Verschwörungstheorien in der späten römischen Republik

Nom de l'auteur
Jannik
Lengeling
Type de travail
Thèse
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Stefan
Rebenich
Codirecteur
PD Dr. Jan B. Meister
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2024/2025
Abstract

Verschwörungstheorien sind weder ein neues Phänomen, noch sind sie gegenwärtig verbreiteter als früher, auch wenn die aktuelle Diskussion in Medien, Politik und Wissenschaft oft diesen Eindruck erweckt. Vielmehr ist die Aufregung (zumindest in westlichen Demokratien) um Verschwörungstheorien derzeit so gross, weil Verschwörungstheorien zum stigmatisierten Wissen gehören, gerade weil die Mehrheit sie für absurd und gefährlich hält. Wie die Dissertation zeigen will, existierten Verschwörungstheorien bereits in der Antike. Im Gegensatz zur Gegenwart waren sie damals jedoch eine weithin akzeptierte und normale Form des Wissens. Zwar wurde nicht jede Verschwörungstheorie sofort von allen geglaubt, da sie sich stets in Deutungskonkurrenzen gegen andere Erklärungen und Meinungen behaupten mussten, doch ihre Logik wurde nicht grundsätzlich hinterfragt und das Phänomen nicht auf einem abstrakten Level kritisiert.

 

Die heutige kritische Sicht auf Verschwörungstheorien ist relativ neu, ging mit der Begriffsbildung von „Verschwörungstheorie“ oder „conspiracy theory“ einher und setzte sich erst im mittleren 20. Jahrhundert durch. Im Lateinischen und Altgriechischen existierte kein äquivalenter Begriff, weil das Phänomen Verschwörungstheorie in der Antike nicht als solches erfasst wurde.

 

In dieser Arbeit wird die Definition von Michael Butter („Nichts ist, wie es scheint.“ Über Verschwörungstheorien, Berlin 2018) zugrunde gelegt: Demnach behaupten Verschwörungstheorien, „dass eine im Geheimen operierende Gruppe, nämlich die Verschwörer, aus niederen Beweggründen versucht, eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt zu kontrollieren oder zu zerstören.“ (S. 21) Weitere Charakteristika von Verschwörungstheorien sind, dass sie von einem Dualismus von Gut und Böse ausgehen und dass sie Übel in der Welt auf intentionales Handeln von Personen, also auf einen weitreichenden Plan der Verschwörer zurückführen und Kontingenz aus- blenden. Texte, die diese Merkmale aufweisen, werden in der Arbeit als Verschwörungstheorie oder als Verschwörungsvorwurf eingestuft, wobei letztere weniger komplex und weniger umfassend sind und mit geringerem Begründungsaufwand in den Raum gestellt werden.

 

Die Einleitung erläutert wichtigsten Begriffe, führt in die Wissens- und Forschungsgeschichte von Verschwörungstheorien ein und legt die Fragestellungen sowie den Forschungsstand dar. Die ersten vier Kapitel enthalten Fallstudien aus einem Zeitraum von 90 bis 43 v. u. Z. Danach wird in einem Zwischenfazit zur Republik Bilanz gezogen, bevor im sechsten Kapitel mehrere kürzere Fallstudien der frühen römischen Kaiserzeit gewidmet sind. Im Fazit werden nach einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede antiker und moderner Verschwörungstheorien herausgearbeitet und Hinweise zur weiteren interdisziplinären Erforschung des Phänomens Verschwörungstheorie gegeben.

 

Für die späte römische Republik ermöglicht es die Quellenlage, sich auf zeitgenössische Quellen aus der politischen und rhetorischen Praxis zu stützen, die zwar überwiegend, aber nicht nur von Marcus Tullius Cicero stammen, der die Überlieferung aus dieser Zeit dominiert. Aber auch ein nicht-ciceronisches Rhetorik-Handbuch (die Rhetorica ad Herennium) und andere Quellen belegen, dass der Konspirationismus im republikanischen Rom breite Geltung innehatte.

 

Im ersten Kapitel werden Passagen aus der Rhetorica ad Herennium in ihrem historischen Kontext untersucht. Die Redefragmente in dem Handbuch zeigen, dass während des Bundesgenossenkrieges zwischen Römern und Italikern in Rom ein Gesetz (die lex Varia) mithilfe von Verschwörungsvorwürfen durchgesetzt wurde. Dabei argumentierte der Volkstribun Quintus Varius offenbar, dass einige Römer die Italiker zu ihrem Aufstand gegen Rom angestachelt hätten. Auf der Grundlage der lex Varia wurden dann zahlreiche Gerichtsprozesse geführt und mehrere Politiker exiliert.

