Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
PD Dr. phil
Daniel Marc
Segesser
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2018/2019
Abstract
„Aus Syrien, Räuberbanden“, „Ernste Lage in Syrien, Damaskus fast völlig zerstört“, „Syrien, Ein Rebellenführer gefallen“, „Der Krieg in Syrien, Damaskus abermals beschossen“, „Luftangriffe auf Rebellenenklave Ost-Ghuta bei Damaskus dauern an“ und „Krieg in Syrien, Rebellen in Ost-Ghuta massiv unter Druck“: Dies sind Schlagzeilen aus Zeitungsartikeln, welche von Geschehnissen in Syrien berichten. Die letzten beiden Titel entstammen heutigen Medienmitteilungen, die anderen Überschriften sind zeitgenössischen Berichterstattungen über Syrien aus dem Jahr 1925 entnommen. Auch heute gibt es nebst der Kritik an der vom derzeitigen Präsidenten Baššār Ḥāfiẓ al-ʾ Asad geleiteten Staatsführung in gewissen Teilen Syriens Unabhängigkeitsforderungen, so zum Beispiel von der kurdischen Bevölkerung im nord-östlichen Syrien. Daran knüpft die vorliegende Arbeit an.
Kern der Arbeit ist die Art und Weise, in der die Unabhängigkeitsbewegungen in Syrien im Zeitraum Juli 1925 bis Herbst 1925 in zeitgenössischen Zeitungsartikeln dargestellt wurden. Als Quellengrundlage wurde die Berichterstattung von jeweils vier Zeitungen zweier geografisch kleiner Staaten, welche nicht über Kolonien verfügten oder direkte Interessen im Gebiet Syrien hatten, herangezogen, der Schweiz und Österreichs. Nach der die Fragestellung etwas detaillierter vorstellenden Einleitung wird im zweiten Kapitel die historische Ereignisgeschichte, beim Jahr 1914 beginnend, dargestellt. Ein Theoriekapitel umfasst die Begriffsdefinitionen von Nationalismus und arabischem Nationalismus. In diesem Abschnitt werden drei Autoren vorgestellt, welche diese Ereignisse in Syrien aus drei unterschiedlichen Perspektiven erforscht und sie unter unterschiedlichen Deutungen des arabischen Nationalismus subsumiert haben: Philip Shukry Khoury, Mahmoud Haddad und Michael Provence. Im vierten Kapitel steht die Analyse der Berichterstattungen im Zentrum, worauf zum Schluss eine Zusammenfassung der zeitgenössischen Deutungen folgt.
Da die französische Deutung des lokalen Ereignisses nach den Revolten in Aleppo, Ḥama und Damaskus nicht länger Bestand hatte, verlegte sich die französische Regierung darauf, in Regierungscommuniqués die Vorkommnisse in Syrien „Agitatoren verschiedener Sekten, ehemaligen Anhängern Faissals [sic!], Pan-Araber etc.“ anzulasten. Das Vaterland (CH) übernahm durch Wiedergaben aus der französischen konservativen Presse diese Interpretation, die Mahmoud Haddad in seiner im Jahr 1994 erfolgten Untersuchung ebendieses Panarabismus ins Zentrum rückte, um seine Begriffsdefinition des arabischen Nationalismus zu erklären. Er führte aus, das Ausgeschlossensein von politischer Teilnahme habe dazu geführt, dass sich gemäss der Losung „diverse Nationen, ein Staat“ eine politische Autonomiebewegung entwickelt habe.
Ein ungenannter Kommentator der Arbeiter Zeitung (AUT) verortete die Revolten im „Panislamitismus“. Diese zeitgenössische Begriffsdefinition des arabischen Nationalismus, welche sich auf die auf Ǧamāl ad-Dīn al-Afġānī (1838/39 – 1897) zurückgehende Reformbewegung der Vereinigung aller Muslime bezog, wurde auch von der Neuen Zürcher Zeitung (CH) als Erklärung für die Revolten verwendet. Der ungenannte Kommentator des Volksblattes für Stadt und Land (AUT) deutete die französische Mandatspolitik hingegen als Ursache der Vereinigung der Bevölkerung Syriens im Kampf gegen die Mandatsmacht. Diese These machte sich Michael Provence zu eigen, als er im Jahr 2004 diesen Zusammenschluss gegen einen gemeinsamen Feind in seiner These „A Nationalist Rebellion without Nationalists?” abhandelte. Darin führte er aus, dass die gemeinschaftliche Idee der Zugehörigkeit und nicht ein kollektives Verständnis, was diese Zugehörigkeit genau bedeutet habe, wichtig gewesen sei. Der aus Beirut berichtende Journalist der Neuen Freien Presse (AUT), Karl von Wiegand, benannte als Grund für die Revolte der Drusen in pejorativer Weise die nicht auf die lokalen kulturellen Begebenheiten eingehende französische Mandatsverwaltung. Ein weiterer Kommentator dieser Zeitung verortete die Revolte der Notabeln in Damaskus in deren Wunsch nach Machterhalt und Unabhängigkeit von französischer Kontrolle. Dies ist ein Aspekt, welchen in der Forschung Philip Shukry Khoury 1987 untersuchte. Er betonte, dass gerade diese Notabeln den arabischen Nationalismus geformt hätten. Für die Wiener Zeitung (AUT) war die französische Mandatsverwaltung der Grund für die Revolten. Der Kommentator des Der Bund (CH), Artasches Abeghian, bewertete die Revolten in Syrien als Freiheits- und Unabhängigkeitskampf der syrischen Bevölkerung, welche unter der französischen Kolonialpolitik und den „brutal-imperialistischen Zielen“ Frankreichs unterdrückt und ausgebeutet worden sei. Auch ein ungenannter Journalist des Volksrechts (CH) verortete die Revolte als einen „Aufstand gegen die französische Besatzungsarmee“ und bezeichnete die französische „koloniale Annexion“ als primären Grund dafür.
Abschliessend lässt sich festhalten, dass viele unterdessen in der Forschung aufgegriffenen Thesen mit Blick auf die Unabhängigkeitsbewegungen in Syrien während der französischen Mandatsherrschaft im Jahr 1925 schon von zeitgenössischen Zeitungskommentatoren in der Schweiz und Österreich thematisiert worden waren. In Österreich war die Skepsis gegenüber den französischen Darstellungen allgemein sehr viel grösser als in der Schweiz, was umgekehrt dazu führte, dass britische Agenturmeldungen, die teilweise eine scharfe Spitze gegen den bisherigen Verbündeten aufwiesen, in der östlichen Alpenrepublik häufig unkritisch übernommen wurden. Auch die deutsche Agentur Wolff spielte in Österreich eine wesentlich grössere Rolle als in der Schweiz, was angesichts der Verbundenheit der beiden ehemaligen Mittelmächte aber nur wenig überrascht.