Die zivile Nutzung der Atomenergie gehört in der Schweiz zu einem bedeutenden politischen Kon iktfeld in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Lizentiatsarbeit beleuchtet einen Aspekt dieser Auseinandersetzung, nämlich die Positionierung der Sozialdemokratischen Partei in der Atomenergiefrage. Während sich die SP heute als klare Gegnerin der Verwendung von Strom aus Atomkraftwerken präsentiert, gehörte sie in der Zeit, als sich die neue Technologie in der Schweiz durchzusetzen begann, zu ihren Befürworterinnen. Die Lizentiatsarbeit zeichnet den Verlauf dieser Kehrtwendung von einer befürwortenden zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der Atomenergie nach und versucht, den Meinungsbildungsprozess zu begründen. Dabei stehen zwei Kantonalparteien im Vordergrund: Die SP Baselland und die SP Aargau, welche sich während der Projektierung des Atomkraftwerkes im aargauischen Kaiseraugst und der Besetzung des Baugeländes 1975 intensiv mit der Thematik auseinander setzten und dabei zu ganz unterschiedlichen Ansichten gelangten.
Sowohl in der SP Aargau als auch in der SP Baselland setzte der Diskurs über die Nutzung von Atomstrom mit der Projektierung eines Atomkraftwerkes in Kaiseraugst in den 1960er Jahren ein. In beiden Parteien wurde die Atomenergiefrage rasch zu einem zentralen Politikum, das eine Diskussion über den zukünftigen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen auslöste. Der Verlauf der weiteren Entwicklung war dahingegen äusserst kontrovers: Während die SP Baselland von Anfang an eine atomenergiekritische Position bezog, durchlief die SP Aargau einen langen und teilweise schmerzhaften Meinungsfindungsprozess von einer atomenergiebefürwortenden hin zu einer atomenergieablehnenden Haltung.
Die Auseinandersetzung mit der Atomenergie verlief in der SP Baselland ähnlich wie in der AKW-Opposition: Von Anfang an bezog die Partei eine atomenergiekritische Haltung, die sich mit der Zeit immer mehr verstärkte. Während ihr Widerstand zu Beginn der Debatte vor allem das AKW-Projekt in Kaiseraugst fokussierte, weitete sie diese Bedenken im Lauf der 70er Jahre unter dem Vorzeichen eines menschenund umweltschädigenden Wachstums auf eine grundsätzliche Ablehnung der Atomenergie aus. Die Haltung der SP Baselland wurde allerdings durch die entscheidende Tatsache erleichtert, dass die Kantonsregierung zu den Trägerinnen der ersten Widerstände gehörte. Ausgeschlossen von der Mitsprache am Bau und Betrieb des projektierten Atomkraftwerkes im nahen Kaiseraugst, aber betroffen von seinen allfälligen Folgen und Risiken, entwickelte der basellandschaftliche Regierungsrat ab Ende der 60er Jahre eine ablehnende Haltung gegen den Bau eines AKW in Kaiseraugst. Dieser Widerstand fand rasch Eingang in die Gremien der SP Baselland, deren Delegierte 1973 beschlossen, grundsätzlich gegen den Bau von Atomenergieanlagen zu sein; ein Beschluss, den sie mit der Kritik gegenüber dem herkömmlichen Fortschrittsdenken und Forderungen nach einem Masshalten im Energieverbrauch verbanden. Die Partei forderte nunmehr eine grundsätzliche Umkehr vom wachstumsorientierten Fortschrittsdenken und von der Beherrschung von Mensch und Umwelt durch Technologie hin zu immateriellen Werten und sie versuchte, sozialpolitische mit umweltpolitischen Anliegen zu verbinden. In der Folge entwickelte die SP Baselland eine hohe energiepolitische Eigeninitiative. 