 

Cicero bediente sich ebenfalls des Mittels der Verschwörungsvorwürfe, wie in Kapitel 2 gezeigt wird. Im Wahlkampf zum Konsulat attackierte er auf diese Weise seine Konkurrenten Catilina und Gaius Antonius. Auch nach der Wahl führte Cicero als Konsul seine Angriffe auf Catilina fort. Der Verschwörer Catilina erscheint somit als von Cicero konstruiert. Ihre Konkurrenz wurde zu einem Konflikt, der mit dem Tod Catilinas endete. Cicero hingegen schuf in Rom vorübergehend einen Konsens unter seiner Führung.

Zu Beginn seines Konsulates verwendete Cicero zudem eine weitere Verschwörungstheorie, um einen Gesetzesvorschlag zur Landverteilung eines Volkstribuns zu bekämpfen. Er hielt mehrere Reden zu diesem Thema und brachte hier eine ausführliche Verschwörungstheorie vor, die mit modernen Theorien dieser Art vergleichbar ist. Diesen Reden ist das dritte Kapitel gewidmet.

 

Selbst im Zusammenhang mit echten Komplotten konnten unbewiesene und falsche Vorwürfe erhoben werden. Das vierte Kapitel untersucht solche Anschuldigungen im Kontext der Ermordung Caesars. Schon Caesar selbst hatte – in der späteren Darstellung des Augustus-Biographen Nikolaos von Damaskus – kurz vor dem Tod auf solche Vorwürfe zurückgegriffen, um Kritiker mundtot zu machen. Nach Caesars Ermordung deuteten seine Anhänger Geschehnisse vor den Iden des März – vor allem Ehrungen für den Dictator – als Teil des Komplottes gegen ihn. Neben Caesar spielen in diesem Kapitel wiederum Cicero sowie Marcus Antonius wichtige Rollen.

 

Im Zwischenfazit zur römischen Republik wird betont, dass die politische Praxis in der römischen Republik stärker als teilweise in der Forschung angenommen von Konflikten statt von Konsens geprägt war. Verschwörungstheoretische Reden spitzten zu, moralisierten und polarisierten. So wurden Konflikte nicht nur eskaliert, sondern zum Teil sogar erst hervorgerufen. Wenn etwa Cicero einen Konsens gegen Catilina zu konstruieren versuchte, wurde dieser Konsens durch Exklusion hergestellt. Das römische Politikverständnis war wohl anti-pluralistisch und damit ähnlich dem heutiger Populist:innen. Den Untergang der Republik auf Verschwörungstheorien zurückzuführen, würde dennoch zu weit gehen. Wie Dieter Groh bereits 1992 schrieb, handelt es sich bei Verschwörungstheorien um eine historische Konstante; als solche waren sie schon in der Zeit der späten römischen Republik mitnichten neu. Durch die Blockade von Reformen und die Eskalation von Konflikten könnten sie den Untergang der Republik jedoch beschleunigt haben.

 

Unter kaiserlicher Herrschaft änderte sich die Verwendung von Verschwörungsvorwürfen. Damit diese Anschuldigungen Wirkung erzielten, mussten nun die Kaiser entscheiden, ob sie sich bedroht fühlten, denn sie allein galten nun als Garanten des Gemeinwohls. Dies wird in Kapitel 6 herausgearbeitet. Dennoch sahen sich auch die Kaiser konspirationistischer Kritik ausgesetzt. Weitere Fallstudien im sechsten Kapitel unterstreichen zudem, dass, obwohl einzelne Verschwörungsvorwürfe durchaus kritisiert werden konnten, die verschwörungstheoretische Logik nicht nur innerhalb der römischen Elite funktionierte, sondern darüber hinaus auch in anderen Bevölkerungsteilen des Imperiums.

 

Im Fazit wird dazu angeregt, Verschwörungstheorien aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeit und weiterer historischer Untersuchungen anders zu erforschen. Wenn Verschwörungstheorien eine historische Konstante und vielerorts weiterhin akzeptiertes Wissen darstellen, dann ist der gegenwärtige kritische Blick auf sie der historische Sonderfall. Um Verschwörungstheorien weiter zu problematisieren und ihren negativen Auswirkungen vorzubeugen, sollte untersucht werden, wie sie in der Vergangenheit problematisiert worden sind und (etwa durch die Psychologie) wie der „Unglaube“ an sie auf individueller Ebene zustande kommt.

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