Type de travail
Thèse
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2017/2018
Abstract
Unerhörte Nachrichten drangen ab Sommer 1789 aus Frankreich ins Innerschweizer Kloster Einsiedeln. Bald sprach man an dieser international bekannten Wallfahrtsstätte von „Revolution“, wobei die dortigen Benediktinermönche gebannt deren weiteren Verlauf verfolgten. Woche für Woche hielten sie in ihren Tagebüchern und Chroniken fest, was ihnen aus dem westlichen Nachbarland zu Ohren gekommen war, vor allem hinsichtlich des Schicksals der katholischen Kirche und der im Land be ndlichen Klöster. Je länger die französischen Unruhen anhielten und je mehr sie auf weitere Teile Europas übergriffen, desto bedrohlicher schien ihnen das Schreckgespenst dieser von ihnen von Anfang an scharf als gottlos verurteilten Umbruchsbewegung zu sein. Bald schon fürchteten sie sogar, dass auch die Eidgenossenschaft, ja selbst die Untertanengebiete ihrer gefürsteten Reichsabtei von den französischen Ideen ergriffen werden könnten.
Auch wenn die Mönche den weiteren Verlauf und die kommenden Ausmasse der Französischen Revolution kaum vorhersehen konnten, war für sie eines von Anfang an klar: Die Unruhen seien monokausal auf die „verkehrten“ Ideen der Aufklärung zurückzuführen, die mit ihrer dezidiert utilitaristisch-klosterkritischen Ausrichtung schon früher – etwa in der Kirchenpolitik des österreichischen Erzherzogs Joseph II. – die Ordenswelt in Bedrängnis gebracht hatte. Nun aber sollte in ihren Augen die Geistesbewegung vollends ihren unheilvollen Charakter offenbaren. Die Benediktiner meinten nämlich, als ihr eigentliches Ziel die Vernichtung der Kirche und die Zerstörung der gottgewollten Ordnung in der Welt entlarvt zu haben.
Angelegt als mikrohistorische Untersuchung und unter Einbezug von Ansätzen der Neuen Kulturgeschichte – vor allem hinsichtlich ihres subjekt- und akteurszentrierten Interesses – geht die vorgelegte Dissertation der Frage nach, wie die Einsiedler Mönche ab den frühen 1770er Jahren auf die Ideen der Spätaufklärung reagierten, insbesondere auf die erwähnte, von vielen Seiten mit spitzer Feder formulierte Klosterkritik. Dabei zeigt sich, dass eine Reihe von Mönchen aufklärerische Postulate nicht nur rezipierte und umsetzte. Vielmehr brachten sie auch eigene theoretische Abhandlungen zu typisch aufklärerischen Themen hervor, zum Teil sogar – etwa hinsichtlich liturgischer Reformen – als regelrechte Pionierleistungen. Damit wollten sie unter anderem aller Welt ihre von vielen Seiten abgesprochene Nützlichkeit für die Gesellschaft vor Augen führen. Seit den frühen 1780er Jahren zeigt sich allerdings – vor allem als Folge der politischen Entwicklungen – eine immer deutlichere Abwendung von den Ideen und Anliegen der Aufklärung, ein reaktionärer Gesinnungswandel hin zu einer dezidierten Ablehnung, die sich nach Ausbruch der Französischen Revolution nochmals verstärkte.
Bezüglich der Zeit nach 1789 stellt die Dissertation die Frage ins Zentrum, wie die Mönche die Französische Revolution und die weiteren Ereignisse und Bestrebungen in Frankreich, Europa und der Alten Eidgenossenschaft zwischen 1789 und 1798 wahrnahmen, wie sie diese beurteilten und sich dabei verhielten. Auch die Auswirkungen der gesamteuropäischen Ereignisse auf das alltägliche Leben in Einsiedeln werden in den Blick genommen. So wird etwa den Handlungsstrategien der Mönche nachgegangen, mit denen sie dem allgemein herrschenden Mangel an Getreide und Salz begegneten.
Zur Beantwortung solcher Fragen greift die Studie auf eine Vielzahl von Quellen zurück, von denen einige erstmals systematisch erforscht oder gar im Kontext der Recherchen zu dieser Arbeit erst neu entdeckt wurden. Andere Quellen wiederum wurden erstmals im Rahmen einer gemeinsamen Fragestellung zueinander in Verbindung gesetzt, sodass sich bisher unbekannte weitreichende Handlungszusammenhänge und eng gesponnene Beziehungsnetze erkennen lassen. Unter den herangezogenen Quellen besonders zu erwähnen sind die Tagebücher des zwischen 1780 und 1808 regierenden Fürstabtes Beat Küttel. Sie gewähren einen aufschlussreichen Einblick in das Leben, Denken und Handeln, aber auch in die Ängste und Wertvorstellungen eines Innerschweizer Prälaten mit weitreichenden Beziehungen zu Kirche und Staat und offenbaren dessen Wissensstand und Einschätzungen zum weltpolitischen Geschehen.
