Von Bauersleuten „so man Leibeigne nennt“: Begriffe und Theorie des Bauernrechts in Pommern (17. Jahrhundert)

Nom de l'auteur
Oliver
Schihin
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2002/2003
Abstract

Im 16. Jahrhundert entstanden im Gebiet östlich der Elbe die grossen Güter, welche vor allem mittels bäuerlicher Dienste Getreide für nahe und ferne Märkte produzierten. Um sich die Arbeitskräfte für diese Güter sichern zu können, wurde mit Beginn des 17. Jahrhunderts verstärkt eine „Leibeigenschaft“ behauptet. Diese sollte die Bauern an das Gut binden und die Höhe der Dienste weitgehend den Interessen der Herren anpassen. Nach den Zerstörungen im Dreissigjährigen Krieg verschärften sich die Konflikte um eine Wiedereinrichtung der Güter und die bäuerlichen Dienste. In diesem Zusammenhang entstand das Traktat „Ein kurtzes bedencken über die Fragen, so von dem Zustand, Abforderung und verwiederter Abfolge der Bawrs-Leute zu welchen jemand zuspruch zu haben vermeynet bey jetzigen Zeiten entstehen und vorkommen“ (1645). Autor war der Jurist und Stralsunder Syndikus David Mevius (1609-1670). Das Traktat sollte die „Leibeigenschaft“ darstellen – bezeichnenderweise wird diese im Titel nicht genannt – und Anleitung zu Abforderungsprozessen sein. Es erlebte bis 1773 fünf weitere Auflagen. Eine beschreibende Analyse des Traktats steht im Zentrum der Arbeit.

 

Zuerst wird der unmittelbare Kontext der Entstehung des Traktats umrissen: Die Stadt Stralsund als Auftraggeberin war selbst eine bedeutende Grundbesitzerin, Zufluchtsstätte für vom Krieg vertriebene Bauern, aber auch Gerichtsort. Aus der Biografie des aus Greifswald stammenden Mevius wird deutlich, dass er mit den territorialen Rechten und der Praxis wohlvertraut, gleichzeitig aber auch im gelehrten Recht, dem ius commune, ausgebildet war. Mevius argumentiert auch im vorliegenden deutschsprachigen Traktat stark aus dieser Tradition heraus. Juristen, welche seit dem frühen 16. Jahrhundert die Leibeigenschaft behandelten, werden von ihm zustimmend oder ablehnend zitiert, ebenso verweist er auf das römische Recht. Mit der „Leibeigenschaft“ wird versucht, die Beziehung zwischen (Grund-)Herr und Bauer rechtlich zu fassen. Die (für die Bauern negative) Entwicklung vom Erbzinsrecht hin zur persönlichen Abhängigkeit in Pommern und den benachbarten Territorien seit dem Mittelalter wird in einem eigenen Kapitel geschildert. Die eng am Aufbau des Traktats angelehnte Textanalyse versucht immer wieder, auf diese Themen zurückzugreifen, juristische Aussagen werden an den – aus der Literatur rekonstruierten – realhistorischen Verhältnissen gespiegelt.

 

Bereits eine terminologische Untersuchung ergibt, dass Mevius das gelehrte Recht nicht einfach in Übereinstimmung mit den territorialen Verhältnissen bringen kann. Er lehnt die Bezeichnung „Leibeigene“ ab und will die Bauern lieber „Halbeigene“ nennen. Obwohl er die originelle Wortschöpfung aus pragmatischen Gründen wieder verwirft, gibt der Begriff seine juristische Konstruktion der bäuerlichen Person richtig wieder. Diese ist eigentlich gespalten, eine Hälfte ist „eigen“ und dadurch an Herrschaft und Gut gebunden, eine Hälfte aber ist frei und macht den Bauern rechtswie vermögensfähig. Die Leibeigenschaft wird durch ein dominium des Herrn am Bauern begründet, dieses wird über den Boden vermittelt und in den meisten Fällen durch Geburt oder stillschweigenden Vertrag gestiftet. Ein solcher Vertrag wird beim Eintritt in den Bauernstand geschlossen, Leibeigenschaft ist für Mevius Kennzeichen der (ostelbischen) Bauern und nur für diese denkbar. Gleichzeitig umfasst sie nicht bloss den Bauern, sondern dessen ganzen Hausstand: Leibeigenschaft wird für Frau und Kinder durch die Herrschaft des Hausvaters begründet.

 

Synonym zur Leibeigenschaft verwendet Mevius den Begriff der „Bauerspflicht“ – ein Terminus des rügischen Gewohnheitsrechts –, der präzise ausdrückt, dass nur Bauern Leibeigene sein können. Freiheit entsteht entweder durch Entlassung oder durch Verlust des Hofes. Nimmt ein Herr seinem leibeigenen Bauer den Hof weg (Bauernlegen) oder ist er nicht imstande, diesen in Not zu schützen, so wird der Bauer frei. Leibeigenschaft und die Hofnutzung bedingen sich, nur in dieser Ausgestaltung kann der Jurist sie als rechtmässig ansehen. Durch das über den Boden vermittelte dominium wird eine Verfügbarkeit der ganzen bäuerlichen Person ausgeschlossen, Mevius verwirft den – recht häufig praktizierten – Verkauf von Bauern ohne Hof; und er räumt ihnen grundsätzlich ein Klagerecht gegen übermässige Gewalt des Herrn ein.

 

In der Leibeigenschaftstheorie von David Mevius wird deutlich, dass frühneuzeitliche

Juristen durchaus grundrechtsähnliche Schutzbereiche ausformulierten, unklar ist jedoch deren Wirksamkeit. Einerseits sind auch Verbote wie das des Verkaufs von Leibeigenen bei Mevius offen formuliert, anderseits zeigt ein Blick auf die Gutsherrschaftsentwicklung, dass sich die Situation der Bauern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verschärfte und rechtliche Schranken dem nur wenig entgegenzusetzen hatten.

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