1975 solidarisierte sie sich anlässlich der Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst mit dem gemässigten Flügel der AKW-Opposition und beteiligte sich aktiv an deren Aktionen. Daneben lancierte sie einen überregionalen Austausch zur Atomenergiefrage, war im Kantonsrat an der Erarbeitung eines Energieleitbildes und Energiegesetzes beteiligt und trug massgeblich dazu bei, dass eine kantonale Atomschutzinitiative zur Abstimmung gelangen konnte. Dadurch entwickelte sich die SP Baselland im institutionellen Rahmen zu einer treibenden energiepolitischen Kraft; sie trug Anliegen und Forderungen der Anti-AKW-Gruppierungen in die kantonspolitischen Gremien und wurde zu einem wichtigen Bindeglied zwischen der ausserparlamentarisch agierenden Opposition und Vertretern im Parlament. Dieses energiepolitische Engagement der SP Baselland wurde durch drei Momente vereinfacht: Erstens existierten innerhalb der Partei keine Auseinandersetzungen über die Atomenergie, zweitens verfochten auch die bürgerlichen Parteien im Kantonsparlament eine atomenergiekritische Haltung zumindest gegen das Kaiseraugst-Projekt und drittens war der überwiegende Teil der basellandschaftlichen Bevölkerung gegenüber dem Atomprogramm des Bundes kritisch eingestellt. Dementsprechend nahm die Stimmbevölkerung des Kantons Baselland alle Atomschutz- und Energieinitiativen der 70er und 80er Jahre mehrheitlich an.
Ganz anders als die SP Baselland begrüssten die Mehrheit der SP Aargau und dabei insbesondere ihre Parteileitung und die Fraktion den Bau eines Atomkraftwerkes in Kaiseraugst; erstens zur Sicherung des Wohlstandes der Bevölkerung durch technischen Fortschritt und Bereitstellung von Energie, zweitens zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen und drittens, weil ein SP-Regierungsrat der Atomlobby angehörte. Zwar bildete sich in den sozialdemokratischen Bezirksparteien Laufenburg und Rheinfelden – im Standort- und Nachbarbezirk des Kaiseraugst-Projektes – schon Ende der 60er Jahre ein AKW-kritischer Widerstand. Dessen Anliegen wurden auf der Ebene der Kantonalpartei aber nicht offen diskutiert und zurückgestuft. Diese Konstellation führte rasch zu einem parteiinternen Kon ikt, der die Partei in energiepolitischer Hinsicht auf lange Zeit lähmte, insbesondere, da die atomenergiekritischen Stimmen im Verlauf der 70er Jahre sowohl in der SP Aargau als auch in der Bevölkerung stetig zunahmen. Eine Zäsur in der Kehrtwende hinsichtlich der Atomenergie setzte die Partei 1979, als die Parteibasis entgegen der Empfehlung der Parteispitze die Zustimmung zur eidgenössischen Atomschutzinitiative beschloss. Der offene Konikt in der SP Aargau zur Atomenergie wurde damit aber nicht aufgelöst: Bis Mitte der 80er Jahre vertrat die Partei offiziell die Position, dass in der Atomenergiefrage geteilte Meinungen herrschen. Erst allmählich schlug sich die atomenergieablehnende Haltung auch in der Parteispitze und in der Fraktion nieder. Dieser Wandel scheint allerdings auch wahltaktische Ursachen zu haben, war doch mit der Gründung der neuen Partei der Grünen Mitte 1983 eine Konkurrenz entstanden, die der SP Aargau mit einem umfassenden Energieund Umweltprogramm die ökologisch sensibilisierte Wähler/innenbasis streitig machte. Mit der Aufnahme von ökologischen und atomenergiekritischen Forderungen in ihr Parteiprogramm ebnete sich der Bruch zwischen Befürworter/innen und Gegner/innen der Atomenergie in der SP Aargau ein; nunmehr plädierte sie geschlossen für den Stopp des Atomkraftwerkprogramms forderte gesetzliche Grundlagen zu gezielten Energiesparmassnahmen und trat mit profilierten Atomenergiegegner/innen in kantonalen und eidgenössischen Wahlen auf.