Zwischen den Fronten. Berner Militärunternehmer im Spannungsfeld von Eigeninteressen, obrigkeitlichen Ambitionen und multiplen Loyalitäten (Zweite Hälfte 17. und frühes 18. Jahrhundert)

Nom de l'auteur
Benjamin
Ryser
Type de travail
Thèse
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
André
Holenstein
Codirecteur
Prof. Dr. Andreas Würgler
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2019/2020
Abstract
Die Berner Obrigkeit bewilligte im August 1671 dem französischen König Ludwig XIV. ein Regiment, rund 2‘400 Mann, in Dienst zu nehmen. Die Arbeit untersucht Berner Militärunternehmer als transnationale Akteure in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter der Leitfrage, welche Herausforderungen und Konsequenzen die Aushebung und Bewirtschaftung dieses Regimentes sowohl für den Stand Bern und den Dienstherrn Ludwig XIV. als auch für die Hauptleute der einzelnen Kompanien mit sich brachten. Durch die Verflechtung der Akteure erscheinen auch alternative Dienstherren zu Ludwig XIV. im Handlungsspielraum der involvierten Militärunternehmer. Um diese komplexe Fragestellung zu beantworten, wurden verschiedene Quellengattungen sowohl aus obrigkeitlicher wie auch privater Provenienz diverser Archive des In- und Auslandes verwendet. Der grösste Teil stammt aus dem bernischen Staatsarchiv, der Burgerbibliothek Bern und dem Bundesarchiv in Bern mit seiner Sammlung von Abschriften aus ausländischen Archiven sowie aus den Archiven des französischen Aussenministeriums und des Kriegs- bzw. Verteidigungsministeriums. Neben Quellen, welche die Tätigkeit und die offizielle Kommunikation der involvierten Herrschaftsträger dokumentieren (Ratsmanuale, Korrespondenz, Akten von Ratsbehörden und Kommissionen, diplomatische Instruktionen, Berichte und Denkschriften), wurden Akten beigezogen, welche die Finanzierung des Betriebs und Unterhalts der militärischen Einheiten beleuchten. Vielfach finden sich einschlägige Dokumente in den mitunter nicht besonders gut erschlossenen Archiven und Nachlässen der Militärunternehmerfamilien selbst. Allerdings stellt gerade die disparate Überlieferung dieser Nachlässe eine besondere Herausforderung dar, spiegelt gerade diese die hohe Mobilität der Akteure wider. Mit der Thematisierung frühneuzeitlicher Militärunternehmer leistet die Dissertation einen substantiellen Beitrag an die internationalen Forschungsbemühungen, welche sich in den letzten Jahren verstärkt Privatisierungs- und Kommerzialisierungsaspekten des Krieges in der frühen Neuzeit zugewandt haben. Mit Hilfe eines akteurszentrierten Ansatzes werden die verschiedenen Konfliktsituationen aufgezeigt, in die ein bernischer Militärunternehmer einerseits gegenüber weiteren Familienmitgliedern oder gegenüber des Berner Patriziats, andererseits gegenüber der Republik Bern, der Eidgenossenschaft oder den europäischen Mächten geraten konnte. Die Militärunternehmer mussten versuchen, ihre persönlichen Interessen mit der familiären Strategie im intergenerationellen Soldgeschäft sowie mit konfessionellen Überzeugungen und politischen Loyalitäten zu vereinbaren. Aktuelle Fragestellungen etwa nach der sozialen Mobilität oder nach der grenzüberschreitenden Verflechtung der Militärunternehmer stehen in einem engen Zusammenhang mit der Hinwendung der Neuen Militärgeschichte zur Sozialgeschichte oder den methodischen Reflexionen der Neuen Diplomatiegeschichte. Die Arbeit untersucht deshalb einerseits Konflikte innerhalb von Familien, der Republik Bern oder mit dem Dienstherrn, welche aufgrund der aus dem Militärunternehmertum generierten Ressourcen entspringen konnten, und andererseits legt sie einen Fokus auf die Aussenbeziehungen des Stadtstaates Bern im ausgehenden 17. Jahrhundert. Die Arbeit geht der Leitfrage in einem Grundlagenkapitel (Kapitel 2) und zwei Hauptteilen (Kapitel 3 und 4) nach. Im Grundlagenkapitel zeichnet die Untersuchung die Beziehungen zwischen der französischen Monarchie und der Eidgenossenschaft respektive der Republik Bern in der Frühen Neuzeit nach. Das Dienstverhältnis der eidgenössischen