Pfarrer als Vermittler ökonomischen Wissens? Die Rolle der Pfarrer in der Ökonomischen Gesellschaft Bern im 18. Jh.

AutorIn Name
Regula
Wyss
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2005/2006
Abstract

Die Oekonomische Gesellschaft Bern wurde 1759 als eine der ersten gemeinnützig und ökonomisch ausgerichteten Sozietäten auf dem europäischen Kontinent gegründet. Sie setzte sich zum Ziel, Landwirtschaft, Handwerk und Handel zu fördern und den Bauern auch ganz praktischen Nutzen zu bringen. Die überlieferten Akten zeigen, dass das Hauptinteresse der Oekonomischen Gesellschaft faktisch von Beginn weg in der Förderung des klassischen Getreidebaus lag. Die führenden, meist patrizischen Mitglieder verstanden Bern als souveränen Staat mit autarker Nahrungsmittelversorgung. Ein blühender Getreidebau gewährleistete dies aus ihrer Sicht am besten und spülte dem Staat – von dem die Patrizier überdies selbst lebten – in Form von höherem Zehnten mehr Einkommen in die Kassen.

 

Mittels Topographischer Beschreibungen wollten die Oekonomen die herrschenden Zustände systematisch erfassen, um aus deren Analyse zu erkennen, wo Reformen nötig waren. Mit der Ausschreibung von Preisfragen und Prämien sollten nach dem Wettbewerbsprinzip Anreize geschaffen werden, konkrete Verbesserungen zu entwickeln. Durch ihren regen Briefverkehr mit anderen Sozietäten und aufgeklärten Gelehrten in ganz Europa hielt die Oekonomische Gesellschaft den Ideenaustausch unter den Gebildeten aufrecht. Mit einer Publikationsreihe wurden die neuen Errungenschaften bekannt gemacht, wie beispielsweise der Einsatz von Klee und Esparsette als Futterpflanzen.

 

Das neue Wissen sollte aber nicht nur einer Gruppe von Gebildeten zugänglich gemacht, sondern auch der breiten Landbevölkerung vermittelt werden. Für diese Aufgabe sah die Oekonomische Gesellschaft die bernischen Landpfarrer vor.

 

Die Arbeit fragt nach den verschiedenen Formen der Mitwirkung der Pfarrer und analysiert die Rolle der Pfarrer im Rahmen der Vermittlung ökonomischen Wissens, einerseits in einem quantitativen und andererseits in einem qualitativen Zugang. Seit der Reformation wirkten die Geistlichen auf der Landschaft auch als Beamte der Berner Regierung und damit als Vermittler zwischen Rat und Landbevölkerung. Die Pfarrer hatten beispielsweise die Aufgabe, neue Gesetze und Verordnungen am Sonntag nach der Predigt von der Kanzel zu verkünden. Die Oekonomische Gesellschaft wollte die Geistlichen ebenfalls als bewährten Informationskanal nutzen. Mit dem Argument, die Mithilfe an der Förderung des Fleisses und der Arbeitsamkeit der landbauenden Bevölkerung nütze auch den Pfarrern, indem die Landleute durch eine erhöhte Arbeitsamkeit ein sittlicheres Leben führten, was wiederum im Interesse der Geistlichen liege, wurden die Pfarrer zur Zusammenarbeit mit der Oekonomischen Gesellschaft aufgefordert. Die Geistlichen sollten aus Sicht der Gesellschaft mithelfen, ökonomisches Wissen zu vermitteln und dafür – sozusagen als Gegenleistung – sittlichere Gemeindemitglieder erhalten.

 

Dieses Argument verfing bei einer grossen Anzahl der Geistlichen. In den überlieferten Akten der Oekonomischen Gesellschaft lassen sich insgesamt 142 Pfarrer eruieren, die mit der Gesellschaft zwischen 1759 und 1798 in irgendeiner Form in Kontakt standen. Die grösste Aktivität der Geistlichen fällt in die Jahre zwischen 1761-66. Etwa 80% der Pfarrer waren aus bernischem Gebiet. Die übrigen stammten je zur Hälfte aus der übrigen Eidgenossenschaft und dem Ausland.

 

Die Formen der Zusammenarbeit gestalteten sich sehr unterschiedlich. Beinahe die Hälfte der ermittelten Geistlichen waren Mitglieder einer Zweiggesellschaft auf dem Land. Etwa 40% standen in Briefkontakt mit der Oekonomischen Gesellschaft und beinahe ebenso viele sandten Abhandlungen, Preisschriften oder Topographische Beschreibungen mit vielfältigen lokalen Informationen nach Bern.

 

Das von den Pfarrern bearbeitete Themenspektrum war breit. Schriften über verschiedene Aspekte des Landbaus standen im Vordergrund. Aber auch technische oder soziale Fragen, Handwerk, Bevölkerungsentwicklung oder die Gesetzgebung waren Gegenstand der Reflexion.

 

Die Ergebnisse der Arbeit haben gezeigt, dass die Intensität der Mitarbeit der Geistlichen sich sehr unterschiedlich gestaltete. Wenige Pfarrer engagierten sich stark in der Oekonomischen Gesellschaft. Ein grosser Teil arbeitete nur sporadisch mit. Dennoch lassen sich einige Pfarrer finden, die ganz im Sinne der Gesellschaft versuchten, der Landbevölkerung das neue ökonomische Wissen zu vermitteln. Damit verfolgten sie volksaufklärerische Bestrebungen. Einige versuchten, durch eigene Anbauversuche, die Landbevölkerung zur Nachahmung zu animieren. Andere empfahlen den Kalender als geeignetes Vermittlungsmedium. Um die im Titel gestellte Frage zu beantworten: Die Pfarrer betätigten sich zwar als Vermittler ökonomischen Wissens, hatten für die Oekonomische Gesellschaft aber eine grössere Bedeutung als Sammler lokaler Informationen.

 

Die Arbeit wird in der Reihe „Berner Forschungen zur Regionalgeschichte“ vom Verlag Traugoott Bautz publiziert (www.bautz.de).

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