Von der Notwendigkeit, den Faschismus "gerade jetzt sin ira et studio zu behandeln". Die diplomatische Rezeption des faschistischen Italiens in der späten Weimarer Republik

Nom de l'auteur
Boris S. Aebi
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Marina
Cattaruzza
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2016/2017
Abstract
Thema der Arbeit bildet die Rezeption des faschistischen Italiens seitens deutscher Diplomaten vor Ort. Diese Problematik hatte bisher keine ausführliche Würdigung in der wissenschaftlichen Literatur gefunden. Im Fokus meiner Arbeit steht nicht die klassische Diplomatie-Geschichte, sondern die ideengeschichtliche Fragestellung, wie die Beamten vor Ort Mussolinis Italien wahrnahmen, einzelne Aspekte des Faschismus beurteilten, und inwiefern sich ihre Eindrücke von der gesellschaftlichen Rezeption unterschieden bzw. diese bestätigten – und ob sich die gängige These vom Modellcharakter des faschistischen Italiens mit dem gewählten Ansatz aufrechterhalten lässt. Die Primärquellen bilden die einschlägigen Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. In Frage kommt hierbei in erster Linie der umfangreiche Bestand „Italien“, welcher die Korrespondenz zwischen dem Auswärtigen Amt und der Botschaft Rom, sowie die erhaltenen Berichte der deutschen Konsulate in Mailand, Neapel, Palermo, Turin, Genua, Florenz und Triest umfasst. Den engeren Untersuchungszeitraum bilden die frühen 30er Jahre, als Deutschland mit dem ersten Präsidialkabinett Brüning seinerseits einen zunehmend autoritären Weg einschlug. Mit Blick auf Italien fängt aber die Untersuchung bereits im Jahr 1929 an, das mit dem Abschluss der Lateranverträge und den plebiszitären Wahlen gemeinhin als Abschluss der Konsolidierungsphase des Regimes gedeutet wird. Dem Ansatz der Arbeit entsprechend, wird auch kurz auf die Aufstiegsjahre des Faschismus eingegangen, zumal viele grundsätzliche Urteile über das Wesen und Werden des Faschismus schon früh gefällt und immer wieder aufgegriffen wurden. Im Bestreben, die diplomatische mit der öffentlichen Wahrnehmung zu vergleichen, gilt es zunächst auf die Dichotomie Mussolini/ Gefolgschaft hinzuweisen – auf die charakteristische Tendenz, die Person Mussolini vom Verhalten seiner Anhänger abzukoppeln, und damit die Gründe für noch vorhandene Probleme nicht primär dem Diktator, sondern der Partei und ihren lokalen Exponenten anzulasten. Diese Trennung zwischen einem kompromissbereiten „Duce“ und einem revolutionär-syndikalistischen Squadrismus erklärt, warum man am Quirinal grundsätzlich jede Stärkung des Zentralstaates (und damit der Diktatur) guthiess, solange diese zu Lasten der Parteimacht ging. Die Dichotomie Theorie/ Praxis zeigte sich für die Diplomaten ebenfalls in der faschistischen Wirtschaftspolitik. So erkannten sie deutlicher als so mancher (selbsternannte) Experte in Deutschland, dass der Stato corporativo bis dahin nur auf dem Papier bestand, und seine Spitzengremien zwangsläufig inaktiv bleiben mussten, solange der entsprechende Unterbau (die erst 1934 geschaffenen Korporationen) auf sich warten liess. Ebenso galt ihnen das propagierte Ziel der Autarkie als utopisches Ideal, das nur schon wegen der Abhängigkeit Italiens vom Verlauf der internationalen Wirtschaft ein Traum bleiben musste. Gleichzeitig war man im Kontext der Weltwirtschaftskrise aber durchaus bereit, Mussolinis organischer Grundauffassung, der zufolge Wirtschaft, Staat und Volk eins sind und sich dem Gemeinwohl unterzuordnen haben, Respekt zu zollen – eine zuweilen unverhohlene Sympathie, welche bedingt auch die faschistische Jugenderziehung und den Ausbau des Wohlfahrtstaates miteinschloss. Umgekehrt hegten die Diplomaten vor Ort aber auch immer wieder Zweifel, ob gerade Italien einen geeigneten Standort darstellte, um diese Elemente des Zeitgeistes praktisch umzusetzen. Zu gut wusste man einzuschätzen, dass die immer wieder versprochene Verschmelzung von Volk, Staat und Partei nur sehr schleppend vorankam, und dass auch in den sogenannten „Jahren des Konsens“ (Renzo De Felice) immer noch erhebliche Residuen des Widerstands weiter bestanden. Dabei waren es vor allem die Berichte der Konsulate, welche dies konkretisierten und das alte Bild des „Italien der Regionen“ zeichneten, welches mit der italienischen Selbstdarstellung eines im Zeichen des Faschismus geeinigten Landes konterkarierte. Im Einklang mit der öffentlichen Wahrnehmung standen die Diplomaten indes mit der Einschätzung, dass eine bedingte Sympathie für das Regime Mussolinis nicht zwangsläufig mit einer Parteinahme für Hitler verbunden sein musste. Zu lang vertraute man auf die von offizieller italienischer Seite wiederholte Beteuerung, der Faschismus sei kein Exportartikel – und unterschätzte dabei, wie stark Mussolini von Anfang an auf eine Doppelstrategie setzte und neben der offiziellen Diplomatie mittels der Fasci all‘ Estero nicht nur Propaganda für den Faschismus betrieb, sondern spätestens ab 1930 auch gezielt den Kontakt zu rechtsradikalen Bewegungen anderer Länder suchte. Die Unterschätzung der NS-Bewegung bleibt aber aufschlussreich, da sie verdeutlicht, wie stark man von diplomatischer Seite noch im „Krisenjahr 1932“ überzeugt war, dass es sich beim Regime Mussolinis um eine genuin auf Italien zugeschnittene Entwicklungs- und Erziehungsdiktatur handelte, die sich keineswegs auf Deutschland übertragen lasse.

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