Zwischen bürgerlichem Nationalismus und 'nationalem Nihilismus'. Konstruktion und Inszenierung einer kollektiven Identität am Beispiel des Jubiläums '1300 Jahre Bulgarien' 1981

Nom de l'auteur
Jérôme
Brugger
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Marina
Cattaruzza
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2005/2006
Abstract

Der Balkan wird immer wieder als Hort der konfliktbestimmenden historischen Mythen bezeichnet. Die Behauptung eines „erinnerungskulturellen Sonderweg“ des Balkans bezeichnet Claudia Roth hingegen als „Mythos westeuropäischer Selbststilisierung“. Zur Diskussion trägt diese Lizentiatsarbeit eine Fallstudie bei, welche die Inszenierung der Geschichtserzählung im Zuge eines Staatsjubiläums untersucht. Am Beispiel der an dreizehn Tagen im Verlaufe des Jahres 1981 abgehaltenen Jubiläumsfeier „1300 Jahre Bulgarien“ fragt die Studie nach den historischen Bausteinen, mittels derer eine kollektive nationale Identität behauptet wurde, und nach dem Kontext, in dem diese nationale Geschichtserzählung stand.

 

Auf der Grundlage der zahlreichen kulturgeschichtlichen Ansätze der Nationalismusforschung, welche die Fiktionalität und Konstruktion der Nation betonen, werden die Grenzen dieser Konstruktion untersucht und nach der spezifischen Ausprägung der Konstruktion in der Form des ritualisierten Erinnerns an Ereignisse und Personen der bulgarischen Nationalgeschichte gefragt.

 

Als Grundlage der Untersuchung diente die Parteizeitung „Rabotničesko delo“ sowie weitere Publikationen aus dem Jubiläumskontext mit inund ausländischem Zielpublikum. Weiter wurden stellenweise auch die bildlichen Darstellungen also Denkmäler, Jubiläumsbriefmarken u.ä. in die Untersuchung mit einbezogen.

 

Die Studie verortet die Jubiläumsfeiern in einem ersten Schritt in der politischen und gesellschaftlichen Situation Bulgariens Anfang der 80er Jahre, in der einerseits die unbestrittene Herrschaft der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) unter Todor Živkov Stabilität bot, andererseits destabilisierende wirtschaftliche Probleme, der problematische Umgang mit den Minderheiten in einem multiethnischen Staat und aussenpolitische Spannungen mit Jugoslawien und der Türkei zu einer gemischten Einschätzung der Zeit führten. In diesem Kontext und in der Entwicklungslinie eines erstarkenden Nationalismus organisierte die Tochter des Staats- und Parteichefs, Ljudmila Živkova, dieses Grossereignis mit Veranstaltungen in Bulgarien sowie im Ausland.

 

Die dreizehn thematisch unterschiedlichen Feiertage werden in der Arbeit an zwei Analyserastern dargelegt. Das erste Raster bilden die drei Grundelemente der Jubiläumsgeschichte: Fortschritt, Beständigkeit und die bulgarische Kulturleistung in der Welt. Das zweite ist die während des Jubiläums dargestellte Geschichtserzählung, die personenzentriert die bulgarische Geschichte als eine einzig vom „500-jährigen türkischen Joch“ unterbrochene Erfolgsgeschichte von den thrakischen Ursprüngen bis zu den kommunistischen Führern Georgi Dimitrov und Todor Živkov erzählte. Wenn auch die programmatische Erklärung des Jubiläumskomitees, aus welcher der Titel der Arbeit entnommen ist, einen Mittelweg zwischen „Nationalismus“ und „nationalem Nihilismus“ propagierte, zeigt die Untersuchung, dass die Jubiläumserzählung Schwerpunkte einerseits auf nationale und auf klassenkämpferische Argumente andererseits legte. Vereinfacht lassen sich die klassenkämpferischen Argumente mit Fortschrittsbezug, so etwa die Stilisierung der mittelalterlichen Bogomilenbewegung und des Aufstandes des Ivajlo, als kommunistische Vorläufer, als Legitimation der BKP interpretieren. Die Betonung der bulgarischen Kulturleistung für die Welt, so die nationale Inanspruchnahme der Slawenapostel Kyrill und Method oder die internationale Tournee der Thrakergold-Ausstellung, sollten dagegen die Bedeutung des kleinen Landes für die Welt hervorheben.

 

Die wichtigste nationale Komponente der Geschichtserzählung zielte auf die Erklärung der Ethnogenese und den Widerstand des bulgarischen Volkes gegen Assimilierungsversuche durch die 1300-jährige Nationalgeschichte hindurch ab. Dieses Beständigkeitsargument, das in erster Linie auf die bulgarische Sprache und Gebräuche verwies, lässt die Jubiläumsfeiern zu einem Bestandteil der stärker werdenden ethnischen Homogenisierungsbestrebungen der BKP werden, die in der Zwangsumbenennungskampagne von 1984/85 gipfelten.

 

Die Arbeit zeichnet das entworfene nationale Selbstbild nach und benennt Widersprüche in der Selbstinszenierung. Ausgehend davon liesse sich nach den Veränderungen der Geschichtserzählung zwischen 1944 und 1989, deren Wirkung über den 10. November 1989 hinaus und nach den kleinen Rissen fragen, die eine solche Geschichtspolitik im „Ostblock“ geschaffen hat: Rumänien feierte 1980 „2050 Jahre dakischer Staat“ und die Sowjetunion 1982 „1500 Jahre Kiew“. Jubiläen, welche alle im Spannungsfeld zwischen nationalen Parolen und sozialistischer Völkerfreundschaft gesehen werden müssen.

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