Truppen war durch eine Reihe von Verträgen rechtlich geregelt. Danach werden die Aushandlung, Aushebung und Aufstellung des Regimentes von Erlach im Jahr 1671 im Detail beschrieben. Das dritte Kapitel beschäftigt sich vorwiegend mit den Herausforderungen des Regiments von Erlach in französischen Diensten und besonders mit den Problemen, die daraus erwuchsen, dass sich Ludwig XIV. immer weniger an die ausgehandelten Rahmenbedingungen (z. B. das Verbot von Offensiveinsätzen) hielt. Die historische Forschung beschrieb den eidgenössischen Solddienst in den letzten Jahren immer wieder als «intergenerationelles Familienunternehmen». Dabei zeigt die Arbeit auf, wie es Familien gelang, das Kommando über militärische Einheiten innerhalb eines Familienverbandes an die nächste Generation zu weiterzureichen. Die Studie erforscht weiter, wie die bernischen Offiziere den Spagat zwischen Befehlen der französischen Krone, denjenigen ihrer bernischen Obrigkeit und eigenen militärunternehmerischen Ansprüchen bewältigten. In Konfliktsituationen rund um die Einsätze des Regimentes von Erlach waren die Berner Militärunternehmer mit Situationen und widersprüchlichen Befehlen konfrontiert, in denen sie sich trotz multipler Loyalitäten für die Umsetzung eines der Befehle entscheiden mussten. Ein letzter Teil widmet sich den Militärunternehmern als Vermittlern zwischen der französischen Monarchie und ihrer Obrigkeit während der Reformen nach den Friedensschlüssen. Kapitel vier thematisiert die politischen Konsequenzen der Regimentsaushebung für den Stand Bern. Die historische Forschung hat unlängst festgestellt, dass entweder Militärunternehmer selbst oder ihre Verwandten in die lokale Politik der eidgenössischen Orte, aus denen sie stammten, eingebunden waren. Die Ressourcen aus dem Solddienst stützten die politische Stellung einzelner Geschlechter innerhalb ihres Ortes. Die qualitative Analyse diplomatischer Korrespondenzen und von Quellen der Berner Obrigkeit ermöglicht es, die politischen Praktiken in den Räten der Stadt Bern in Bezug auf die Solddienste hin zu untersuchen. Besonders die Aufstellung des Regimentes von Erlach wie auch die Rekrutierungsversuche im Niederländisch-Französischen Krieg (1672 – 1678) bieten einen detaillierten Einblick in die Verflechtung von Politik und Solddienst in der Republik Bern. Im Laufe der 1680er Jahre verhärteten sich die Fronten zwischen den unterschiedlichen Faktionen im Berner Rat. Die antifranzösische Faktion gewann an Einfluss und bestimmte zunehmend die politische Agenda in Bern. Die Berner Obrigkeit stand vor der paradoxen Situation, dass ihre Offiziere und Soldaten in französischen Diensten standen, wo sie auch für die Verteidigung des eigenen Standes ausgebildet wurden, und dass das Frankreich Ludwigs XIV. gleichzeitig für sie die grösste Bedrohung darstellte. Die Berner Magistraten mussten folglich eine gleichwertige Alternative finden, welche die Ausbildung fähiger Offiziere zur eigenen Verteidigung gewährleistete. Ein Bruch mit Ludwig XIV. hätte jedoch die Sicherheit des eigenen Standes gefährdet und das auf Multilateralität ausgerichtete Bündnissystem in Gefahr gebracht. Englische und niederländische Gesandte ebneten den Weg zu einer verstärkten allianzpolitischen und militärischen Kooperation, indem sie die protestantische und republikanische Solidarität mit der Republik Bern betonten. Mittels der französischen, niederländischen und englischen diplomatischen Korrespondenz wird untersucht, wie die verschiedenen Kriegsherren die Berner Militärunternehmer zu engagieren versuchten. Die französische Diplomatie setzte im ausgehenden 17. Jahrhundert vermehrt auf Retorsionsmassnahmen gegenüber dem Stand Bern. Ihr gelang es jedoch nicht, ihre dominante Stellung in Bern zu behaupten, im Gegenteil. Die Niederlande wurden im 18. Jahrhundert der wichtigste Abnehmer bernischer Solddiensttruppen. Voraussichtlich erscheint die Dissertation in der Reihe Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern im Dezember 2021.

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