Nicht erst seit der COVID-19-Pandemie gibt es Akteur:innen, die sich an den Schnittstellen zwischen alternativen Milieus und sozialen Bewegungen sowie der extremen und „Neuen“ Rechten bewegen. Dieser Workshop für junge Forscher:innen spürt der Geschichte dieser ungewöhnlichen Konstellationen nach 1945 in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach und fragt, ob es sich dabei um mehr als nur politische Anomalien handelte.
Seit etwa zehn Jahren versucht die sogenannte Neue Rechte im Umfeld der Zeitschriften „Sezession“ und „Die Kehre“, Natur- und Umweltschutz als rechtskonservatives Anliegen neu zu erfinden und zugleich die Legitimität linker Parteien und Bewegungen als Träger:innen ökologischer Politik in Frage zu stellen. Dass scheinbar „linke“ Themen und Protestformen in abgewandelter Form auch mit rechtskonservativen bis rechtsextremen Einstellungen kompatibel sind, zeigte sich auch während der COVID-19-Pandemie, als Politiker:innen und Medienschaffende erstaunt feststellten, dass sich antisemitische Verschwörungsnarrative und sozialdarwinistische Gesellschaftsentwürfe überraschend stark in esoterisch-alternativen Milieus verbreiteten. Zuletzt zeigte sich dieses Phänomen auch im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, als vermeintliche Friedensappelle und antiimperialistische Kritik zunehmend von rechts kamen.
Dass sich die extreme und „Neue“ Rechte in den Bereichen Ökologie, Gegenkultur und Antiimperialismus bewegen, ist allerdings nicht neu. So initiierte der rechtsökologische „Weltbund zum Schutze des Lebens“ bereits in den 1960er Jahren erste Anti-Atomkraft-Kampagnen aus Sorge um die Erhaltung der deutschen „Erbgesundheit“. In den 1970er Jahren zogen ehemalige Nationalsozialisten wie Baldur Springmann oder Werner Georg Haverbeck aufs Land, um dort einen alternativen, auf Spiritualität und Naturverbundenheit basierenden Lebensstil zu propagieren. Später solidarisierten sich neurechte Gruppierungen wie „Wir selbst“ mit antiimperialistischen Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt, um im geteilten Deutschland auf ihre eigene „nationalrevolutionäre“ Agenda aufmerksam zu machen.
Die Geschichte dieser „rechtsalternativen Bewegungen und Milieus“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach 1945 ist bislang kaum erforscht. Dies ist umso problematischer, als gerade diese Strömungen in aktuellen Krisensituationen (Klima, Pandemie, Ukraine-Krieg) einen starken Einfluss auf rechtsextreme Ideologien, Alltagspraktiken und politische Parteien ausüben. Der geplante Workshop möchte deshalb junge Forscher:innen verschiedener Qualifikationsstufen, die sich mit der Geschichte rechtsökologischer, nationalrevolutionärer und neurechter Akteur:innen beschäftigen, miteinander ins Gespräch bringen. Damit soll ein grenzüberschreitender akademischer Austausch gefördert werden, der insbesondere auch die in der Schweiz noch geringe Forschungstätigkeit zur Geschichte des Rechtsextremismus und der „Neuen Rechten“ anregen soll.
Der Workshop steht allen interessierten Forscher:innen (Master, Doktor, Postdoc) offen, die zum Thema arbeiten. Eine Teilnahme ist nur nach vorheriger Anmeldung möglich. Die Zahl der Teilnehmer:innen ist wegen des knappen Platzangebots begrenzt.
Anmeldung an: stefan.rindlisbacher@unifr.ch
Programm
09.30-09.45 Begrüßung und Einführung
09.45-11.45 Panel I: Völkischer Natur- und Umweltschutz
Stefan Rindlisbacher, Dr. (Bern/Fribourg): Rechte „Waldgänger“: Von Günther Schwab bis Björn Höcke – Abgrenzung, Protest, Inszenierung
Katharina Scharf, Dr. (Graz): Geschlecht, Natur und Umwelt im Spannungsfeld rechter Diskurse
Sophia Rut, M.A. (Wien): „Baumschützende Faschisten“. Rechtsradikale Beteiligungen an ikonischen Kraftwerksverhinderungen im Österreich der langen 1970er Jahre – Diskurse und Gegenpositionen.
11.45-13.00 Mittagspause
13.00-15.00 Panel II: Autoritäre Gegenkulturen
Linn Sofie Børresen, M.A. (Berlin): Henning Eichberg als Seismograf zwischen Nationalisten und Revolutionären
Franca Schaad, M.A. (Bern): Visuelle Abgrenzung und ideologische Selbstverortung der neuen studenten zeitung im Gründungsjahr 1970
Stefan Manser-Egli, Dr. (Fribourg): Gegen die Legitimität des Staates: Staatsverweigerer in der liberalen Demokratie
15.00-15.30 Kaffeepause
15.30-17.30 Panel III: Ethnopluralistischer Antiimperialismus
Cenk Akdoganbulut, M.A. (Fribourg): Antikolonialismus von rechts? Rechtsintellektuelle Debatten zum Algerienkrieg in den 1950er und 1960er Jahren
Martin Deuerlein, Dr. (Tübingen): „Indianische Ratschläge zur Entkolonisierung“: Die „Neue Rechte“ und Indigene Völker
Marius Huber, M.A. (Berlin): Antiimperialismus von rechts: Nationalrevolutionäre Zeitschriften in den 1970er und 80er Jahren
17.30-18.00 Abschlussdiskussion