Den Grundstein für die bis heute anhaltenden engen Beziehungen der beiden Länder Schweiz und Liechtenstein legte vor fast 100 Jahren der Zollvertrag vom 29. März 1923. Der Abschluss dieses Vertrages kurz nach dem Ersten Weltkrieg fiel für Liechtenstein in eine turbulente Zeit, geprägt von Armut, Hunger und der aufziehenden Weltwirtschaftskrise. Die vorher ein halbes Jahrhundert andauernde friedliche Phase an der Seite der verwandten habsburgischen Monarchie hatte mit dem Ersten Weltkrieg für das Fürstentum ein abruptes Ende gefunden. Die Regierung und der Fürst von Liechtenstein bemühten sich darum, mit dem neu abgeschlossenen Zollvertrag mit der Eidgenossenschaft, eine stabile Basis für die weitere Entwicklung des kleinen Staates am Rhein zu legen. Nicht nur vertrat die Schweiz von nun an die aussenpolitischen Interessen Liechtensteins in Drittstaaten, sondern das Gebiet des Fürstentums lag neu innerhalb der Zollgrenzen der Eidgenossenschaft. Dennoch fehlt bisher eine historische Aufarbeitung dieser engen Verbindung aus schweizerischer Sicht weitgehend.
Die Masterarbeit versucht, diese Lücke so weit als möglich zu schliessen. Primäres Ziel der Studie ist es, die Entwicklung dieser Verbindung vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges zu analysieren. Dabei untersucht die Arbeit, inwiefern die äussere Bedrohung durch den Krieg zu einer freundschaftlicheren Beziehung der beiden Staaten führte, oder ob solch schwierige Umstände eher belastend wirkten. Ebenso geht die Arbeit der Rolle der Souveränität Liechtensteins sowie der Lebensmittelversorgung des Fürstentums während des Krieges – als ein Bereich, der fest in das schweizerische System integriert war – nach.
Dafür wählt die Arbeit eine historisch-hermeneutische Herangehensweise. Sie unterzieht die Quellen sowie die Sekundärliteratur einer deskriptiven Analyse, diskutiert die Quelleninhalte in chronologischer Reihenfolge, ordnet diese in den zeitlichen Kontext ein und fragt danach, welche Antworten sie mit Blick auf die Fragestellung zu geben vermögen. Die Hauptquellen der Masterarbeit bilden Aktenbestände aus dem Schweizerischen Bundesarchiv in Bern sowie aus dem Landesarchiv in Vaduz. Erwähnenswert ist, dass ein grosser Anteil der liechtensteinischen Quellen über die offiziellen Internetseiten des Staates Liechtenstein in transkribierter Form, als auch in Scans der Originaldokumente zur Verfügung stehen. Neben den Archivquellen eignen sich insbesondere die jährlichen Rechenschaftsberichte der fürstlichen Regierung an den Landtag in der liechtensteinischen Landesbibliothek als Zusammenfassung über die Regierungstätigkeiten des jeweils vorangegangenen Jahres.
Die Untersuchung zeigt, dass während des Krieges ein Muster in den Beziehungsinteraktionen der beiden Staaten bestand: Befand sich Liechtenstein in grösserer Gefahr, den politischen Status quo an der Seite der Eidgenossenschaft zu verlieren, waren die Schweizer Behörden eher bereit, eine Politik des Entgegenkommens zu verfolgen als in ruhigeren, weniger bedrohlichen Phasen des Krieges. Dabei spielten die unterschiedlichen Beziehungen auf verschiedenen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) eine zentrale Rolle.
In Bereichen, in welchen Liechtenstein die Souveränität – als Mass der Selbstbestimmung eines Staates verstanden – weitgehend zugunsten der Schweiz aufgab, erhielt die Eidgenossenschaft mehr politischen Spielraum.
Exemplarisch lässt sich diese Ambivalenz zwischen Verflechtung und Souveränität anhand des von Schweizer Seite ultimativ geforderten Gebietsabtausches rund um das Ellhorn am Ende des Krieges feststellen. Die „Lebensmittelschuld“ – entstanden durch die nahezu vollständige Integration Liechtensteins in das Lebensmittelversorgungssystem der Eidgenossenschaft während des Krieges – diente den Schweizer Behörden als bewusstes Druckmittel zur Durchsetzung militärstrategischer Interessen und der damit verbundenen territorialen Übernahme des erwähnten Gebirgszuges.
Dennoch lässt sich festhalten, dass die Ereignisse von aussen, die beiden Nachbarländer zu mehr Zusammenarbeit motivierten. Der externe Druck erhöhte die Dringlichkeit für das Abschliessen bedeutender Meilensteine (bspw.: Schweizer Kredite für die Rettung der liechtensteinischen Landesbank 1938/1939, nahtloses Einfügen Liechtensteins in die Lebensmittelversorgung der Schweiz 1939, Fremdenpolizeiliches Abkommen 1941) in der noch jungen Beziehung der beiden Staaten und schaffte insgesamt eine stabile Basis für die zwischenstaatlichen Verflechtung in den folgenden Jahrzehnten.