme von Kohlendioxid umgekehrt zu einer Erwärmung führen würde. Obwohl häufig im Schatten anderer herausragenden wissenschaftlichen Leistungen ihrer Zeit stehend, zählt die Entdeckung der Eiszeiten zu den wegweisenden Entdeckungen des 19. Jahrhunderts. Sie eröffnete der weiteren Forschung einen weiten Horizont und wirkt bis in die aktuellen Debatten um den Klimawandel fort.

 

Die Dissertation wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2007 im Schwabe Verlag Basel erscheinen.

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