Anhand dieser Diarien und weiterer Quellen aus in- und ausländischen Archiven wird nachgezeichnet, wie sich die – anfänglich von den sich überstürzenden Ereignissen völlig überforderten und entsprechend orientierungslosen – Einsiedler Mönche im Laufe der 1790er Jahre immer aktiver im Abwehrkampf gegen die Revolution betätigten. Dies stellt einen grundlegenden Wandel zum davor an den Tag gelegten Verhalten dar, hatten doch die Mönche angesichts der umstürzenden Ereignisse anfänglich die Strategie verfolgt, sich einzuigeln und abzuwarten, bis der Sturm an ihnen vorübergezogen sei. Freilich erfolgte der Sinneswandel der Mönche zu einer dezidierten Stellungnahme nicht aus freien Stücken. Vielmehr sahen sie sich dazu gedrängt: Erstens, durch die zweimalige Anfrage des österreichischen Erzherzogs um nanzielle Unterstützung seines Kampfes gegen die Französische Republik, die man sich nicht auszuschlagen getraute; zweitens, durch die unangemeldete Ankunft erster französischer Flüchtlinge, von denen bis zum Ende des Ancien Régime mehr als zweitausend für kürzere oder längere Zeit im Klosterdorf Zu ucht nden sollten. Bald aber unterstützten sie auch aus eigener Überzeugung und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Anstrengungen, die Revolution endlich zu bannen: Verschiedene antirevolutionäre Pamphlete aus der Klosterdruckerei geben davon ebenso Zeugnis wie das entsprechende Wirken in den Beichtstühlen und die – auch von der Schwyzer Obrigkeit und dem österreichischen Botschafter gewünschten – Predigten an die zahlreichen Wallfahrer. Den Höhepunkt der antirevolutionären Agitation bildete zweifellos der Anfang März 1798 abgesandte Hilferuf des Fürstabtes an die Adresse des österreichischen Erzherzogs, der mittels militärischer Intervention auf Schweizer Boden die akute französische Gefahr abwehren sollte. Unbeirrt versuchte Abt Beat, am Status Quo festzuhalten, wozu – freilich nur im äussersten Fall – auch kleine rechtliche Zugeständnisse gegenüber den eigenen Untertanen dienen sollten.
Dass man mit der erwähnten antirevolutionären Agitation den Groll der französischen Revolutionäre auf sich zog, liegt auf der Hand. Gross war der Unmut gegen das Kloster, das als Widerstandsnest gegen die Revolution und – ab April 1798 – auch gegen die neu gegründete Helvetische Republik galt. Entsprechend elen die gegen das Stift verfügten Massnahmen aus, nachdem dieses Anfang Mai im Kontext des Feldzuges gegen den antihelvetischen Widerstand der Innerschweiz von den französischen Revolutionstruppen besetzt worden war. Damit war geschehen, was die Mönche anfänglich als nie möglich erachtet und später im Vertrauen auf Gottes Beistand abzuwenden erhofft hatten: Dass auch sie direkt in den Strudel der Französischen Revolution hineingerissen werden. Als spannend erweist sich hierbei die vorgenommene Analyse der Reaktion der Einsiedler Mönche auf dieses unerwartete Geschehen.
Die Dissertation bewegt sich in verschiedenen Forschungsfeldern. Dazu gehört etwa die Beschäftigung mit der katholischen Aufklärung, wobei die Analyse einer konkreten Ausformulierung der gemässigten katholischen Aufklärung Antworten auf die Frage nach deren möglichen Gestalt und konkreten Inhalten gibt. Des Weiteren eröffnet die Studie neue Einsichten in die Geschichte der krisenhaften 1790er Jahre des Standes Schwyz, mit dem das Stift ein äusserst ambivalentes Verhältnis verband. Auch hinsichtlich der Revolutions- und Selbstzeugnisforschung liefert die Arbeit neue Ergebnisse. Und nicht zuletzt erweitert sie auch den Wissensstand hinsichtlich der Geschichte des Klosters Einsiedeln. Dabei wird nicht nur in vielerlei Hinsicht das von einem durch und durch apologetischen Impetus geprägte Bild der bisherigen Literatur korrigiert; vielmehr beleuchtet die Studie auch neue, bisher unbekannte Aspekte, wie etwa den gezielten Versuch des Stiftes, sich durch den Aufbau eines sozial und geographisch differenzierten Beziehungsnetzes eine möglichst breite Unterstützung in der als bedrohlich wahrgenommenen Krisenzeit zu sichern. Damit greift die Arbeit – wie bei vielen anderen Themen – den Faden bereits vorhandener Forschungsrichtungen auf, um ihn fruchtbar weiterzuspinnen.